Slapstick

Wie es die Torte auf die politische Bühne schaffte

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Volker Blech
Die Mutter aller Tortenschlachten: Stan Laurel und Oliver Hardy im Slapstick-Kurzfilm „Ihre Sternstunde“ von 1928.

Die Mutter aller Tortenschlachten: Stan Laurel und Oliver Hardy im Slapstick-Kurzfilm „Ihre Sternstunde“ von 1928.

Foto: Getty Images / Moviepix/Getty Images

Von Storch, Wagenknecht, Sarrazin: Politiker werden zunehmend Opfer von Tortenwerfern. Dabei gehört die feine Backware zur Komödie.

Torten sind süß, weich und schmackhaft. Das Martialischste, was man ihnen nachsagen kann, ist, dass sie Kalorienbomben sind. Die meisten Menschen essen sie jedenfalls gern, eine statistisch irrelevante Gruppe wirft auch mit ihnen. Derzeit gibt es wieder einen Trend zu Tortenwürfen. Nach Berlins AfD-Chefin Beatrix von Storch und Sahra Wagenknecht von der Linken traf es zuletzt Thilo Sarrazin (SPD). In den politischen Reihen gibt es seither mehr oder weniger aufrichtige Empörung darüber. Es hängt auch davon ab, welche Partei sich getroffen fühlt. Denn irgendwie bleibt da immer noch das komödiantische Element kleben. Tatsächlich ist der Tortenwurf eines der wenigen Slapstick-Elemente, das den Weg auf die große politische Bühne geschafft hat.

Mr. Flip bedrängt eine Verkäuferin feiner Backwaren

Der Tortenwurf hat seine eigene Kulturgeschichte, die im Varieté des 19. Jahrhunderts begann. Also in einer Zeit, als die feine Backware den Markt eroberte. Selbstredend gibt es auch andere Dinge, die die Schadenfreude bedienen, etwa die Bananenschale. Aber das Ausrutschen bleibt selbstverschuldet. Die Stummfilm-Ära bedient sich der Torte als aktives Mittel des sich Wehrens. Ganz bescheiden fing es 1909 mit dem Slapstick-Kurzfilm „Mr. Flip“ an. Ben Turpin spielt darin einen Mann, der mit Frauen anbandeln möchte und von einer Backwaren-Verkäuferin mit der Torte gestoppt wird. Turpin selbst war Sohn eines Konditoreibesitzers und hatte seine Komiker-Karriere im Vaudeville-Theater und im Zirkus gestartet. Als Urmutter aller Tortenschlachten gilt „Die Schlacht des Jahrhunderts“ von 1927 mit Stan Laurel und Oliver Hardy. Für die Dreharbeiten wurden 3000 Torten hergestellt.

Der Stummfilm lebte zuerst vom Gestischen. Bei dem US-amerikanischen Komiker-Duo gab es durchaus brutalere Bestrafungsmaßnahmen. Ein immer wiederkehrender Gag ist es, wenn Laurel mit seinem gestreckten Zeigefinger in Hardys Auge sticht. Dann geht es auch darum, Schmerz zuzufügen. Die Sahnetorte hat zuerst die Aufgabe, den anderen lächerlich zu machen. Es ist eben nicht vergleichbar mit dem mittelalterlichen Pranger, wo sich die Stadtbevölkerung mit Fallobst und Steinen am Verurteilten abreagierte. Wenn im heutigen politischen Raum auch mit dem Vergleich von Tortenwerfern zum Terrorismus insbesondere der RAF operiert wird, dann geht das eher auf das Pranger-Modell zurück. Der vermeintlich moralisch Höherstehende vollzieht öffentlich eine Strafaktion, aber er selbst bleibt unerkannt in seiner Gruppe verborgen.

Der Tortenwerfer will gesehen werden. Es gehören also immer mindestens zwei dazu. Es gibt notorische Tortenwerfer wie den belgischen Komiker Noël Godin, der sich bereits an Bill Gates oder Nikolas Sarkozy vergriffen hat. Um Godin herum gibt es eine „Torten-Internationale“. Bekennerschreiben liegen auch bei den aktuellen Fällen vor. Sie führen in den sozialen Netzwerken zu noch mehr Klicks und Followern. Möglicherweise befeuert die derzeit schnelle Verbreitung der Protestaktionen die Zunahme von Tortenwürfen. Es erklärt, warum die Aktionen nur noch von Schlagworten und keinem ernsthaften politischen oder wirtschaftlichen Diskurs mehr begleitet werden. Es geht rein um die Aktion und die ebenso medial verwendbare Reaktion der Getroffenen. Denn es ist offenbar unmöglich, mit einer Torte im Gesicht zu lachen. Und darüber hinweg zu gehen. Eine der ersten Fragen danach ist immer, ob der- oder diejenige Strafanzeige stellen wird. Rechtlich gesehen ist es mindestens eine Beleidigung. Vor allem aber bleibt es eine Verunsicherung.

Es ist zu vermuten, dass der Tortenwurf irgendwann für Überdruss in der Netzgemeinde sorgen wird. Das ist seinerzeit auch in der Stummfilmindustrie passiert, die es mit dem Tortenverbrauch übertrieben hat. Man hat es einfach zu oft gesehen. Heute ist die Torte retro, aber im Film eigentlich nicht mehr komisch. Dick und Doof sind hingegen nicht ausgestorben. Das Stummfilm-Bild des Landstreichers, des Mannes von der Straße, der sich irgendwie Luft verschaffen möchte gegen die Widrigkeiten des aufgezwungenen Lebens, das hat sich gehalten. In den 60er-Jahren kam der Tortenwurf in die Politik, in Deutschland mit den 68ern. In den letzten zehn Jahren wurden zunehmend Politiker getortet: Günther Oettinger, Jürgen Trittin, Karl-Theodor zu Guttenberg, Philipp Rösler oder Reinhold Gall.

Die Monty Pythons haben alle Varianten durchgespielt

Die letzte große künstlerische Aufarbeitung des Tortenwurfs fand Anfang der 80er-Jahre durch die britische Komikertruppe Monty Python in „Live at the Hollywood Bowl“ statt. Es ist ein Lehrstück über Kombinationen: Einer gegen einen, zwei gegen einen, mit Vorbereitung oder aus dem Hinterhalt heraus. Hauptsache, es ist komisch. Ein Modell wird gern vergessen: Jemand stürzt sich selbst in die Torte. Es ist aber nicht damit zu rechnen, dass diese Variante in der Politik zum Tragen kommt.