Kultur

Die große Eigensinnige

| Lesedauer: 5 Minuten
Felix Müller

Ein Film widmet sich dem Leben der Schriftstellerin Lou Andreas-Salomé

Es gibt leider nur wenige Frauen, über die so viel geschrieben wurde wie über Lou Andreas-Salomé, die große Schriftstellerin, Essayistin und Psychoanalytikerin. Das begann schon zu ihren Lebzeiten im 19. Jahrhundert. Der sie schrankenlos verehrende Rainer Maria Rilke entleibte sich lyrisch geradezu, um ihre Gunst zu erlangen: „Lösch mir die Augen aus, ich kann dich sehen“, schrieb er etwa, „Wirf mir die Ohren zu, ich kann dich hören. Und ohne Füße kann ich zu dir gehen.“ Und der wohl ebenso hoffnungslos verliebte Friedrich Nietzsche schwankte, wie so oft in seiner Prosa, zwischen den Extremen: „Lou ist scharfsinnig wie ein Adler (...) sie hat einen unglaublich lauteren und sicheren Charakter“, schrieb er zunächst, um später über sie zu zürnen: „Diese dürre, schmutzige, übelriechende Äffin mit ihren falschen Brüsten – ein Verhängnis!“

Eine Frau, die niemand zu fassen bekam

Was auch immer der Philosoph mit „falschen Brüsten“ gemeint haben mag: In den Zeugnissen der Männer spiegelt sich auch die Hilflosigkeit, mit diesem weiblichen Wesen umzugehen. Denn Lou Andreas-Salomé befand sich nicht nur intellektuell auf und zuweilen über ihrer Augenhöhe, sondern sie wusste auch immer Abstand zu wahren vor körperlichen Besitzansprüchen. Ihre Unabhängigkeit und ihre Weigerung, sich in die weiblichen Rollenmuster des 19. Jahrhunderts zu fügen, machen die Faszination von Lou Andreas-Salomé aus und haben sie zu einer Symbolfigur der Emanzipation gemacht. Entsprechend unüberschaubar ist die Literatur, die über sie verfasst wurde.

Die Regisseurin Cordula Kablitz-Post hat sich nun an den ersten Spielfilm gewagt – und sich dabei an die bewährten Mechanismen biografischen Erzählens gehalten. Es ist das Jahr 1933, als der Germanist Ernst Pfeiffer (Matthias Lier) die inzwischen über 70-jährige Andreas-Salomé (Nicole Heesters) in ihrem Haus in Göttingen besucht – angeblich, um psychologischen Rat für einen Freund einzuholen, tatsächlich aber, weil er selbst unter einer Schreibblockade leidet. Die menschenscheue Frau lässt sich auf den Mann ein und blickt mit ihm auf ihr Leben zurück, das der Film nun in Rückblenden erzählt. Er geht zurück in die Kindheit in St. Petersburg, wo Lou Andreas-Salomé früh lernte, sich unter fünf Brüdern durchzusetzen. Ihre Eigensinnigkeit illustriert der Film mit einer Szene, in der dem jungen Mädchen verboten wird, auf einen Baum zu klettern – und Lou das weder verstehen noch beherzigen kann.

Ihr Drang nach tieferer Einsicht in die Geistesgeschichte wird zunächst von ihrem protestantischen Hauspfarrer befriedigt – doch wie so oft noch in ihrem Leben muss Lou feststellen, dass es der Mann nicht bei intellektueller Zuwendung belassen will. Überraschend macht er ihr einen Heiratsantrag – und Lou entscheidet sich, fortan der körperlichen Liebe zu entsagen. „Ich möchte frei sein, unabhängig. Ein Mann und Kinder lassen sich damit nicht vereinbaren!“, soll sie später schreiben.

Im Kontrast zur Entschlossenheit dieser Frau nehmen sich die etwas linkischen Annäherungsversuche Rilkes, für dessen Rolle Julius Feldmeier die nötige körperliche Ähnlichkeit mitbringt, fast komisch aus. Rilke dichtet hartnäckig und schwärmerisch. Er sucht immer wieder ihre Nähe, und doch will es ihm lange Zeit nicht gelingen, das Herz dieser spirituell so offenen und körperlich so unzugänglichen Frau zu erobern. Männern, die ihre Freundlichkeit im patriarchalen Geist der Zeit als sexuelles Angebot interpretierten, musste sie ganz gegen ihren Willen immer wieder Enttäuschungen bereiten – der Film erzählt nicht nur eine Emanzipations-, sondern auch eine präzise Kulturgeschichte des Kampfes zwischen den Geschlechtern.

Katharina Lorenz leiht dieser Frau in der Blütezeit ihres Lebens mit einer grandiosen schauspielerischen Leistung ihr Gesicht – so wie man sich auch nur schwer von Alexander Scheer abwenden kann, der Nietzsche mit seinem imposanten Schnurrbart eine sympathische Schlitzohrigkeit gibt. Zusammen mit Nietzsche und ihrem alten Freund Paul Rée (Philipp Hauß) unternimmt sie einen Ausflug an die oberitalienischen Seen – und im Werben der Männer um sie spiegelt sich ihr ganzes Leben – zu dem natürlich auch gehörte, dass Andreas-Salomé der Liebe dann doch irgendwann nicht mehr widerstehen konnte und dem Begehren Rilkes schließlich nachgab.

Im Unterschied zu anderen neueren „Biopics“ hat sich Cordula Kablitz-Post entschlossen, ein ganzes Leben in den Blick zu nehmen, einschließlich der späteren Beziehung zu Sigmund Freud. Das hat gute Gründe – denn anders ist es nicht zu verstehen. Es nimmt aber auch ein mitunter etwas zu gemächliches Erzähltempo in Kauf. Dennoch: Ein interessanter Film über eine sehr interessante Frau.

Ab heute im Kino.