Alles so leer hier: Kühl, weiß, unwirtlich. Ein einziges metallenes Krankenbett steht in dem Raum unter einer tief hängenden halb transparenten Decke, durch die sich Neonröhren abzeichnen. Mittendrin gibt es eine sehr schmale, sehr steile Treppe, die irgendwohin führt, nach oben, was auch immer da sein mag. Einmal betritt François, das ist der Mann in Pyjamahose, der zu dem Krankenbett gehört, diese Treppe. Nicht gerade forsch, er ist wahrlich kein beherzter Typ, trotzdem kracht er sofort ein, hängt verquer zwischen den Stufen, denn die Treppe war aus Papier gebaut. Für ihn keine Tragödie, dass er drinnen bleiben muss, er kann mit der Menschheit da draußen eh nicht viel anfangen. „Sie widert mich an“, sagt er.
In dem Buch geht es um eine grundsätzliche Wertediskussion
In den Romanen von Michel Houellebecq sind solche Typen zu Hause, es gibt sie reichlich. Auch seinen Skandalroman „Unterwerfung“, den Regisseur Stephan Kimmig jetzt zusammen mit dem Dramaturgen David Heiligers fürs Deutsche Theater bühnentauglich machte, hat er mit so einem Antihelden ausgestattet.
Im Roman muss François, der frustrierte Literaturwissenschaftler, sich an der Gesellschaft reiben, sich mit der selbst empfundenen Sinnlosigkeit seiner Existenz auseinandersetzen. Während die Welt um ihn herum gänzlich andere Formen annimmt, sich die politischen Kräfte neu sortieren und Frankreich im Jahr 2022 einen muslimischen Präsidenten bekommt, der dem Patriarchat zu neuen Ehren verhilft und Polygamie erlaubt.
Das Buch erschien am 7. Januar 2015, dem Tag, an dem islamische Terroristen den Anschlag auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ verübten. Es wurde erbittert diskutiert, ob der Text als zynische islamophobe Dystopie zu verstehen sei oder ob er nicht vielleicht doch durchaus visionär und hellsichtig sei.
Man muss vom Theater keine Antwort darauf erwarten, aber man möchte es doch wenigstens spüren, das scharfsinnig Verführerische, mit dem Houellebecq den Raum weit aufmacht für eine grundsätzliche Wertediskussion. Zumindest, wenn man davon ausgeht, dass das Stück nicht allein deshalb auf dem Spielplan gelandet ist, weil es irgendwie gut in die Zeit passt und vielleicht noch zum Spielzeitmotto, das im Deutschen Theater derzeit „Der leere Himmel“ heißt.
Was also macht nun Stephan Kimmig? Er steckt den Patienten (im Bühnenbild von Katja Haß) in ein Einzelzimmer, legt ihn ins Krankenbett. Und Europa gleich mit dazu. Gut, verstanden, das Abendland ist malade und verkriecht sich unter die Decke, der Kapitalismus und der Werteverfall sind als Krankheitserreger identifiziert, eine frische Medizin muss her, auf dem Etikett müsste bestenfalls irgendwas mit neuem Humanismus stehen.
Unser François ist, als Prototyp des westlichen Mannes, der ideale Testpatient dafür. Das Problem dabei: Der Versuch findet unter Laborbedingungen statt, und das verharmlost Houellebecqs Gedankenexperiment doch sehr, nimmt ihm die Schärfe, den Witz, das Verführerische.
François liegt und leidet, an seinen wunden Füßen, an der Welt, an seinen erotischen Fantasien. Steven Scharf gelingt es, ihm genau die richtige Dosis Müdigkeit und Verlorenheit einzuspielen, sein François ist zwar etwas lethargisch, aber nicht komplett kraftlos, egoman, aber durchaus reflektiert, ein Unbehauster, der vielleicht ein bisschen zu viel an Sex denkt.
Was soll er auch tun, die Dramaturgie sieht ja leider vor, dass alles, was da draußen passiert, bei ihm nur zu Besuch ist. Als Livereportage von den Präsidentschaftswahlen zum Beispiel. Sogar die schwarze Muttergottes aus dem Wallfahrtsort Rocamadour gibt sich auf einem Handkarren die Ehre im Krankenzimmer. Ein Arzt, eine Schwester, ein Pfleger kümmern sich um François und seine Heilung. Lorna Ishema ist nicht nur Krankenschwester, Uni-Kollegin und Ex-Geliebte, sondern verkörpert, als schwarze Schauspielerin mit blonder Perücke, auch Marine Le Pen, wie sie vor der Trikolore „Es lebe die Republik!“ ausruft.
Marcel Kohler ist pflegender Zivi und Uni-Kollege Lempereur, der zu berichten weiß, dass es an der frisch islamisierten Sorbonne horrende Gehälter zu verdienen gibt. Womit auch Robert Rediger, der Uni-Präsident (gespielt von Wolfgang Pregler) den kränkelnden François zur Konversion überreden will. Und natürlich mit der Polygamie. Das sind Argumente, für die François, der sich selbst als so „politisiert wie ein Handtuch“ bezeichnet, dann doch ziemlich zugänglich ist.
Zumal er zu diesem Zeitpunkt schon Besuch vom neuen Präsidenten persönlich hatte. Bei Camill Jammal ist dieser Ben Abbes von der Bruderschaft der Muslime einer, der seine politischen und territorialen Visionen mit menschlichem Gestus begleitet und am Krankenbett erst mal Händchen hält, bevor er sich zu François in die Kissen kuschelt.
Kimmigs zweistündiger Adaption fehlt die Entschiedenheit
So harmlos ist die Sache bei Houellebecq aber eben nicht, Kimmigs rund zweistündiger Theateradaption fehlt die Entschiedenheit, sie deutet vieles an, aber zu wenig aus. Die Verbannung eines gesellschaftlichen Zustands, der beileibe nicht nur Frankreich, sondern mindestens ganz Europa betrifft, in das aseptische Umfeld eines Hospitals, das wird der Brisanz, die dem Roman innewohnt nur schwer gerecht. Die titelgebende Unterwerfung, sie geht am Ende nicht aktiv von François aus, sondern fällt einfach so vom Himmel. Er selbst bleibt einfach stehen, die Decke senkt sich, bis sein Kopf durch das Papier stößt. Plötzlich hat er freie Sicht, macht vorsichtig ein paar Schritte auf den Resten des Überbaus, die jetzt am Boden liegen, dann haut er wortlos ab.
Deutsches Theater, Schumannstr. 13a. Wieder am 27. April, 20 Uhr und 11. Mai, 20.30 Uhr