Kultur

Erst kommt der Kuss. Dann die Katastrophe

| Lesedauer: 6 Minuten
Katrin Pauly

„Die Glasmenagerie“ mit den Thalbachs in der Komödie: Neurotisch die Mutter, verloren das Kind

Mütter sind manchmal schwer zu ertragen. Besorgte Mütter am allerschwersten und Amanda Wingfield ist sehr grundsätzlich besorgt: „Was fangen wir mit dem Rest unseres Lebens an?“, das ist die Frage, die sie mühsam durch ihren Alltag und den ihrer beiden Kinder schleppt.

Mangels Perspektive bleibt allen dreien nur die Flucht. Sohn Tom rennt ins Kino und schlägt sich die Nacht um die Ohren, Tochter Laura kurbelt ihre Musikbox an, spielt alte Platten, poliert ihre zerbrechliche Glastiersammlung. Und Mutter, die träumt von den alten Zeiten als ihr die Männer des Mississippi-Deltas zu Füßen lagen. Es herrscht nicht gerade eine heitere Gemütslage in Tennessee Williams‘ Depressionsdrama „Die Glasmenagerie“. Ausgerechnet Katharina Thalbach nun, die Regie-Spezialistin für krachige, volkstümliche Lustspiele, hat sich für die Komödie am Kurfürstendamm diesen Stoff vorgenommen und zur Familiensache erklärt mit Tochter Anna und Enkelin Nellie in den weiblichen Hauptrollen. Es wurde ein Abend, der mit einigen Überraschungen aufzuwarten hatte.

Was ein Abend: Tim Renner und Claus Peymann in einem Raum

Dazu gehörte sicher nicht die hohe Promidichte auf dem roten Teppich, Thalbach-Abende sind meist gesellschaftliche Großereignisse, Kulturstaatssekretär Tim Renner, BE-Intendant Claus Peymann, Schauspieler wie Ilja Richter oder Milan Peschel saßen genauso im Publikum wie Jogi Löw. Den Bundestrainer dürfte die präzise Aufstellung von Katharina Thalbach gefallen haben.

So ganz ohne Komik geht es dabei natürlich nicht, aber die ist dieses Mal alles andere als brachial, sondern ganz fein und vorsichtig, denn dahinter lauert bei jeder Figur bösartig die Melancholie und die Einsamkeit. Fast demütig nähert sich die Regisseurin dem Stoff, was in der ersten Dreiviertelstunde durchaus zu ein paar dramaturgischen Längen führt, aber die poetische Grundstimmung, die sitzt von Anfang an. Bühnenbildner Ezio Toffolutti hat dafür ein ebenso schönes wie schlichtes Setting entwickelt: Lange weiße Stoffbahnen flattern an Holzstangen, die sich wie Mobiles immer wieder neu arrangieren lassen. Die Figuren können sich ihre Spielräume zurückziehen, werden die anderen dabei aber niemals so ganz los, immer bleibt irgendwo ein Schatten. Auf der Bühne eher klassisches Mobiliar, Sofa, Küchentisch, Garderobe, alles ein bisschen angeschrammelt. Thalbach belässt die Geschichte da, wo sie hingehört, in einer Seitenstraße in St. Louis in den 1930er Jahren.

Hier leben die Wingfields ihr perspektivloses Leben. Der Vater hat sich früh aus dem Staub gemacht, Sohn Tom schuftet als Fabrikarbeiter für den Lebensunterhalt der Familie und Laura ist ganz und gar aus dieser Welt gefallen. Tom will weg. Mutter will erst einen adäquaten Verehrer für die schüchterne Laura. Also bringt Tom seinen Arbeitskollegen Jim zum Abendessen mit. Es kommt zum Kuss. Und dann zur Katastrophe. Ohne Aussicht auf irgendeine Perspektive für die Wingfields, denn Jim hat sein Leben, was keiner ahnte, längst mit einer anderen verplant.

Dass Anna und Nellie Thalbach in den Rollen von Amanda und Laura auch im wahren Leben Mutter und Tochter sind, macht ihre Beziehung in dieser Tristesse der zersplitternden Träume fraglos, zusätzlich anrührend. Es ist nicht die erste Gemeinschaftsproduktion der drei Thalbach-Frauen, schon in „Roter Hahn im Biberpelz“ und „Der Raub der Sabinerinnen“ feierte das Trio Erfolge.

Amanda Wingfield ist bei Anna Thalbach eine Frau, die zu neurotischen Überreaktionen neigt. Nur vordergründig gibt sie das robuste Muttertier, ist in Wahrheit aber unübersehbar von einer Aura großer Verlorenheit umgeben, die sie immer mal wieder mit ein paar Scherzen zur Aufheiterung zu verdecken sucht. Noch verlorener ist ihre Tochter. Von Nellie Thalbach als leicht wunderliches, verletzliches Wesen angelegt, das ihre spärlichen Antworten nur so dahin haucht, ein zerbrechliches Mädchen und völlig ohne Selbstbewusstsein aufgrund einer leichten Behinderung am Bein. Und wie wunderbar blüht sie auf als sie mit Jim O’Connor (bei Florian Donath ein patenter, kerniger Charmeur), dem ersehnten Heilbringer, erst ganz zaghaft und sich ihrer Sehnsucht dann doch ergebend im Kerzenschein einen Walzer tanzt zu der Musik, die aus der gegenüberliegenden Bar durch das Fenster weht. Fraglos eine der schönsten Szenen des Abends.

Die wirklich größte Überraschung dieser Inszenierung aber ist nicht Katharina Thalbachs neue Melancholie, nicht die schön zurück genommene Komik, die größte Überraschung ist Leonard Scheicher in der Rolle des Tom Wingfield. Was für eine schauspielerische Entdeckung, noch Student an der Schauspielschule „Ernst Busch“ und bislang wenig auf Berliner Bühnen in Erscheinung getreten. Bei dem muss man keine Sorge haben, dass er neben dem Thalbach-Clan nicht zur Geltung kommen könnte. Er macht seinen Tom Wingfield ganz unaufdringlich zur Zentralfigur des Abends. Was auch deshalb passend ist, weil sich in Tom ja auch Tennessee Williams‘ eigene Lebens- und Familiengeschichte spiegelt.

Williams hat das Ganze nämlich angelegt als „Spiel der Erinnerungen“, weshalb Tom nicht nur Figur der Geschichte, sondern gleichzeitig auch ihr Erzähler ist. Dafür tritt Leonard Scheicher immer wieder vor den Vorhang, witzelt am alten Standmikrofon mit dem Drummer Emanuel Hauptmann, der aus dem kleinen Seitenbalkon live spielt. Danach kehrt er sofort in die Geschichte zurück, sein Tom ist lässig und verzweifelt, aufgewühlt und liebevoll, ein Typ so sehr aus Fleisch und Blut wie es eine Bühnenfigur überhaupt nur sein kann. „Ich koche über“, sagt Tom einmal. Er tut es, wie der gesamte Abend, auf kleiner Flamme mit großer Wirkung.

Komödie am Kurfürstendamm, Kurfürstendamm 206/209 bis zum 17..4.