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Fatih Akin über „Tschick“: „Das musste mein Film werden“

| Lesedauer: 10 Minuten
Peter Zander
Im Lada saß er immer hintendrin: Regisseur Fatih Akin (M.) mit seinen Darstellern Anand Batbileg (l.) und Tristan Göbel

Im Lada saß er immer hintendrin: Regisseur Fatih Akin (M.) mit seinen Darstellern Anand Batbileg (l.) und Tristan Göbel

Foto: Studiocanal

Der Regisseur wollte das Buch unbedingt verfilmen, kam aber nur auf Umwegen dazu. Ein Gespräch über sein Lebensthema und heilige Kühe .

Ein erstes Treffen im Soho-House fiel ins Wasser. Weil Fatih Akin einen falschen Zug genommen hatte und erst viel später in Berlin eintraf. Im zweiten Anlauf, nun im Hotel de Rome, hat es dann aber geklappt. Am Montag feiert sein teils in Marzahn gedrehter Film „Tschick“ im Kino International Berlin-Premiere, am Donnerstag kommt er dann in die Kinos. Gut gelaunt erzählt er, wie der Film fast an ihm vorbeigegangen wäre und dann doch wie ein Bumerang zu ihm zurückgekehrt ist.

Berliner Morgenpost: Herr Akin, wollten Sie, als Sie selber 14 waren, auch mal ausreißen, abhauen, nur weg von zuhause?

Fatih Akin: Nee, das hatte ich nie. Ich bin eigentlich recht gut klargekommen mit meinem Elternhaus. Ich bin auch erst spät zu einem Reisetyp geworden, mit Interrail, als ich 17 war.

Also gibt es keine persönlichen Anknüpfungspunkte bei „Tschick“.

Naja, Mir ist zumindest der Aspekt vertraut, dass man als Jugendlicher in ein Mädchen verliebt ist, das einen nicht mit dem Arsch anschaut. Ich kenn auch das Gefühl, dass sie es dann doch tut, du dich aber nicht mehr für sie interessierst, weil das Leben es dich besser gelehrt hat. Dieser Teil des Romans war mir sehr vertraut.

Eigentlich sollte ja David Wnendt „Tschick“ verfilmen. Wie ist der Film bei Ihnen gelandet?

Als ich 2011 auf der Frankfurter Buchmesse war, hat man mir das Buch am Rowohlt-Stand in die Hand gedrückt. Noch auf dem Rückweg nach Hamburg habe ich das gelesen. Und spätestens in der Mitte, wenn sie in die Sterne gucken, wusste ich, das will ich verfilmen. Ich wollte dann vom Verlag die Filmrechte bekommen. Aber das wollte so ziemlich die halbe Republik. Herrndorf war da schon schwer krank und kümmerte sich nicht mehr darum. Ich habe parallel auch an „The Cut“ gearbeitet, und als da die Finanzierung zustande kam, habe ich den gemacht. Während des Drehs habe ich dann erfahren, David Wnendt würde „Tschick“ verfilmen. Ich mag seine „Kriegerin“, das ist einer der besten deutschen Filme der letzten Jahre. Das war dann okay für mich.

David Wnendt und die Produzenten haben sich dann aber einvernehmlich getrennt. Vordergründig, weil Wnendt länger an seiner Hitler-Satire „Er ist wieder da“ gearbeitet hat. Es soll aber auch um künstlerische Divergenzen gegangen sein.

Darüber weiß ich nichts. Aber sieben Wochen vor Drehbeginn von „Tschick“ bin ich angerufen worden, ob ich noch Interesse hätte. Da habe ich natürlich Ja gesagt. Das war Schicksal. Ich habe mir das so gewünscht. Dann sollte es nicht so sein. Und am Ende doch.

Normalerweise bereitet man so einen Film über zwei Jahre vor. Sie hatten sieben Wochen – und noch nicht mal die Darsteller.

Normalerweise macht man sowas nicht. Da bereitest du dich genaustens vor und weißt jedes Detail. Deshalb war das für mich auch mit Sicherheit die anstrengendste Produktionszeit, die ich je hatte. David hatte einen Jungen für die Rolle des Maik gecastet, da habe ich mir aber Bänder angesehen und fand den auf den ersten Blick nicht richtig. Mein erster Arbeitstag bestand dann darin, dem abzusagen. Auf Tristan Göbel als Maik bin ich erst eine Woche vor Dreh gekommen. Er war zwei Köpfe kleiner als der Tschick-Darsteller Anand Batbileg. Das ist einer der Gründe, warum ich den Film im Format 1:1,85 gedreht habe und nicht 1:2,35 – sonst wäre immer einer der beiden oben oder unten angeschnitten gewesen. Auf die Art konnte ich aber auch im Lada hinten drin sitzen und Regieanweisungen geben. Im Breitwandformat wäre ich immer im Bild gewesen.

Sie produzieren seit „Gegen die Wand“ all Ihre Filme selbst. War das auch mal erholsam, sich nur auf Regie zu konzentrieren?

Es war ein erstes Mal in vielerlei Hinsicht. Ich arbeite sonst ja auch immer mit demselben Team, hier stand die Crew zum Teil schon fest. Aber das hatte auch etwas Befreiendes. Ich will ja auch immer mal in Hollywood drehen, das ist so ein Traum von mir. Wenn das mal passieren sollte, müsste ich ja auch so arbeiten. „Tschick“ war jetzt nicht eine Simulation für Hollywood. Aber schon mal eine gute Vorbereitung dafür.

„Tschick“ ist Ihre erste Romanverfilmung, und dann gleich ein solcher Bestseller. Wie hoch ist da der Erwartungsdruck, der auf einem lastet?

Natürlich ist „Tschick“ sowas wie eine heilige Kuh. Aber davon muss man sich komplett befreien. Du darfst da keine Romanpolizei im Nacken spüren. Du kannst es sowieso nicht allen recht machen. Bücher sind wie Freunde, die begleiten dich ein Leben lang. Und jeder hat eine eigene Beziehung dazu. Es gibt nicht einen „Tschick“-Roman, sondern zwei Millionen. Ich habe eben meinen verfilmt. Man darf es auch nicht möglichst vielen recht machen, sonst verzettelt man sich. Aber ich habe so gedreht, dass ich hoffte, so hätte es Herrndorf gefallen können. Auch wenn das wahrscheinlich auch nicht gelungen ist.

Herrndorf, der schon schwer krank war, hatte früh Lars Hubrich mit einem Drehbuch betraut.

Und das war eine große Hilfe. Ich kann nur von Lars schwärmen. Der ist ein großer Drehbuchautor, und wir haben schnell rausgefunden, dass wir ähnlich ticken. Lars war dann wie ein Bindegleid, wie ein Kompass für diese Herrndorf-Welt.

Wie Herrndorf Hubrich, hatten auch Sie einen Gewährsmann: Hark Bohm, der mit „Nordsee ist Mordsee“ vor 40 Jahren schon mal einen ganz ähnlichen Film gemacht hat.

„Nordsee“ hat nicht nur mich, er soll auch Herrndorf begeistert haben. Deshalb hatte auch Hark Interesse, das Buch zu verfilmen. Als „The Cut“ immer konkreter wurde, habe ich dann eine Weile lang überlegt, den Film nur zu produzieren und Hark die Regie anzuvertrauen. Das war aber vielleicht einer der Gründe, warum Rowohlt das nicht an mich geben wollte. Weil die dachten, der steht gar nicht wirklich dahinter. Hark und ich haben gerade an einem anderen Film geschrieben, den ich als nächstes machen will, „Aus dem Nichts“. Als dann wie aus dem Nichts „Tschick“ wieder zu mir kam, war er fast traurig, dass ich das zuerst machen will. Aber das musste halt sein. Und das Buch von „Tschick“ brauchte noch Schliff, es war klar, dass schaff ich nicht allein in sieben Wochen. So habe ich Hark mit ins Boot geholt.

Dann ist auch Uwe Bohm so eine Art Zitat?

Der hat damals den Jungen gespielt, der der Rolle von Maik ähnelt. Und jetzt spielt er dessen Vater, ich fand das cool. Und Uwe hat sofort mitgemacht.

Der Fremde, der Andere, zwei Welten, die sich treffen – das ist irgendwie ihr Lebensthema?

Irgendwie schon. Das musste einfach mein Film werden.

Da mögen Sie mir verzeihen, wenn ich jetzt mit einer Frage zur Türkei komme.

Wahrscheinlich werde ich um den heißen Brei herumreden.

Wie empfinden Sie die derzeitige Lage nach dem Türkei-Putsch? Stimmt es, dass man sich inzwischen auch hierzulande als Türkischstämmiger positionieren muss?

Diesen Druck empfinde ich nicht. Aber mein Leben bewegt sich halt auch auf anderen Ebenen. Es gibt nur zwei starke Komponenten in meinem Leben, das ist meine Familie und das ist die Filmerei. Beides ist sehr einnehmend. Ich war gerade so mit dem Schnitt von „Tschick“ beschäftigt und mit dem Konzertfilm „Westernhagen Unplugged“, das ich von alldem wenig mitbekommen habe.

Als Sie mit „The Cut“ einen Film über den Genozid in Armenien gedreht haben, sind aber auch Sie bedroht worden, haben sogar eine Morddrohung erhalten.

Als wir gedreht haben, haben wir das ja james-bond-mäßig top secret gehalten. Und später... Mit der Morddrohung habe ich auch ein bisschen kokettiert: Das muss man mir erst mal nachmachen. Wenn ich einen Druck gespürt habe, dann war das nicht der von reaktionären Kräften. Der Druck war die politische Korrektheit. Wenn ich den Film heute gucke, bin ich froh, dass ich ihn gemacht habe. Aber ich würde ihn heute ganz anders machen.

Sie haben jüngst an junge Migranten appelliert, sich mit Deutschland zu identifizieren. Ein Aufruf zur Integration?

Ich wollte damit nur sagen, dass man nicht warten soll, bis man akzeptiert wird, sondern dass man sich selber aktiv als Teil dieses Landes annimmt. Mein Sohn ist elf und macht mir da große Hoffnung. Der hat einen türkischstämmigen Vater und eine Mutter, die halb Deutsche, halb Mexikanerin ist. Da ist also Indianerblut, Türkenblut und deutsches Blut drin. Ein Mestize eben. Und der hat überhaupt kein Problem, sich damit auseinanderzusetzen oder gar für irgendeine Seite zu entscheiden. Der wird nicht mehr blöd angequatscht. Das war, als ich Kind war, noch ganz an-ders. Da ist vieles selbstverständlicher geworden.