Grandios: An der Komischen Oper versetzt Barrie Kosky „Jewgeni Onegin“ auf einen Wiesenteppich

Marmelade kochen auf dem Rasen, Mädchenschlafzimmer im Grünen, Dorffest im Garten. Peter Tschaikowskys „Jewgeni Onegin“ als Kammerspiel auf der Wildwiese, für diese Inszenierungs- und Ausstattungsidee bekommen Bühnenbildnerin Rebecca Ringst und Regisseur Barrie Kosky zu Recht Jubelapplaus. Ein dicker Teppich aus grüner Wolle und künstlichen Gräsern, gewebt auf historischen Webstühlen in Sachsen, fünf Laubbäume im Hintergrund – dies ist das ganze Bühnenbild. Aber dank der fabelhaften Lichttechnik von Franck Evin ein prächtiger Schauplatz für allerhand Geständnisse, Verblendnisse und Erkenntnisse des dandyhaften Onegin, der ernsten Tatjana und des Möchtegern-Poeten Lenski.

Die Duellszene wirkt mit zwei Schreckschüssen sehr harmlos

Die Drehbühne übernimmt einen großen Teil der Bewegung in der eigentlich handlungsarmen Oper, sehr genau geführt ist jeder einzelne Chorsänger in seinen Gesten, ausbalanciert wirken Ernteheimkehr, das Picknick statt eines Dorffestes und die Ballszene. Die Inszenierung hat etwas von Sonntagabendkrimi-Gemütlichkeit, aber im guten Sinne. Die Duellszene, klug „in den Wald geschickt“, also auf die Hinterbühne, wirkt mit zwei Schreckschüssen sehr harmlos. Doch der blutüberströmte Onegin, entsetzt, dass er im alkoholermutigten Duell seinen Freund Lenski erschossen hat, wirkt trotzdem.

Böse Zungen mutmaßen, Barrie Kosky habe sich wegen der Koproduktion mit dem Opernhaus Zürich mäßigen müssen. Aber wir sehen hier nur eine andere Facette seiner vielen Handschriften. Kein Skandal, keine kreischbunten Clownerien, Kosky zeigt, was er auch kann: behutsam führen, das Innerste der Figuren ins Äußere der Protagonisten kehren.

So gelingt Günter Papendells Onegin zu einer rundum glaubwürdigen Figur, vom blasierten Jüngling und den über seinen Freundesmord Fliehenden bis zum rastlosen Gesellschaftssüchtigen, von dem man weder in Puschkins Nationalepos noch in Tschaikowskys viel gespielter Oper weiß, ob er am Ende wirklich verzweifelt ist oder nur in seinem eigenen Drama gefangen bleibt. Stimmlich ist Papendell so klar und geschmeidig, dass man sofort begreift, warum jedes Mädchen auf der Bühne von Onegin hingerissen ist.

So wie Tatjana, die introvertierte Tochter der Gutsbesitzerin, die er bei seinem Nachbarschaftsbesuch kennenlernt. Asmik Grigorian, schon als „Rusalka“ als Gastsolistin an der Komischen Oper begeisternd, reißt das Publikum immer wieder zu Szenenapplaus und später sehr vielen Bravorufen hin. Die litauische Sopranistin überzeugt durch ihre streng geführte Stimme, der zwar Schwermut, aber keine Anstrengung anhaftet. Sie hat eine starke Präsenz, oft beobachtet sie die Szene scheu und ist nicht Teil davon, doch das mit einer solchen Energie, dass sie die Augen immer wieder auf sich zieht.

Wie sie fiebrig Liebesfloskeln in ihrem Roman unterstreicht und die Sätze zu einem Brief an Onegin schreibt. Wie sie die Verletzung schon vorausahnt, als der Verehrte zu ihr in den Garten tritt. Herzzerreißend, als ihr erst der Coupletsänger (körnig: Christoph Späth) ein Lied singt und sie dann allein mit ihrem sehnlichen Wunsch nach Liebe zurückbleibt.

Ein ebensolcher Gewinn für die Inszenierung ist Margarita Nekrasova als warmherzige Amme Filippewna, die als Mitglied der Staatsoper in Moskau die Authentizität der auf Russisch gesungenen Oper stärkt. Karolina Gumos als Tatjanas Schwester Olga bleibt vor allem wegen ihres lebenslustigen Spiels in Erinnerung. Ihr Kavalier Lenski wirkt als angemessen ungelenk gestaltete Figur. Der tschechische Tenor Aleš Briscein gibt ihm genau die richtige Portion beherzten Luftholens zu jeder seiner Arien, die stimmlich frisch aber in der Intonation manchmal etwas wackelig wirken.

Vielleicht liegt das auch an der Teppichdämpfung auf der Bühne, durch die die Sänger einander manchmal schlecht zu hören scheinen. Dafür kommt sie dem Orchester zupass. Sehr differenziert ist der Klang, sensibel geführt von Generalmusikdirektor Henrik Nánási, sehr glaubwürdig Hand in Hand mit der Regie. An der Musik kann man Koskys Deutung des Schlusses ablesen. Im letzten Akt kehrt Onegin nach ruhelosen Reisen zurück und landet auf einem Fest beim Fürsten Gremin (Alexey Antonov). In Sekundenbruchteilen überlegt er, ob dessen frisch angetraute Gattin die von ihm einst verschmähte Tatjana sei. Die folgende im Überschalltempo gespielte Arie klingt, als sänge er eher von Tollwut als von Liebe. Genial! Damit entlarvt Kosky ihn nicht als Liebesuchenden, sondern als süchtig nach Glück.

Während des folgenden Zwischenspiels wird das Fürstenpalais mit wenigen Handgriffen abgebaut wie eine Bauklotzburg, zurück bleibt die Wiese, auf der alles begann und die nun weiträumiger wirkt. Wieder mit neuer Lichtstimmung, im Vollmondschein. Tatjana und Onegin treffen ein letztes Mal aufeinander, Onegin ist hingerissen und schwört ihr Liebe. Doch am Ende bleibt er zurück und krümmt sich im Gras. Wohl nicht aus verlorener Liebe, sondern in Qual um das wieder nicht erreichte Glück.

Komische Oper, Behrenstr. 55–57, Mitte. Tel.: 47 99 74 00. Nächste
Termine: 3., 6., 26. und 28. Februar.