Mitte der Woche hat Manfred Rettig seinen Rücktritt als Vorstandssprecher der Stiftung zum Aufbau des Berliner Schlosses bekanntgegeben. 2009 hatte er die Aufgabe übernommen, am 1.3.2016 wird sie nun enden. Ein Großteil der Aufgabe sei getan, sagt er, Neil MacGregor, einer der Gründungsintendanten des Humboldt-Forums, übernehme ein fertiges Haus.
Berliner Morgenpost: Herr Rettig, so richtig verstehen wir Ihren plötzlichen Abgang immer noch nicht.
Manfred Rettig: Ich habe zu häufig erlebt, dass manche so an ihrem Posten geklebt haben, dass sie rausgetragen werden mussten. Man sollte zu seiner Arbeit einen Abstand haben. Und dadurch, dass ich in das Kuratorium wechsele, bleibe ich dem Projekt verbunden und kann es weiterhin mit einem wachen Auge verfolgen.
Hatte Ihr Rücktritt fachliche oder persönliche Gründe?
Ein Großteil der Arbeit ist gemacht. Für mich als Ingenieur ist das Schloss fertig. Das Gebäude ist komplett durchstrukturiert, alle Fachingenieursleistungen sind geplant, und für mich ist gedanklich klar, wo was hinkommt. Jetzt ist der Punkt gekommen, wo es lediglich noch um die Umsetzung geht. Die Kostensicherheit ist gewährleistet. Ich bin jetzt an einem Punkt, an dem ich beruhigt das Projekt abgeben kann.
Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, ist da nicht so gelassen und erwartet, dass, wie er sagt, „der technisch nicht unkomplizierte Innenausbau“ nun beginnt.
Wenn man sich die Hamburger Elbphilharmonie anschaut oder auch den Flughafen in Berlin, dann sieht man, dass Probleme nur dann entstehen, wenn nachträglich noch Änderungen vorgenommen werden sollen. Und diese darf es im Schloss eben auch nicht geben: Die Exponate sind bis auf den Zentimeter genau eingeplant, wir wissen genau, wo was hinkommt.
Aber wenn alles so prima läuft, wie Sie es darstellen, dann verstehen wir nicht, warum Sie nicht bis 2019 bleiben und den Erfolg auskosten?
Ich werde im März 64 Jahre alt und bin gesund und munter und will noch etwas vom Leben haben.
Als Sie Ihren Vertrag 2014 verlängern ließen, wussten Sie bereits, dass Sie zwei Jahren später 64 Jahre alt sind.
Ich habe damals in den Vertragsverhandlungen ausgemacht, dass ich mir die Freiheit nehmen möchte, selber schnell zu entscheiden, wann ich gehe. Für mich war damals schon klar, dass ich nicht bis 2019 weitermache.
Auf der andern Seite haben Sie schon klar gemacht, dass Sie Umplanungen fürchten.
Mich haben die Äußerungen von Kulturstaatsministerin Monika Grütters aufgeschreckt. Sie hatte in einem Interview gesagt, dass der Gründungsintendant des Berliner Humboldt-Forums, Neil MacGregor, bei seiner Arbeit „freie Bahn“ hätte. Er hat keine freie Bahn, strukturell ist bereits das meiste abgeschlossen.
Und wo kann Neil MacGregor gestalten?
Die Wechselausstellungen im Erdgeschoss muss er planen. Oder auch, mit welcher Ausstellung er in die Eröffnung des Humboldt-Forums geht, wie bringt er dem Publikum den Dialog der Kulturen nahe? Es gibt noch genug für ihn zu tun, ohne dass baulich etwas verändert werden muss. Eine Brandwand kann nicht mehr entfernt werden.
Was fürchten Sie denn konkret?
Meine Furcht ist, wenn jetzt einer der Mit-Intendanten sagt, dass doch bitte die eine oder andere Wand wegkommen solle. Dann geht bei mir die Klappe runter. Dann muss nämlich auch gleich die Struktur des Hauses verändert werden. Für Utopien ist es zu spät.
Das ist keine gute Nachricht für Neil MacGregor.
Neil MacGregor fängt seine Arbeit in Berlin zu spät an. Das gleiche gilt für Paul Spies, der als Direktor des Berliner Stadtmuseums erst im Februar beginnt. In den letzten Monaten war es doch so, dass ein Kurator hier etwas gesagt hat und ein Museumsdirektor dort etwas gefordert hat und dann ein Vertreter des Landes Berlin auch noch eine tolle Idee hatte. Es gibt von der inhaltlichen Seite aber keinen, der die Fäden aufnimmt und zusammenfügt.
Es gibt also ein organisatorisches Problem.
Und das Schlimme ist: Es ist schon lange bekannt. Bereits 2009 habe ich die Gründung einer Zweck-GmbH empfohlen. Mit Hermann Parzinger und seiner Stiftung haben wir in guter Zusammenarbeit und mit großem Engagement aller Beteiligten die heutige bauliche Konzeption entwickelt. Das wäre Aufgabe eines Intendanten gewesen.
Ausgerechnet jetzt, wo Neil MacGregor kommt und die von Ihnen bemängelte Kakophonie beenden könnte, gehen Sie.
Ich sage es gern noch einmal: Neil MacGregor übernimmt ein fertiges Haus. Und er hat für die kurze Zeit, die er bleiben wird, genug inhaltliche Baustellen, um die er sich kümmern muss.
Neil MacGregor kommt Ihrer Meinung nach also zu spät und bleibt zu kurz.
Ich finde es großartig, dass Neil MacGregor in Berlin arbeiten wird. Er kann populär Wissen verbreiten, diese Gabe ist selten, und meine Sorge war lange, dass das Haus zu akademisch wahr genommen wird und nur vom gehobenen Bildungsbürgertum besucht wird. Aber ja, ich hätte mir schon gewünscht, dass es eine feste Intendanz gegeben hätte. Und wir haben, das darf man nicht vergessen, drei Gründungsintendanten mit Neil MacGregor, Hermann Parzinger und Horst Bredekamp, die das nebenberuflich machen. Ich schätze alle drei persönlich, aber das Schloss braucht einen Vollzeitintendanten.
Ist das Schloss 2019 vollständig fertig?
Auf jeden Fall. Wir haben einen abgestimmten Terminplan und danach sind wir 2019 eröffnungsfähig. Wir sind sowohl was die Kosten wie auch was den Termin betrifft exakt im Plan.
Hatten Sie nicht schon mal angedeutet, dass sich der Termin verzögern wird?
Nein. 2020 wird das erste Jahr sein, in dem das Humboldt-Forum komplett betrieben wird. Dass wir 2019 eröffnen kann, da stehe ich total dahinter. Wir werden 2019 ein Gebäude eröffnen, dass auch technisch eingespielt und durchgeprüft ist.
Ihr Verhältnis zu den Vertreter des Landes Berlin soll schwierig gewesen sein, hören wir.
Persönlich habe ich mich mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller bestens verstanden, es gab fachliche Differenzen. Ich war davon überzeugt, dass „Welt der Sprachen“, das Projekt der Landeszentralbibliothek, sehr gut im Humboldt-Forum angesiedelt ist. Darauf dann zu verzichten, so wie er es Anfang 2015 entschieden hat, finde ich bedauerlich.
Wie würden Sie die Gründe für Ihren Abgang gewichten, wie stark waren persönliche Motive, wie ausschlaggebend atmosphärische Störungen?
Wichtig für mich ist es, das Ende meiner Arbeit selbst bestimmen zu können. Und mir geht es darum, dass ich das Projekt nicht mehr gefährdet wissen möchte.
Dass die Führung des Humboldt-Forums zu spät und nicht mit Vollzeitkräften besetzt wurde, ist doch ein Vorwurf, der direkt an die Adresse von Kulturstaatsministerin Monika Grütters geht.
Großprojekte scheitern häufig daran, dass die Grundstrukturen der Organisation nicht richtig laufen. Ich habe sehr früh darauf hingewiesen, dass es beim Humboldt-Forum kein organisierte Unverantwortung geben darf. Hätten wir heute eine eingespielte Führung, wären vieles leichter gewesen.
Haben Sie das Frau Grütters gesagt?
Seit sie Kulturstaatsministerin ist, habe ich sie nicht oft getroffen.
Sind Sie frustriert, dass Sie von der Kulturpolitik nicht ernst genommen werden?
Für einen Pragmatiker ist das schon nicht einfach, das gebe ich offen zu, etwas gemeinsam mit den Partnern zu entwickeln und dann, wenn alles eingeplant ist, von der anderen Seite Sprüche und davon abweichende und zum Teil unrealistische Vorschläge zu hören.