Das erste, was wir in seinem Büro sehen, ist das „NO“ in schwarzen Lettern an der Betonwand. Eine Installation von Santiago Sierra. Wahrscheinlich keine ganz schlechte Option für einen Chef wie Werbefachmann Christian Boros. Wir treffen uns in seiner Werbeagentur am Halleschen Ufer, nicht im Kunst-Bunker in Mitte, wo er sonst empfängt. Der Bunker gehört mittlerweile zu den festen Ausstellungsadressen Berlins. Boros Privatsammlung umfasst rund 800 Werke, gezeigt werden 100 in den 80 Räumen. Boros ist in heiterer Stimmung, die Sonne scheint, Freitagnachmittag, er möchte raus aufs Land, in sein Anwesen in der Uckermark, wo die Eier beim Bauern um die Ecke gekauft werden. Vor der Art Week, die am Dienstag beginnt, sprechen wir mit ihm über Berlins Kunstszene.
Berliner Morgenpost: Es ist ja noch nicht so lange her, dass sie Ihre Frühstückseier auf dem Land kaufen, als in Berlin zu einer Vernissage-Party zu gehen.
Christian Boros: Jedes Wochenende sind wir draußen. Berlin gehört am Wochenende den Touristen. Der Spagat Berlin – Uckermark ist ideal, an keinem anderen Fleck Deutschlands hat man so einen großen Kontrast. Es gibt keine Stadt, die aufregender ist als Berlin, kein Umland, was unaufgeregter ist und so schön. Das ist Augenfutter.
Berlin ist zum Mekka für Privatsammler geworden. Wieviel Sammler kann Berlin eigentlich noch vertragen?
Die Frage sollte doch wohl eher heißen – brauchen die Sammler Berlin? Das sieht man ja jetzt an Julia Stoschek aus Düsseldorf, die als letzte gekommen ist mit ihrer Videokunst. Ich freue mich über jeden Sammler, der hier ist. Jetzt sprechen wir mit befreundeten Sammlern aus Argentinien, die darüber nachdenken, ihre Sammlung hier zu zeigen. Es ist keine Konkurrenz. Es ist nun mal so, dass man dorthin geht, wo auch die anderen sind. Gute Sammler wollen die Kunst nicht für sich behalten. Kunst ist keine Seife, die durch Teilen weniger wird. Ein Sammler möchte, dass die Werke, die einem wichtig sind, von vielen angeschaut werden. Deshalb Berlin, das macht Sinn. Hierher kommen die Menschen, haben Hunger nach Kunst und Kultur.
Ist das nicht auch ein Hype, diese Stadt als ewige Kunststadt zu beschwören?
Nein, es ist diese Stadt, die Besucher aus Deutschland und weltweit anzieht. Es gibt keine schönere Grundsituation, als eine Stadt, in der Menschen nach Neuem suchen. Berlin befriedigt diese Gier. Nach Paris geht man, um gut zu essen, nach London, um sich Tradition anzuschauen. Hier sucht man Neues – und findet es. Ständig! Wöchentlich überrascht mich etwas.
Sie sind ja wirklich ein vorzüglicher Vermarkter. Mit Ihrer Agentur bewerben Sie mittlerweile einen Großteil der Berliner Kultur, die Art Week, Gallery Weekend, die Staatlichen Museen, Berliner Opern...
...meine Frau und ich sind Akteure, Teil des Spiels.
Und wie ist das Spiel?
Tolle war, als wir gemerkt haben, dass es eine gewisse Berlin-DNA gibt. Das heißt: probieren und experimentieren. Und es liegt eben auch an den Menschen, die nach Berlin kommen. Wir sind aus Wuppertal gekommen, Freunde aus Düsseldorf ziehen jetzt hierher. Menschen kommen in die Stadt, um ihr Leben zu ändern, um sich neu zu erfinden. Hierher kommt doch keiner, um sich auszuruhen, oder? (lacht)
Für Berlin eine Marke, ein Logo zu entwickeln ist nicht ganz einfach. Es gibt zu viel Klischees und Bilder.
Irgendwann haben wir uns einmal für das Touristenportal „visitberlin“ Gedanken gemacht, wie man Berlin werblich in anderen Städten und Ländern darstellen sollte. Muss man gar nicht. Im Prinzip müssen wir vor der Stadt warnen. Weil das Angebot so reich ist, dass man alles gar nicht schafft. Man sitzt an der Spree und weiß, man könnte gleichzeitig zehn spannende andere Dinge tun. Oper, Festival, Vernissage, Theater. Dieses Wissen um die Gleichzeitigkeit von großartigen Dingen – das ist der Puls dieser Stadt.
Sie meinen, allein der Gedanke an zehn Vernissagen an einem Abend sättigt...
... es beruhigt.
Sagen Sie mir nicht, dass Sie als Werbemann, der mit Bildern arbeitet, kein Bild im Kopf haben?
Das ist eher ein Gefühl von einem Bild, high und low, laut, leise – und das alles parallel. Genau das macht eben die Komplexität dieser Stadt aus. Es gibt kein Pars-pro-toto-Bild, also das eine Bild für Berlin. Das wäre zu simpel.
Die Marke für die kommende Art Week nächste Woche stammt von Ihnen. Das ist die reine Abstraktion, weiß und ein froschgrüner, großer Punkt, mehr nicht.
Ich glaube, die spannendsten Bilder entstehen im Kopf. Man kann Berlin wirklich nur abstrakt darstellen, die bunten Bilder passieren im Kopf. Wenn meine Mutter an Berlin denkt, denkt sie an die Oper, und Sie wahrscheinlich an die Kunst. Abstraktion zeigt Größe. Eine kleine Stadt muss bebildern. Eine große Stadt kann so cool abstrakt reagieren.
Sie kaufen Bilder, Sie schauen Bilder, Sie produzieren Bilder für die Werbung. Beeinflusst die Kunst die Werbung oder andersherum?
Das ist eine Wechselwirkung. Ich habe einfach einen Riesenhunger nach Bildern. Die Neugier ist ein Garant, jung zu bleiben. Eine alte Tante, die man besucht, die fragt nicht mehr, sondern erzählt nur. Ein Zeichen von Alter, wenn man sich nicht mehr für Neues, Anderes interessiert. Solange man sich interessiert, bleibt man jung. Berlin ist eine junge Stadt.
Was ist für Sie der Unterschied zwischen Kunst kaufen und sammeln.
Das Sammeln fängt genau dann an, wenn die Wände voll sind zu Hause und man trotzdem weitermacht. Eigentlich hat man ja keinen Platz mehr.
2008 haben Sie den Kunst-Bunker in Mitte eröffnet. Alles gut gelaufen?
Ach, wir hätten nie gedacht, dass uns so ein Interesse entgegenkommt. Wir hatten anfangs eine Person, die sich zu den Öffnungszeiten am Sonnabend vorne hinhockte. Mittlerweile haben wir 26 Angestellte, bei mehreren Hunderttausend Besuchern im Jahr. Wir bieten Führungen in vier oder fünf Sprachen an.
Als Sie anfingen zu sammeln in den 90er-Jahren, kauften Sie britische Künstler wie Damien Hirst und Tracy Emin. Harte, taffe Werke. Dagegen wirkt heute vieles wie mit Weichspüler durchzogen.
Wir sammeln jetzt fast 30 Jahre. Meine Frau und ich haben das Gefühl, drei Wellen, drei Dekaden erlebt zu haben. Die 90er-Jahre, die Nuller-Jahre und jetzt im dritten Jahrzehnt merke ich schon, dass es etwas völlig anderes ist. Dass mus so sein. Eine junge Generation, die nicht wie Damien Hirst und Tracy Emin mit Arbeitslosigkeit und Londons Schmutz, sondern mit dem Internet aufgewachsen und mit einem wahnsinnig heißem Kunstmarkt konfrontiert ist, sie müssen einfach ganz anders Kunst machen.
Nicht zu übersehen, dass Berlin sich verändert, auch für junge Künstler.
Der Senat muss einfach aufpassen, dass die Raum- und Ateliersituation für Künstler in Berlin nicht gefährdet ist. Das ist die größte Gefahr. Immer noch wollen Künstler weltweit nach Berlin kommen, immer noch, das hört nicht auf.
Es sind auch schon viele weggezogen.
Ich finde es völlig normal, dass man heute nicht mehr für vier Euro pro Quadratmeter ein Atelier in Mitte mieten kann. Das gibt es auch in keiner anderen Stadt. Es ist doch normal, dass Künstler wegziehen, andere Stadtteile neu entdecken. Es wäre absurd, dass man künstliche Biotope - wie einen Streichelzoo – erhält, wo man für vier Euro Bilder malen kann. Aber aufpassen muss man.