Zu Beginn sieht man in der Werkstatt des Schillertheaters eine alt gewordene Schauspielerin, bis zur Hüfte im Bühnenboden versunken. Ein reizvoller Einfall des Regisseurs Ingo Kerkhoff: Es ist die alte Tilla Durieux – weltberühmter Berliner Bühnenstar der 10er-, 20er-Jahre, bevor sie nach Machtantritt der Nazis nach Jugoslawien floh, sich dort Widerstandsgruppen anschloss und auch nach Kriegsende lange nicht nach Deutschland zurückkehrte.
Zu Beginn erklingt ein Geräusch galoppierender Rastlosigkeit vom über der Bühne sitzenden Kammerorchester. Die umtriebige Künstlerin kann in „Comeback“, dem neuen Musiktheaterwerk von Oscar Strasnoy, nicht mehr fliehen – sie ist im Boden fixiert und gezwungen, sich zu erinnern.
Die Erinnerungen der Hauptfiguren, neben Durieux der Nazi-Hofschauspieler Emil Jannings, gehen zurück in eine Zeit vor der Nazizeit, die als moralisch goldenes Zeitalter zu bezeichnen beide Künstler, ob widerständig oder angepasst, zu klug sind. Der Text des Schriftstellers Christoph Hein möchte Individuen, die sich treu bleiben, vor dem Hintergrund sich wandelnder Zeitge-schichte zeigen.
Der nach dem Krieg mit Auftrittsverbot belegte Jannings erklärt seinem Sohn, dass er an keinem Entnazifizierungsverfahren teilnimmt, weil ihm die Bösartigkeit des Regimes immer bewusst war. Das alles, Schuld- und Erinnerungsfrage, Gewissen und Mittäterschaft ist in Literatur und Drama oft beleuchtet worden, diese Erzählung von zwei mit ihrer Vergangenheit konfrontierten Künstlern wirkt konventionell.
Strasnoys musikalische Aufspaltung der Charaktere indes ist reizvoll. Gesungen wird hervorragend. Neben Maria Husmann, die als Schauspielerin die alte Tilla verkörpert, spielt die Sopranistin Josephine Renelt die junge. Sing- und Sprechstimme verschwimmen ineinander. Emil Jannings, stimmgewaltig von Ralf Lukas gesungen, wird seinem Sohn in Gestalt des Countertenors Johannes Euler gegenübergestellt.
Max Renne dirigiert eine musikalische Begleitung, die entfernt an Filmmusik, frühen Jazz oder Kurt Weill erinnert – doch dieses 20-Jahre-Idiom wird keineswegs als starres Klischee vorgebracht. Trotzdem geht man etwas ratlos aus der Vorstellung: Die fiktive Begegnung zweier 20er-Jahre-Schauspieler nach der Nazizeit entfacht trotz einiger musikalischer Finessen kein Bühnenfeuer.
Schiller Theater Werkstatt, Bismarckstr. 110. Tel: 20 35 45 55..Nächste Termine: 4.,7. u. 9.10.