Eurovision-Kandidatin

Isabella Levina Lueen: Berlins Stimme für den Song Contest

| Lesedauer: 8 Minuten
Sarah Borufka
Isabella Levina Lueen im Café Kranzler: Auf ihrem rechten Unterarm trägt sie ein „Tattoo“, „plan a“

Isabella Levina Lueen im Café Kranzler: Auf ihrem rechten Unterarm trägt sie ein „Tattoo“, „plan a“

Foto: joerg Krauthoefer

Isabella Levina Lueen ist eine von fünf Bewerbern, die Anfang Mai in Kiew für Deutschland singen wollen. Ein Treffen.

Sie lacht einfach das trübe Wetter weg. Isabella Levina Lueen, die einzige Berliner Kandidatin beim diesjährigen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest (ESC), erscheint überpünktlich zum Interviewtermin im Café Kranzler am Kurfürstendamm. Levina, so ihr Künstlername, posiert geduldig für Fotos. Sie trägt Wollpullover und bis auf Mascara kein Make-up. Es ist Montag, 10 Uhr, und sie hat alle Lichter angemacht. Präsent sein. Darauf kommt es an. Die 25-Jährige weiß das. Man merkt es.

Das erste, an dem man hängenbleibt, wenn man Isabella Levina Lueen gegenübersitzt, ist ein schlichtes Tattoo in Schwarz. Ein Schriftzug, der ein bisschen aussieht wie ein Herzton. „Plan A“ ziert den Unterarm der Sängerin, die beim Vorentscheid zum ESC unter die letzten fünf Kandidaten gekommen ist. „Musik ist mein Leben. Für mich gibt es keine Alternative, keinen Plan B. Dafür steht auch diese Tätowierung.“

Sie setzte 50 Euro auf den Sieg von Lena Meyer-Landrut

Stechen lassen hat sie sich das Motiv ausgerechnet nach einem kurzen Ausflug in Richtung Plan B: Zwei Jahre studierte Lueen Geografie am King’s College London. Sie fand es durchaus interessant und machte auch ihren Abschluss mit solidem Erfolg. „Aber ich war nicht mit vollem Herzen dabei“, sagt sie. Ab da also: alles auf eine Karte, nur noch Plan A, keine Kompromisse.

So hatte sie es auch schon ihr ganzes Leben lang gehandhabt. Lueen wächst in Chemnitz auf, ein fröhliches Mädchen, das gern im Chor singt. Schon in der zweiten Klasse fällt ihrer Lehrerin, die auch den Schulchor leitet, auf: Das Kind hat Talent. „Ich habe schon immer gern gesungen, meine Eltern sind auch beide sehr musikalisch: Meine Mutter singt im Chor und spielt Klavier, mein Vater spielt Gitarre. Musik war immer schon wichtig, schon in meiner frühen Kindheit. Mit neun Jahren habe ich dann wöchent­liche Gesangsstunden an der städtischen Musikschule genommen“, sagt sie. Es folgten Rollen in Kindermusicals, zum Beispiel als Waldgeist im Stück „Drei Wünsche frei.“ Es sei eine tolle Erfahrung gewesen, so jung schon auf der Bühne zu stehen. „Lampenfieber hatte ich eigentlich nur bei meinen Schauspielparts. Bei meinem Gesangs­solo war ich entspannter und habe mich wohlgefühlt“, sagt Lueen. Das Highlight der Musical-Tour: ein Auftritt in der Semperoper in Dresden.

Es folgt der erste Platz beim Gesangswettbewerb von „Jugend musiziert“ und ein Stipendium für eine zweite wöchentliche Gesangsstunde. Spätestens mit zwölf Jahren ist Lueens Leben sehr viel Musik und ein bisschen Schule: Sie probt jeden Tag, singt Lieder von ihrem Pop-Idol Avril Lavigne in ihrem Kinderzimmer nach, schreibt eigene Stücke, darunter ein kindlich-naives Lied über ihre besten Freunde. Sie erinnert sich heute noch an eine Zeile: „Wir wollen zusammenstehen und niemals gehen.“ Ein Text, über den sie mit etwas Abstand zwar leicht amüsiert schmunzelt, aber man merkt auch: Dass Pop eingängig und nicht zu kompliziert sein muss, hat Lueen schon früh verstanden.

Ihre Jahre an der Chemnitzer Musikschule festigen ihr Selbstvertrauen. Konkurrenzdenken und Zickenkrieg seien ihr dort erspart geblieben, sagt sie. Es schwingt etwas sehr Bodenständiges mit, wenn Lueen über ihren Berufswunsch redet. Dabei ist eine Popstar-Karriere anzustreben natürlich alles andere als das. Dunkle Stunden oder Schaffenskrisen, echte Verzweiflung: Das alles sei ihr bisher glücklicherweise fremd. „Aber natürlich gibt es Momente, in denen man kämpfen muss. Es ist nicht die einfachste Industrie. Bis jetzt war ich aber noch nie an dem Punkt, an dem ich die Musik aufgeben wollte. Dazu will ich es einfach zu sehr.“ Musik, das sei für sie Ventil und Berufung zugleich.

Nach dem Abitur überlegt Lueen nicht lange und entscheidet sich für einen Intensiv-Kurs an der Londoner Tech Music School im Fach Gesang und Komposition. Ein Jahr lang studiert sie mit Kommilitonen aus aller Welt. Eine besonders passende Umgebung, um den Eurovision Song Contest 2010 zu verfolgen: Lueen schaut das TV-Event in einer Gruppe mit Studenten aus aller Herren Ländern in einem Pub, setzt 50 Euro auf den Sieg von Lena Meyer-Landrut. Der Rest ist Geschichte: Lena gewinnt, Lueen auch. „Mir hat Lenas Auftritt total gut gefallen, weil der Fokus wirklich auf ihrer Stimme und dem Song lag, nicht auf einer besonders ausgefallenen Bühnenshow oder verrückten Kostümen. Ich mochte das Lied sehr“, sagt sie.

Ihre Band war so international wie das Studienumfeld

Zwei Jahre später gewinnt Lueen mit ihrer Band „Miss Terry Blue“ den ersten Platz beim Wettbewerb der Uni-Music-League. Ihre Band ist genauso international wie das Studienumfeld: Als Bandleaderin tritt sie mit einem Schlagzeuger aus Italien, einem Gitarristen aus Russland, einem englischen Bassisten und einem französischen Saxofonisten und zwei Backgroundsängerinnen aus Polen und Schweden auf. Der Preis: Eine Platte, aufgenommen mit dem Produzenten Matt Lawrence, der auch schon mit Stars wie Adele, Lady Gaga und Justin Timberlake gearbeitet hat.

Die Release-Party für die Platte im April 2013 läuft noch gut, doch die CD stößt nicht auf das erwartete Interesse. Kein Plattenlabel beißt an, somit gibt es auch keine Tour-Termine oder Chartplatzierungen. Am Ende des Jahres löst sich „Miss Terry Blue“ auf. Enttäuschend? „Schon ein bisschen. Aber ich habe daraus für mich etwas Positives gewinnen können: Die Entscheidung, an meiner Solokarriere zu arbeiten, und die Erfahrungen aus der Bandzeit haben mich als Musikerin weitergebracht“, sagt Lueen.

Sie nimmt mehrere Videos auf, darunter auch ihre Eigenkomposition „How to dance“, mit der sie sich dann im Oktober 2016 beim Eurovision Song Contest bewirbt. „Das war eher spontan. Meine beste Freundin hat mir den Link zum Bewerbungsportal geschickt.“ Es läuft wie am Schnürchen: Zwei Monate später weiß Lueen, dass sie unter den fünf Kandidaten ist, die am 9. Februar in Köln beim großen Vorentscheid mitsingen – und um das Recht kämpfen, Deutschland vom 9. bis zum 13. Mai beim ESC in der ukrainischen Hauptstadt Kiew zu vertreten. „Es wäre eine riesige Ehre, ein Lebenstraum, und eine tolle Erfahrung mit vielen anderen Musikern aus aller Welt dort anzutreten“, sagt Isabella Levina Lueen.

Wie sie sich auf den Vorentscheid vorbereitet? „Üben, üben, üben und bloß nicht krank werden bei dem kalten Wetter.“ Stimmt: Lueen hat den Schal während des gesamten Interviews umgebunden gelassen. Sie kann jetzt alles gebrauchen, nur keine Erkältung.

Angetreten und gescheitert: Berliner Kandidaten bei den ESC-Vorentscheiden

Der Eurovision Song Contest wurde in den 61 Jahren seiner Existenz noch nie in Berlin ausgetragen. Berliner Bewerber gab es jedoch mehrmals.

So bewarb sich das Duo Rosenstolz mit seiner Eigenkomposition „Herzensschöner“ im Jahr 1998 um den ESC, in einer Zeit, als das Teilnehmerfeld noch stark von Songs aus der Feder von Ralph Siegel und Bernd Meinunger dominiert wurde. Die Berliner Band verlor letztendlich gegen Guildo Horn, der mit dem Blödel-Lied, geschrieben von Stefan Raab, „Guildo hat euch lieb“ für Deutschland nach Birmingham ging. Er belegte dort immerhin den siebten von 25 Plätzen.

Die Berliner Band Mia konnte sich 2004 mit ihrem Hit „Hungriges Herz“ ebenfalls nicht durchsetzen, stattdessen vertrat der Abiturient Max Mutzke Deutschland in Istanbul mit „Can’t wait until tonight“ und wurde dort Achter. Im Jahr 2013 versuchte sich das Berliner Künstlerkollektiv Blitzkids mvt. mit funkelnden Discokugel-Kostümen und dem Elektropop-Song „Heart on the line“ an der ESC-Teilnahme und scheiterte ebenfalls. Auch 2015 schickte Berlin mit der Elektro-Soul-Band Laing einen Vertreter zum ESC-Vorentscheid. Die Band um Sängerin Nicola Rost schaffte es mit den Titeln „Zeig deine Muskeln“ und „Wechselt die Beleuchtung“ ebenfalls nicht zum ESC nach Österreich.