Bei Literaturwettbewerb Open Mike präsentieren sich 22 junge Autoren in Neukölln

Bei einem Literaturwettbewerb hat er noch nie mitgemacht. Dass er nun gleich beim ersten Mal gewinnt, hat er, klar, absolut nicht erwartet. Thilo Dierkes ist der Sieger im 24. Open Mike Literaturwettbewerb. Als sein Name bei der Preisverleihung im Heimathafen Neukölln aufgerufen wird, sei es ihm heiß den Rücken runtergelaufen, sagt er später atemlos.

Dierkes – kleines Piercing, Brille, die Strickmütze spitzbübisch im Nacken – ist mit 21 Jahren jüngster Teilnehmer des diesjährigen Wettlesens. Wer hier gewinnt, das wissen die Teilnehmer, hat Chancen auf den ersten Buchvertrag. Autoren wie Tilmann Rammstedt, Karen Duve, Zsuzsa Bánk und Terézia Mora haben das geschafft. Diesmal wurden 550 Texte eingesandt. Daraus haben sechs Lektoren 22 Favoriten ausgewählt, die am Sonnabend und Sonntag um die Wette lasen. Jeder hatte 15 Minuten, um den Text vorzustellen.

Stiller Humor und das Leben in der Kleinstadt

Die können mitunter ganz schön lang sein, wie bei jenen Texten, die auf eine Pointe verzichten. Sie können aber auch sehr kurzweilig sein – wie bei Dierkes Gewinnertext „Von Ajaccio her“. Distanziert, fast zynisch erzählt er darin vom Leben in einer Kleinstadt. Er lässt den Pathos des kleinen Mannes bersten, bis der einfach nur noch kaputt daliegt.

„Stillen Humor“ nennt das die Jury, die aus den Schriftstellern Saša Stanišić, Lutz Seiler und Inger-Maria Mahlke besteht. Sie seien von der Souveränität seines Erzählens beeindruckt gewesen, erklären sie. „Aber“, sagt Stanišić später, „in allen Texten hat ein bisschen das Anknüpfen an aktuelle Geschehnisse gefehlt.“

Dass die Welt so kompliziert geworden sei, so unsicher und fragil, darauf wüssten diese jungen Schreiber keine Antwort, waren sich auch die Lektoren einig. Es herrsche Ratlosigkeit. „Was ich etwas vermisse, sind politischere Texte“, sagte Lektorin Esther Kormann. Stattdessen: Kneipenschlägereien, WGs, Start-ups, Schwedenurlaub, Beziehungsunfähigkeit, Bio-Bauernhöfe, Datenklau. Man erfährt viel über die Themen dieser Generation der unter 35-Jährigen. An die Orte, die wehtun, gehen aber wenige.

Einer ist der Berliner Student Rudi Nuss. Wenn in den Pausen über Favoriten getuschelt wird, fällt sein Name. Weil sein Text unkonventionell, laut und nicht unpolitisch ist. Mit Raum für Brüche. Er gewinnt den Preis der „taz“-Publikumsjury.

Manchmal weht Jubel durch den Saal, manchmal gibt es Pfiffe. Obwohl kein Autor einen Roman veröffentlicht hat, haben einige bereits Fans. Ein Drittel ist aus den großen Schreibschulen, Hildesheim, Leipzig und Wien, auf die Bühne gespült worden. Etwa ein Drittel schreibt Lyrik. Weil Leipzigerin Sandra Burkhardt das so formbewusst macht und sicher ist im Sprachgebrauch gewinnt sie den Lyrikpreis. Benjamin Quaderer holt den zweiten Prosapreis.

Am Ende ist zwar kein Buchvertrag zustande gekommen. Aber Sieger Dierkes grinst. Er hätte nicht erwartet, dass ihm sein erster Lesewettkampf so viel Spaß macht. Jetzt will er weiter schreiben. Und gucken, wohin ihn das führt.