Oper

Waltraud Meier singt ihre letzte Kundry

| Lesedauer: 5 Minuten
Volker Blech
Mezzosopranistin Waltraud Meier (60) ist eine der weltweit gefeierten Wagner-Sängerinnen

Mezzosopranistin Waltraud Meier (60) ist eine der weltweit gefeierten Wagner-Sängerinnen

Foto: www.waltraud-meier.com/ / BM

Die Wagner-Partie hat ihre Karriere seit 1983 begleitet. Waltraud Meier singt die Kundry letztmalig im „Parsifal“ am Schiller Theater

„Wir haben keine Kultur des Abschieds“, sagt Waltraud Meier irgendwann im Gespräch. Das findet zwischen zwei Proben an der Staatsoper statt. Tatsächlich tun sich viele ihrer Sängerkollegen schwerer, am Ende ihrer Weltkarriere von der Opernbühne loszulassen. „Ich wollte in einer Phase aufhören, in der mich die Leute noch nicht fragen: Ach, singst du immer noch? Zu einem guten Schluss gehört auch der richtige Zeitpunkt, mit einer der zentralen Rollen aufzuhören.“ Am Montag wird Waltraud Meier bei Daniel Barenboims Festtagen im Schiller Theater zum letzten Mal die Kundry in Richard Wagners „Parsifal“ singen. Es ist der standesgemäße Abschied einer Primadonna.

Waltraud Meier hat 1983 ihre große Karriere als Kundry in Bayreuth begonnen. Zehn Jahre später übernahm sie die Isolde in Heiner Müllers „Tristan und Isolde“-Inszenierung. Von den Wagner-Festspielen hat sie sich erst im Jahr 2000 krachend getrennt, weil sie mit der Besetzungspolitik des damaligen Festivalpatriarchen Wolfgang Wagner nicht einverstanden war. Geblieben sind Isolde und die Kundry als ihre großen Lebensrollen. Es sind zugleich zwei der elitärsten, kraftstrotzenden Opernpartien. Höher hinauf geht es nicht. Von der Isolde hat sie sich bereits im Dezember 2014 an der Staatsoper verabschiedet und wurde anschließend vom Intendanten Jürgen Flimm zum Ehrenmitglied des Hauses ernannt. Was sie besonders gefreut hat, sagt die Münchnerin, zumal sie ja nie Ensemblemitglied war. Aber eine Wohnung hat die gebürtige Würzburgerin in Berlin. In der Staatsoper werden immer wieder mal Anekdoten von einer geradlinigen, humorvollen und allürefreien Waltraud Meier erzählt.

Längere Erholungspausen nach den Vorstellungen

Entsprechend ehrlich ist auch die Begründung der 60-Jährigen, warum sie von der Kundry nach 34 Jahren loslassen will. „Man kann die Kräfte noch bündeln für den Moment, für den Abend. Da kommt auch das Adrenalin dazu“, sagt sie: „Aber danach brauche ich längere Erholungsphasen als früher. Es ist mehr als ein Muskelkater, die ganzen Gelenke tun weh. Man ist körperlich sehr gefordert. Was muss man als Sängerin nicht auf der Bühne auf den Knien kriechen und robben. Das spüre ich nach den Jahrzehnten umso stärker.“

Nach den Vorstellungen ginge ihr manchmal noch etwas im Kopf herum, erzählt sie. Beim „Tristan“ – drei Akte voller Anspannung – sei es sogar mehr gewesen als beim „Parsifal“. „Bei der Kundry kann man rein stimmlich schon im dritten Akt langsam herunter kommen. Natürlich spiele ich noch aktiv wie zuvor. Aber die Stimmbänder beruhigen sich schon.“ Kundry ist jene zwielichtige Frauenfigur, die im „Parsifal“ ewig leben muss, weil sie Jesus Christus auf seinem Weg zur Kreuzigung auslachte. Am Ende lässt Richard Wagner sie erlöst und entseelt zu Boden sinken. „Kundry geht ins Nirvana, weg von allen irdischen Unzulänglichkeiten, den Nöten, Egoismen, Begierden“, sagt Waltraud Meier.

Kundry in 22 verschiedenen Inszenierungen

Die Wahrheit über die Kundry sei, so die Sängerin, „dass sie sich vom unerlösten, vollkommen unbewussten, ja animalischen Dasein hin zur allumfassenden Liebe entwickelt. Das ist ihr Weg. Dafür ist sie für Parsifal das Vehikel, damit er zu sich selbst findet.“ Wie oft sie die Kundry verkörpert hat, kann sie nicht genau sagen. Mitte der 90er-Jahre hat sie mit der Liste aufgehört. Sie weiß immerhin, dass sie in ihrer Karriere rund 2500 Vorstellungen – ohne Konzerte – gesungen hat. Und dass sie mindestens 22 verschiedene „Parsifal“-Inszenierungen erlebt hat. Und damit auch viel Regie-Unsinn.

„Es ist keinesfalls eine Liebesgeschichte, weder zwischen Kundry und Parsifal noch zwischen Kundry und Amfortas“, betont sie. Wagner hätte sich Zeit seines Lebens für das Menschliche interessiert. Er wollte wissen, was das Unglück der Welt ausmacht. „Das Elend der Welt liegt in der Gier, nicht nur in der sexuellen Begierde. Diese Gier führt zur Macht und dem Sich über andere erheben wollen“, sagt die Wagner-Frontfrau. Alle Frauen-Partien bei ihm seien sehr komplex, fügt sie hinzu: „Er hat Frauen in ihrer Vielschichtigkeit sehr gut erkannt. Auch das Mütterliche steckt tief drin in der Kundry. Eine Mutter gebiert, schützt auf der einen Seite, auf der anderen hält sie aber auch fest und ist egoistisch.“

Das Leben soll etwas entspannter werden

Waltraud Meier möchte künftig ein bisschen kürzer treten. „Die großen Partien schließe ich ab. Ich möchte wesentlich mehr Liederabende machen. Das kam in all den Jahren viel zu kurz. Ich möchte mich nicht mehr nur von Termin zu Termin bewegen. Von Herausforderung zu Herausforderung. Mein Leben soll etwas entspannter werden.“ Was ihre Kundry-Nachfolgerinnen angeht, sieht sie pragmatisch. „Ich habe mir überhaupt keine anderen Kundrys angeguckt. Das mache ich nicht. Schauspieler machen so etwas auch nicht. Jeder muss seinen eigenen Zugang innerlich finden. Ich fände es auch nicht gut, wenn sich nachfolgende Sängerinnen an mir orientieren würden. Was soll das? Sie sollen authentisch und keine Kopie sein.“