Der Umzug der Dahlemer Museen ins Humboldt-Forum beginnt. Ab 11. Januar schließen die großen Abteilungen des Ethnologischen und des Asiatischen Museums. Nur das Museum für Europäische Kulturen hält als einziges Haus die Stellung im Komplex an der Arnimallee. Wie geht es weiter mit dem Haus? Ein Gespräch mit der Direktorin Elisabeth Tietmeyer.
Berliner Morgenpost: Die Schließung der zwei ohnehin nicht gut besuchten Dahlemer Museen steht bevor. Ihr Haus, allein in Dahlem, wer soll da überhaupt noch kommen?
Elisabeth Tietmeyer: Wir werden in Dahlem nicht versauern. Wir behalten hier unser Stammhaus, aber wir werden auch rausgehen in die Stadt. Raus aus dem Museum, zum Beispiel mit Pop-ups, kleinen Ausstellungen, nicht zuletzt, um das Haus in der Bevölkerung bekannter zu machen. Dies nennt man in der Museologie „outreach“.
Wo sollen Ihre Satelliten sein?
Wir sehen natürlich zuerst einmal unsere Institutionen der Staatlichen Museen. Warum nicht einmal ein Schaufenster eröffnen in der James-Simon-Galerie, nachdem sie eröffnet ist. Am Kulturforum wird das schon geplant. Und ja, das Humboldt-Forum ist auch eine Möglichkeit.
Aber wie stellen Sie sich in Dahlem auf, damit das Haus nicht ganz leer bleibt. Da braucht es doch ein neues Konzept.
Wir wollen noch stärker mit Communities und Vereinen zusammenarbeiten als bisher. Jedes Jahr präsentieren wir zum Beispiel Europäische Kulturtage, wo sich ein Land, eine Region, eine ethnische Gruppe oder eine Community vorstellt – mit vielen Veranstaltungen und einer kleinen Ausstellung zu einem besonderen Thema. So hatten wir Sámische, Slowakische, Georgische, Sardische und Småländische Kulturtage. In der Regel kooperieren wir mit Botschaften, Kulturinstituten, Vereinen oder Partnermuseen aus den entsprechenden Ländern in Europa. Wir veranstalten diese Kulturtage
seit mehr als zehn Jahren – sehr erfolgreich. So binden wir Gruppen an unser Haus.
Das heißt, die Museumsarbeit bewegt sich in Richtung Kulturzentrum?
Partizipation, die Teilhabe der Menschen an der Museumsarbeit, das ist die Zukunft. Die Kuratorinnen agieren nicht mehr allein.
Das Haus soll also eine Art identitätsstiftendes Zentrum für andere Kulturen werden?
Absolut. Zum Beispiel haben wir Georgiern die Möglichkeit geboten, ihr Land und ihre Kultur präsentieren zu können. Sie wiederum haben viele Landsleute mobilisiert, nach Dahlem zu kommen. Wir waren überwältigt. Das war eine fantastische Zusammenarbeit. Wussten Sie, wie viele Georgier es in der Stadt gibt? Ungefähr 2000, das hat uns wirklich überrascht.
In der heutigen Krisensituation darf man sich fragen, ob das Thema Europa in einem Museum wie diesem überhaupt noch greift. Müssen Sie sich da nicht neu aufstellen?
Warum? Wir sind kein „EU-Museum“, das war nie unsere Intention, als wir unser Museum 1999 gegründet hatten. Denn Kultur macht vor Grenzen nicht halt. Was ist denn zum Beispiel „deutsche Kultur“? Wenn man in die deutsche Kulturgeschichte schaut, sieht man, wie verwoben Europas Kulturen sind. Europa hört bei uns auch nicht am Ural auf. Europa zu definieren, ist schwierig, es ist ein Konstrukt, das man aus verschiedenen Perspektiven betrachten kann.
Immer mehr Berliner Institutionen bieten Programme für Flüchtlinge an. Wie sieht es da im Haus aus?
Das machen wir ebenfalls. Wir kooperieren mit einem Flüchtlingsheim in Spandau, in dem die Künstlerin Barbara Caveng mit Heimbewohnern im „Kunstasyl“ zusammenarbeitet. Ergebnisse von Workshops sollen im nächsten Jahr in der Ausstellung „daHEIM. Einsichten in flüchtige Leben“ zu sehen sein. Diese alltagskulturelle Thematik mit künstlerischen Mitteln umzusetzen, ist auch für uns ein Experiment.
Installationen zur Flucht? Wie soll das funktionieren?
Natürlich zeigen wir nicht nur einfach Installationen. Als kulturgeschichtliches Museum betten wir das aktuelle Thema historisch ein. In jedem Jahrhundert gab es Flüchtlinge, die nach Europa kamen, und solche, die aus Europa flüchteten.
Sie müssen für die Zukunft des Hauses an ein junges Publikum denken. Junge Besucher haben durch den digitalen Wandel eine ganz andere Wahrnehmung. Mit einer Ausstellung über Weihnachtskalender, wie Sie sie jetzt zeigen, kommen Sie nicht weit.
Stimmt, aber Sie waren doch auch nicht mit 25 Jahren an Weihnachtskalendern interessiert oder? Das ist etwas für „best ager“, also für ältere Herrschaften, mit Sehnsucht nach der Kindheit – und eben die Kleinen. Wir müssen verschiedene Interessengruppen bedienen als Museum der Alltagskultur, das ist unsere Herausforderung. Ansonsten sind wir sehr aktiv im sozialen Netzwerk, besonders auf Facebook und Pinterest. Wir nehmen auch an einem europäischen Projekt teil, in dem eine Museumsapp entwickelt wird. Diese kann man auf sein Smartphone herunterladen. Wenn man dann in der Ausstellung ausgewählte Objekte fotografiert, wird man diverse Geschichten bekommen. Das spricht ein junges Publikum an.
Das Problem des Hauses ist, dass der Großteil der Sammlungsobjekte aus der Kultur der unteren und mittleren Schichten im 19. Jahrhundert stammt. Damit können Sie heute kaum mehr punkten.
Das ist richtig, aber so sammelte man eben Jahrzehnte aus einem Rettungsgedanken heraus. Durch die Industrialisierung befürchtete man den Verlust der ländlichen Kulturen Ende des 19. Jahrhunderts. Danach gab es verschiedene Paradigmenwechsel in der volkskundlichen Wissenschaft: Heute können wir zum Beispiel keine Trachten zeigen, die vermeintlich typisch für eine europäische Region oder Deutschland sind, das interessiert keinen Menschen mehr. Und wenn, dann muss man verschiedene Geschichten zu einer Tracht erzählen.
Das Dilemma ist, dass Sie derzeit ihre Sammlung nicht aufstocken können, weil es eine interne Haushaltsperre gibt.
Das stimmt. Aber ohnehin ist das Sammeln von Alltagskultur nicht zu vergleichen mit dem Erwerben von Kunst. Wir haben zum Beispiel einen Ramadan-Kalender – als Adaption von Adventskalendern – gekauft. Solche Objekte sind nicht teuer, aber aussagekräftig und darum wichtig für unsere Sammlung.
Was sammeln Sie denn heute so in einem zeitgemäßen Museum Europäischer Kulturen?
Im vorigen Jahr haben wir „Conchita Wurst auf der Mondsichel“ erworben, eine Holzskulptur des Künstlers Gerhard Goder. Der Travestiekünstler Thomas Neuwirth hat 2014 beim Eurovision Song Contest (ESC) gewonnen, genau das ist auch unser Thema – Popularkultur vom Feinsten in Europa, dazu gehört auch die Gender-/Queerthematik. Der ESC fasziniert jedes Jahr Millionen von Menschen, das gehört definitiv zum heutigen immateriellen Kulturerbe. Gleichzeitig steht die Holzskulptur in der Tradition von Jesus- und Mariendarstellungen, wie wir sie häufig in Kirchen südeuropäischer Länder finden. Mit der Conchita-Skulptur können wir also eine interessante Verbindung herstellen zu ähnlichen Objekten unserer religiösen Sammlung. Das müssen unsere Themen sein, die wir diskutieren und für die Nachwelt bewahren müssen.
Langfristig soll das Museum in ein neues Haus neben dem Kunstgewerbemuseum am Kulturforum ziehen. Aber es gibt nach wie vor weder Geld noch Pläne.
So ist es. Jetzt ist dort erst einmal der Erweiterungsbau der Nationalgalerie, das Museum des 20. Jahrhunderts geplant.
Museum Europäischer Kulturen: Eingänge: Lansstraße 8/Arnimallee 25. Di–Fr 11–17 Uhr. Sa/So 11–18 Uhr. Es gibt verschiedene Ausstellungen wie „Vorfreude. Adventskalender in Europa“ oder „Schöner wohnen. Traumhäuser rumänischer Migranten“.