Nicht jeder kommt in den Berlinale Palast. Die Berlinale Lounge direkt gegenüber steht dagegen jedem frei

Vor dem Berlinale Palast, direkt am roten Teppich, steht für zehn Tage ein zweigeschossiger Pavillon. Es ist das dritte Jahr, in dem er dort steht, und jedes Jahr taucht er so plötzlich auf, um dann wieder so schlagartig zu verschwinden, dass man sich hinterher fragt, ob es ihn wirklich gegeben hat. Doch dieser kleine, temporäre Bau hat sich zum Zentrum entwickelt für all jene, die keine Einladungen zu den angeblich heißesten Partys haben, keine Karten für die Premieren, keine Einlassbändchen für die geschlossenen Gesellschaften.

Am Freitag singt Tom Schilling „Major Tom“ von David Bowie

Die Audi Berlinale Lounge ist ein Ort mit offenen Türen für das Publikum, von mittags bis nachts geöffnet. Nur zu den Veranstaltungen am Abend sollte man rechtzeitig kommen. 150 Gäste passen hinein, und das macht die Lounge doch wieder zu einem exklusiven Ort. Am Freitagabend, Viertel vor acht, gibt es kein Reinkommen mehr, Dutzende stehen noch an und wollen die Show „Ein Hit ist ein Hit“ sehen, die den albernen Untertitel „Bowienale“ trägt. Deutsche Stars covern Songs von David Bowie, dazu gibt’s Geschichten von denkwürdigen Begegnungen und jede Menge Fakten zu Bowies filmischer Seite. Einzig dem Überraschungsgast Tom Schilling gelingt es, noch ein paar Gäste reinzuschmuggeln. Wer die richtigen Freunde hat, den kann eben kein Türsteher aufhalten.

Sogar die Bühne ist rappelvoll: Gitarre, Bass, Keyboard, Schlagzeug, Querflöte, Backgroundchor. Fast 30 Künstler treten im Laufe des Abends auf. Den Anfang macht Tom Schilling und natürlich singt er „Major Tom“. Seine Stimme ist ein wenig dünn, aber dafür kann er nichts. Alle Stimmen sind dünn an diesem Abend. Es ist, wie Eduard Meyer, der Tonmeister der Hansa Studios, sagt, ein „komplizierter Raum“. Eduard Meyer hat mit David Bowie seine legendären Berlin-Alben aufgenommen, aus der beruflichen Beziehung entwickelte sich eine Freundschaft, sie schrieben sich bis zuletzt. Sein Auftritt hat etwas Berührendes, als er dann noch zum Cello greift, wird es still, fast andächtig in der Lounge.

Anne Ratte-Polle und Lars Rudolph treten auf, Regisseur Uli Edel erzählt, wie er David Bowie doch noch in seinen Film „Christiane F.“ bekam und schließlich der gesamte Soundtrack aus seinen Songs bestand, obwohl kein Geld vorhanden war. Der Grund dafür: David Bowie war einfach ein verdammt guter Kerl. Das ist der Eindruck, der immer entsteht, wenn Menschen von ihren Begegnungen mit Bowie berichten. Doch das Publikum an diesem Abend möchte nicht trauern, es möchte feiern, tanzen, mitsingen.

Hinten an der Bar gibt es Cocktails und Wasabi-Nüsse, die Stimmung ist laut, durch die Fenster blickt man hinunter auf den roten Teppich, der sich füllt in diesem Moment. Gäste strömen aus dem Kino, die Premiere des Wettbewerbsbeitrags „Midnight Special“ ist gerade vorbei, und von hier oben lässt sich alles beobachten. Stars erkennt man daran, dass sie sich wie welche benehmen. Wer immer sich für wichtig hält, zeigt es mit großen Gesten. Großes Lachen, große Umarmungen, große Energie. Alles ist Auftritt, wenn Berlinale ist und immer irgendwo eine Kamera lauert. In der Lounge fühlt man sich wie in einer gläsernen Kapsel, einem Paralleluniversum.

Am Sonnabend zeigt sich Jasmin Tabatabai als Jazzinterpretin

Die Programmleiterin Christine von Fragstein hat freie Hand bei der Kuratierung und kann damit ganz offensichtlich umgehen. Für zahlreiche Filmfestivals hat sie schon gearbeitet und vor über zehn Jahren den Berlinale Talent Campus gegründet. Alles andere als eine Unbekannte also, vielmehr ist Christine von Fragstein ein einziges Netzwerk. Schauspieler und Brancheninsider kommen zu den öffentlichen Gesprächen in die Lounge, oftmals große Namen wie Daniel Brühl kommenden Mittwoch. Auch Jasmin Tabatabai ließ sich diesen Ort nicht entgehen. Mit dem David Klein Quartett aus der Schweiz präsentierte sie sich am Sonnabendabend als famose Jazzinterpretin, die sie erst seit 2011 offiziell ist.

David Klein hatte sie quasi belagert, nachdem die beiden sich bei der Arbeit zu „Schloss Gripsholm“ kennengelernt hatten. Für ihr erstes Album gewann Jasmin Tabatabai aus dem Stand den Echo. In den letzten fünf Jahren haben sie über 100 Konzerte gemeinsam gespielt, im Frühjahr erscheint das neue, zweite Album. Doch aus dem spielen sie nicht an diesem Abend, das soll eine Überraschung bleiben, und außerdem, witzelt Tabatabai, zahlt Audi dafür nicht gut genug. Stattdessen das alte Album, das für den größten Teil der Gäste genauso neu und überraschend sein dürfte. Lieder über die Untreue, das Verlassenwerden und Alleinsein, von Hollaender und Tucholsky, dazu eigene Stücke des Saxofonisten David Klein. Es sind die Stille und Traurigkeit, die begeistern, umso mehr da man sie bei Jasmin Tabatabai nicht vermutet hatte. In den minutenlangen Instrumentalsoli wird deutlich, wie viel Glück sie auch mit diesem Quartett im Rücken hat. Es sind fantastische Musiker, die vom Publikum zu immer neuen Zugaben aufgerufen werden.

So lässt sich die Berlinale vergessen, auch wenn man mitten in ihrem Zentrum sitzt.

Die Audi Berlinale Lounge ist vom 11. bis zum 20. Februar täglich von 14.00 bis 24.00 Uhr geöffnet und frei zugänglich.