Das gab’s zuletzt „Im weißen Rössl“ vor 22 Jahren. Stars der Berliner Kleinkunst laden zum Gipfeltreffen. Und heben ab zum Mond.
Sie gehört zu Berlin wie die Molle und die Goldelse. Und kein Philharmonie-Konzert in der Waldbühne kommt ohne sie aus. Aber wo sie eigentlich herkommt, die „Berliner Luft“, das wissen die wenigsten. Paul Linckes „Frau Luna“ wird allzu selten gespielt. Das ändert sich just jetzt, zwischen Linckes 70. Todes- und 150. Geburtstag.
Wobei die Operette nicht etwa in der Komischen Oper spielt, sondern im Tipi am Kanzleramt. Mit lauter Stars, die hier und in der Bar jeder Vernunft schon Triumphe feierten. Und jetzt zum Gipfeltreffen der Kleinkunst laden: die Geschwister Pfister, Pigor & Eichhorn, Cora Frost, aber auch die Schauspieler Gustav Peter Wöhler und Sharon Brauner, die in den Zelten ihrem Zweitjob als Sänger frönen.
Nie gesehene Promidichte
Dazu mit 12 „Mondharmonikern“ eine für Tipi-Verhältnisse riesige Band um Johannes Roloff. Eine derartige Großproduktion hat es seit „Im Weißen Rössl“ nicht mehr gegeben. Eigentlich wollte man schon bald danach wieder so etwas machen. Aber es hat drei Anläufe gebraucht. Und 22 Jahre.
Entsprechend groß ist der Andrang zur Premiere. Auch im Publikum ist eine nie gesehene Promi-Dichte auszumachen. Schon das Foyer des Zeltes ist lunagerecht umgestylt. Die Bühne ragt mit einer immensen Showtreppe weit in den Zuschauersaal hinein. Das gibt schon mal den Grundton an. Irgendwas zwischen Variété und Tonfilmoperette.

Auf grelle Aktualisierungen hat man bewusst verzichtet. Regisseur Bernd Mottl geht es betont historisch an, natürlich mit ironischem Augenzwinkern. Wir befinden uns im zugeknöpften wilhelminischen Berlin. Kohleruß inbegriffen. Alles ist hier grau in grau, die Kostüme der Figuren, die Tafelwände, auf die mit Kreide gemalt ist, was sie darstellen sollen. Kein Wunder, dass Fritz Steppke (Benedict Eichhorn) dieser Tristesse entfliehen und per Ballon zum hedonistischen Mond fliegen will. Da steigen nicht nur seine Freunde mit ein, auch seine Vermieterin Witwe Pusebach (Ursli Pfister) hängt sich mit dran.
Und schon hebt das Singspiel ab in andere Sphären. Der Mond ist ebenfalls ein Schwarzweißfilm. Aber die Kontraste sind härter, die Kostüme prächtiger. Die größte Gaudi sind acht Mondelfen, die mal in weißem Tüll mit viel nichts über die Bühne gackern, mal stramm in schwarzem Lack als Mondpolitessen aufmarschieren. Und schließlich steigt Andreja Schneider als Frau Luna turandot-mäßig aus dem Mittelkreis. Was für ein Auftritt. Eine kosmische Kleopatra.
Der Berliner kann prima über sich selbst lachen
Der Mond ist Berlin weit voraus. Da will irgendwie jeder mit jedem. Prinz Sternschnuppe (Gustav Peter Wöhler) liebt Frau Luna, Haushofmeister Theophil (Tobias Bonn alias Toni Pfister) hatte mal was Irdisches mit Frau Pusebach. Frau Luna wiederum wirft ein Auge auf Steppke. Der aber träumt von seiner Marie (Sharon Brauner).
Ursli Pfister, der sich in den Proben verletzt hat, schmeißt mit Verve die Beine hoch. Man sieht den Verband, aber er spielt sich den Wolf. Wie überhaupt alle. Cora Frost als Venus landet mit ihrer „Glühwürmchen“-Idylle die größte Nummer des Abends. Anna Mateur als Lunas Zofe ist so rasend komisch, dass man sich fest vornimmt, endlich ein Soloprogramm von ihr zu besuchen. Wenn sie erst alle miteinander singen und tanzen, ist kein Halten mehr. Und Linckes Ohrwürmer – „O Theophil, o Theophil“ etwa, „Schlösser, die im Monde liegen“ unsdoweiterundsofort – gehen ins Ohr und ins Bein und nicht mehr aus dem Sinn.
Klaus Wowereit schunkelt mit
Es gibt auch ein paar herrliche Seitenhiebe, die aber betont nebenbei verteilt werden. Wenn etwa einmal von einem FLughafen die Rede ist, heißt es, „davon verstehen die Berliner nichts“. Da kann sogar Klaus Wowereit lachen. Und wenn postuliert wird, nichts könne der Berliner besser als „orjanisieren“, kann der angesprochene Großstädter prima über sich selbst lachen.
Nur Benedict Eichhorn als Steppke bleibt ein wenig hinterm Mond. In ihren Programmen heißt es ja immer „Pigor singt und Eichhorn muss begleiten“. Das Begleiten aber kann der Pianist sichtlich besser, als die erste Geige zu spielen. Macht nichts. Sind nur Kinkerlitzchen in einer großen, galaktischen Gaudi. Und wenn dann „Das macht die Berliner Luft“ kommt, zur Pause und zum Finale, dann schunkelt nicht nur Klaus Wowereit, dann kocht der ganze Saal.
Tipi am Kanzleramt, Große Querallee, Tiergarten. Tel.: 39066550. Bis 29. Januar, Mi-Sa 20 Uhr, So 19 Uhr.