Kultur

Porträts auf der Mauer

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Elisa von Hof

Der Berliner Dokumentarfotograf Kai Wiedenhöfer klebt Kriegsbilder aus dem Syrienkonflikt auf die Rückseite der East Side Gallery

Sie schaut aus trüben Augen in die Kamera. Die Jeans an ihrem linken Bein ist hochgeschoben, bis knapp übers Knie. Darunter, ein Stumpf. Salam ist dreizehn Jahre alt. Sie war gerade auf dem Weg, ein Geburtstageschenk für ihre Schwester zu kaufen, als eine Bombe neben ihr explodierte. Salam – das Bein komplett zertrümmert und voller Granatsplitter – kommt in eine Behelfsklinik, ein paar Kilometer entfernt von ihrer südsyrischen Heimatstadt, Dera’a. Sie wird sieben- bis zehnmal operiert, ob sie jemals mit einer Prothese laufen kann, ist ungewiss. Salam ist eine von einer Million verletzten Syrern und Syrerinnen, die seit Beginn des Kriegs in ihrem Land auf der Flucht sind. Der Berliner Fotograf Kai Wiedenhöfer hat 40 von ihnen in Flüchtlingscamps und Zeltstädten in Jordanien fotografiert, auch Salam. Aber kein Museum, keine Institution wollte die Bilder ausstellen. Weil er findet, dass sie dennoch gesehen werden müssen, hat er sie jetzt an einen ganz anderen Ort gebracht: die Berliner Mauer. Auf der von der Straße nicht einsehbaren Rückseite der East Side Gallery zeigt seine Ausstellung „War on Wall“ ab heute auf 340 Metern Mauerlänge Panoramabilder des zerstörten Syriens und Fotos seiner ehemaligen Bewohner.

Seit 2012 ist Wiedenhöfer (50) immer wieder mit der Kamera in Syrien unterwegs. Ein Mal auch mitten in einem Luftangriff. Das sei schon etwas unangenehm gewesen, sagt er, „aber in die Hosen scheißen kann man sich später.“ Er habe viel darüber nachgedacht, wie man diesen Krieg visualisieren könne. Wie man den Menschen in Deutschland und anderswo klar machen könne, was da wirklich vor sich ginge. Er hat sich dafür entschieden, die Schrecken des Konflikts anhand persönlicher Geschichten zu erzählen. Dass man die nun auf der Mauer nachlesen kann, ist kein Novum für Wiedenhöfer. Bereits vor drei Jahren nutzte er den Ort als Ausstellungsfläche.

Neben den menschengroßen Por­trätfotos der Kriegsverletzten sind ihre Schicksale auf die Mauer geklebt. So erfährt man, dass Duwa’a (2) und ihre Schwester Shaha (5) die dem Betrachter etwas scheu entgegenlächeln, Beinprothesen und Gehhilfen tragen, weil Granaten sie beim Spielen verwundeten. Oder dass die Anwältin Hadija, ihren verstümmelten Arm eng an die Seite pressend, auf dem Weg zu einem Mandanten von einer Bombe getroffen wurde.

Zwischen den Menschen sind immer wieder drei mal neun Meter große Panoramaaufnahmen der zerstörten Stadt Kobane zu sehen. Ruinen, Trümmer, Stadtskelette. Keines der Bilder ist ästhetisch, keines schön. Sollen sie auch gar nicht sein. Sie zeigen die grausamen Zerstörungen eines Krieges, der noch immer nicht beendet ist.

East Side Gallery, Mühlenstraße. Open Air, bis 25. September.