Kultur

Houellebecq beim Wort nehmen

| Lesedauer: 6 Minuten
Matthias Wulff

„Unterwerfung“ hat morgen Premiere im Deutschen Theater. Ein Treffen mit Stephan Kimmig

Man ist mit einer denkbar einfachen Frage zu dem Gespräch im Theater in der Schumannstraße gefahren. Die Aufführung von „Unterwerfung“, dem Roman von Michel Houellebecq, steht bevor, am kommenden Freitag ist Premiere im Deutschen Theater. Das ist natürlich eine große Sache, wenn ein sehr heutiger Bestseller auf die Bühne kommt und ihn ein Autor geschrieben hat, den selbst die Menschen vom Hörensagen kennen, die noch nie eine Zeile von ihm gelesen haben. Denn „Unterwerfung“ – ein Roman über das islamisierte Frankreich im Jahr 2022 – kam an dem Tag im Januar 2015 auf den Markt, an dem islamische Attentäter die Redaktion von „Charlie Hebdo“ betraten und elf Menschen töteten.

Stephan Kimmig und David Heiligers sitzen im sogenannten Konferenzraum des Theaters, der ein kleiner Saal ist mit eng bestückten Bücherreihen und einem großen, hellen Holztisch, der wie gemacht erscheint für ausgerollte Karten und Schlachtpläne. Stephan Kimmig ist seit 2009 Hausregisseur des Deutschen Theaters, zusammen mit Intendant Ulrich Khuon wechselte er vom Thalia Theater in Hamburg nach Berlin – ein Schritt, über dessen Weisheit auch sieben Jahre nach der Entscheidung Publikum wie vielleicht auch Betroffene grübeln, war die Wertschätzung zu Hamburger Zeiten doch deutlich höher.

David Heiligers wiederum ist seit dieser Spielzeit Dramaturg am Deutschen Theater. Sie ergänzen sich gut: Stephan Kimmig, Jahrgang 1959, streicht immer wieder mit sanfter Gewalt über sein Gesicht, ganz der erschöpfte Mann an einem Konferenztisch. Wenn er spricht, wedelt er mit der Hand, um einen unvollendeten Gedanken in die Luft zu schleudern, und David Heiligers’, Jahrgang 1984, Aufgabe ist es, ihn zu erden und verbalisieren.

Er erzählt, dass ihm „sehr mulmig“ beim Lesen geworden ist

Die Frage an den Regisseur und an den Dramaturgen lautet: Wie wollen sie „Unterwerfung“ auf die Bühne bringen? Das ist eine denkbar einfache Frage, könnte man meinen, eine Frage, die sich ja der Dramaturg wohl als Erstes stellen wird. Wobei „Unterwerfung“ kein Stoff ist, der für die Bühne gemacht ist. Michel Houellebecq schreibt nicht dialogisch, Hauptfigur François, ein Literaturwissenschaftler Mitte 40, ist introspektiv, und er ist mehr allein, als man es einem Menschen wünscht. Er beobachtet den Weltverlauf mit interessierter Gleichgültigkeit, obgleich sich Frankreich in dem Verlauf des Romanes komplett verändert, nachdem sich die muslimische Partei im zweiten Wahlgang gegen die rechtsnationale Front National durchgesetzt hat. François nimmt seine Entlassung aus der Universität genauso emotionslos hin wie später seine Wiedereinstellung. Juden müssen das Land verlassen, arabische Länder rücken an die EU heran, die Schulpflicht endet mit dem zwölften Lebensjahr, und für die anschließende Zeit wird eine handwerkliche Tätigkeit empfohlen, die Frauen verschwinden aus dem beruflichen und gesellschaftlichen Leben. Das Einzige, was François in all den Gesprächen mit Islamkundigen nachdrücklich interessiert, ist, wie das genau mit der Polygamie laufen wird und ob er tatsächlich mehrere Frauen heiraten könne. Sex und noch viel mehr die Panik vor fehlendem Sex sind wie im Grunde immer bei Houellebecq, sieht man von seinem Meisterwerk „Karte und Gebiet“ ab, seine bevorzugten Themen.

Stephan Kimmig sagt, dass es im Theater darum gehe, „subkutane Dinge, die passieren, die die Welt verändern, aufzuzeigen“. François sei für ihn ein Suchender „an den Rändern, an den Leerstellen“. Herausforderung bei der Inszenierung sei es, sagt David Heiligers, die „Leere zu zeigen, ohne dass es langweilig wird“. Das sei die Kunst der Inszenierung, so wie man Chaos auf der Bühne nur zeigen könne, wenn es einer klaren Ordnung folge.

Lieblingswort des Nachmittags ist auf jeden Fall „Leere“, was auf zwei Dinge hindeutet: Es könnte ein beklemmender Abend werden, an dem der eine mal nicht redet und der andere mal schweigt. Und Stephan Kimmig und David Heiligers geht es zweitens bei der Inszenierung um die Erschöpfung im Kapitalismus, um die Müdigkeit mit einem System, das alle Formen – Siegeszug, Krise, Stagnation – schon erlebt hat und noch immer das Leben beherrscht. Die Stärke des Stoffes, sagt David Heiligers, ist, dass „er dazwischen bleibt, dass er nicht wertet und dass er die Leute nervös macht, weil er sie zwingt, eine Haltung zu entwickeln“.

Sie wollen den Stoff, fügt er hinzu, nicht nacherzählen, es werde „kein Prosaabend“. Und das, obwohl sie beide von der Poetik Houellebecqs schwärmen. „Er kann lakonisch sein, selbstverachtend, radikal“, sagt Stephan Kimmig, „er schützt sich nicht. Diese Härte und die Genauigkeit und die große Sehnsucht zu verbinden – das schafft sonst niemand.“

Stephan Kimmig erzählt, dass ihm „sehr mulmig“ beim Lesen geworden sei, mit „wie wenig Energie so ein Land rübergleitet und wie die intellektuellen Männer mitmachen, es geschehen lassen, sich einrichten – das Patriarchat wird lässig wieder eingeführt“. Mit anderen Worten: Die Dramaturgen lesen „Unterwerfung“ mit heutigen Augen.

Unmittelbar nach den Morden in Paris im Januar 2015 sah das anders aus, da wurde der Roman quasi als Begleitext zur islamistischen Bedrohung und zum Zusammenleben mit Muslimen gedeutet. Da nützte es auch nicht, dass Michel Houellebecq darauf verwies, wie unendlich leid er dieses Themas sei, das „man gar nicht mehr verstärken kann. Es ist unmöglich, darüber noch mehr zu reden.“ Stephan Kimmig möchte Michel Houellebecq beim Wort nehmen. „Bei ‚Unterwerfung‘, so sagt er, „geht es nicht um den Islam, sondern um uns.“

„Unterwerfung“, Deutsches Theater, Schumannstraße 13 A, Premiere 22. April, 23. April, 27. April, 11. Mai