Der Brite Martin Amis hat eine Romansatire über Auschwitz geschrieben und sich vergriffenDer britische Autor Martin Amis ist bekannt für seine provokanten Äußerungen. Seine KZ-Satire „Interessengebiet“ gerät in einigen Szenen allerdings zum GewaltpornoDer Brite Martin Amis hat eine Romansatire über Auschwitz geschrieben und sich vergriffenDer britische Autor Martin Amis ist bekannt für seine provokanten Äußerungen. Seine KZ-Satire „Interessengebiet“ gerät in einigen Szenen allerdings zum Gewaltporno
Eine Satire über Auschwitz zu schreiben, ist an sich schon eine Provokation. Aber der britische Schriftsteller Martin Amis, der in England die Aufstellung von „Euthanasiehäuschen“ an jeder Straßenecke vorschlug, weiß sicherlich, dass Provokationen das Geschäft ankurbeln. Seinen neuen, aus drei Perspektiven geschriebenen Roman „Interessengebiet“ wollte der Hanser-Verlag nicht drucken, nun ist er bei Kein & Aber herausgekommen.
Bücher über Auschwitz, über das Verarbeiten des nicht Verarbeitbaren, des unbeschreiblich Traurigen sind wichtig, denn dass die Deutschen sechs Millionen Juden gequält und umgebracht haben, rückt in immer weitere Ferne. Daran zu erinnern heißt, das extrem Abgründige als etwas Menschenmögliches zu akzeptieren und gesetzliche, ethische und persönliche Schlüsse daraus abzuleiten. Warum wollte Hanser das Buch nicht drucken? Zumal Amis zum Auftakt in einem kleinen Interview sagte: „Ich denke, es geht weniger um Zeitlosigkeit als um die Frage, ob der Roman auf einer menschlichen Ebene universell genug ist.“ Ja, um Allgemeingültigkeit geht es vermutlich. Nur leider macht Amis sich seine Chance dazu selbst kaputt.
Dabei startet er so verführerisch, zieht den Leser hinein in die sogenannte Normalität des Nazi-Alltags im launig umschriebenen Lager „Kat-Zet“, wo Menschen selektiert und vernichtet werden von den Abgestumpften, und wo Männer wie der jüdische Märtyrer Szmul, „der traurigste Mensch der Weltgeschichte“, die Überreste der Opfer aus den Duschen kratzen, die Goldfüllungen aus den Zahnreihen brechen und ihre Haare in große Säcke stopfen, weil sie sich geschworen haben, später Zeugnis abzulegen. In solchen Szenen aber schrumpft das Buch effektheischend zum Vernichtungs-Porno. Und ständig kämpft man mit Alpträumen und Brechreiz. Warum? Um endlich zu erfahren, wie es „wirklich“ gewesen ist? Wohl kaum.
Unzählige Bücher über Massenpsychologie, Nazideutschland, Entmenschlichungs-Strategien, beklemmende jüdische Schicksale oder Fluchtgeschichten habe ich gelesen, und in den 70er-Jahren wurden wir Gymnasiasten im Geschichtsunterricht sowieso ständig mit Original-„Wochenschauen“ und Leichenbergen aus den KZs traktiert. Damals hieß es vor allem: Niemals vergessen! Dabei traf uns, die wir in den 60er-Jahren geboren waren, keine Schuld. Wir hatten meist Eltern, die im Krieg Kinder waren und seelisch tief versehrte Menschen blieben. Und Großeltern, die dem Führer zugejubelt haben.
Amis hat es gewagt, in Auschwitz eine Art Komödie anzusiedeln. Am Anfang geht das noch gut. Und der Balanceakt zwischen „normalem“ Familienleben und der höllischen Drecksarbeit, die der widerliche Lagerkommandant Paul Doll täglich verrichtet, wird beschrieben, seine innere Zerfressenheit. Aber auch die Grenze zwischen Monstrosität und Normalität, die sich täglich neu verschiebt – Beruhigungsmittel, Schnaps und der ewige Herrenmenschen-Stumpfsinn stützen das mühsam gehaltene Gleichgewicht.
Seltsam witzig sind dagegen die Passagen aus der Sicht von Golo Thomsen, einer Spielernatur, der im Buna-Werk der IG Farben Auschwitz arbeitet. Jenem Bilderbuch-Arier, der dauergeil die Frauen im „Kat-Zet“ und drumherum nach ihrer sexuellen Ergiebigkeit abtaxiert und flachlegt, und der sich dessen ungeachtet in die füllige Erscheinung von Hannah verliebt, die Frau des Lagerkommandanten.
Die „New York Times“ bezeichnete Martin Amis vor einiger Zeit als „Meister der neuen Widerwärtigkeit“. Wegen exzessiv-pornografischen Überschreitens von Ekelgrenzen habe ich auf Seite 214 aufgehört zu lesen. Alpträume, Übelkeit – wofür?