Eine buchstäbliche Sternstunde war das Konzert der Berliner Barock Solisten, die zum ersten Mal den Bratschisten Nils Mönkemeyer als Gast zu sich gebeten hatten – und ihrem Sternbild damit einen neuen Planeten hinzufügten. Atemlosigkeit herrschte im Kammermusiksaal, denn wenn das Universum sich um einen Himmelskörper erweitert, dann ist der zuhörende Mensch nicht mehr als ein Staubkorn. Ein jubelndes Staubkorn später, aber nicht, solange es ein kosmisches Feuerwerk von ganz Nahem zu bewundern gibt.
Der Geiger Gottfried von der Goltz ist als Leiter der Berliner Barock Solisten kein Einheizer, eher ein Entkleider. Georg Philipp Telemanns „Ouverture des nations anciens et modernes“ wird seziert und blitzschnell neu zusammengesetzt. Die humorvolle Betrachtung junger und alter Menschen diverser Nationen ist mitreißend. Für ältere Deutsche wählt das Ensemble eine Bogenführung, die klingt, als würde Wind über Schilf streichen. Jüngere Deutsche dagegen bekommen einen Darth-Vader-Touch. Es bleibt das Geheimnis der Musiker, wie sie ganz ohne Stahlsaiten ein metallisches Surren erzeugen, als strichen sie ihre Instrumente mit Laserschwertern. Und die Magie setzt sich fort. Nils Mönkemeyer auf Darmsaiten spielen zu hören, ist gewöhnungsbedürftig. Wer die Brillanz und Goldfadenästhetik kennt, mit welcher der Klangchirurg sonst operiert, muss sich auf den Bernsteinschimmer erst einmal einlassen, den er seiner Viola entlockt. Für wenige Takte schaukelt er auf dem Klangmeer, das die Berliner Barock Solisten soeben aufgewühlt haben, wie ein leuchtendes Stück uralten Baumharzes, das vom Grund heraufgespült wird. Lustvoll lässt er sich treiben, lächelt hierhin und dorthin ins Ensemble, wiegt sich. Und dann greift er beherzt zu, wird Teil des Klangkörpers, setzt eine unglaubliche Energie frei. Als würde der Bernstein wieder flüssig und längst vergessene Informationen freigesetzt. Es klingt wie selbstverständlich, Carl Philipp Emanuel Bachs Musik genau so zu spielen. Jede Geste ist echt oder nur für das Publikum bestimmt – und deshalb fühlt sich jeder im Saal, als habe er Anteil an diesem Schaffensprozess. Im vorletzten Jahr, zum 300. Geburtstag von Bach, kam dessen Konzert mit der Wotquenne-Verzeichnisnummer 170 oft als Cellokonzert zu Gehör. Doch Bach selbst hat es auch für Viola, Streicher und Basso continuo gesetzt. Als habe er gewusst, dass Mönkemeyer und die Berliner Barock Solisten es eines Tages spielen würden.
Als Kleinod angekündigt, zeigt Telemanns Konzert für vier Violinen, wie ein Ensembleklang unerwartet zerstieben kann. Wie bei Witwe Bolte zerren vier Solisten an ihren Partien. Am Ende kommt glücklicherweise nicht „der Tod herbei“, es folgt ein weiterer Blick, der tief ins Universum geht. Nils Mönkemeyer muss das Konzert schon Dutzende Male aufgeführt haben, aber hier und jetzt erfindet er es neu. Am Ende wird Mönkemeyer kurzerhand geadelt. Konzertmeister Gottfried von der Goltz reißt ihn an seine Brust, und Raimar Orlovsky begrüßt ihn als neues Familienmitglied der Barock Solisten.