Er streift unstet durch das Dämmerlicht. Er bleibt stumm, sobald die Band aufhört zu spielen. Er redet nur durch seine Lieder, beschwört eine abgeklärte Atmosphäre, in der immer auch ein bisschen Abschied mitschwingt. Wenn Bob Dylan seine Geschichten erzählt, geht es meist um Hoffnungslosigkeit und Enttäuschungen, um verlorener Liebe, um verlorene Idealen, um das ganzen Leid, das das Leben so mit sich bringt.
Es ist ein abgeklärter Bob Dylan, der da am Dienstagabend vor vollem Haus im Tempodrom das erste von zwei Berlin-Konzerten gibt. Er hat seinen Musikern die Zügel gestrafft, es wird weniger gerockt, wieder mehr Country, Blues und vor allem dezenter Swing bestimmen den Sound. Und er wird dafür vom Publikum bejubelt, als stünden Hank Williams, Miles Davis und die Rolling Stones gemeinsam auf der Bühne.
Exakt um 20 Uhr wird es dunkel im Tempodrom und Dylan und seine Fünf-Mann-Band gehen an die Arbeit. Mit einer etwas zurückgenommenen Version von „Things Have Changed", das er 2000 für den Film „Wonder Boys" mit Michael Douglas geschrieben hat, beginnt der „lonesome cowboy" mit dem breitkrempigen weißen Hut den Abend. „Die Dinge haben sich geändert" singt er. Und auch er ändert sich immer wieder. Ein rastloser Sänger, ein umherziehender Musikant, der nirgendwo anders zu Hause ist als auf der Bühne.
Die Gitarre an den Nagel gehängt
Seine Gitarre hat er längst auf seinem Anwesen im kalifornischen Malibu in den Schrank gepackt. Breitbeinig steht er am Mikrofon, singt mit dieser über die vielen Jahre gereiften knarzigen Baritonstimme „She Belongs To Me" vom 1965er-Album „Bringing It All Back Home", bei dem er auch zur Mundharmonika greift. Und schon hier geht es darum, dass sie eben nicht zu ihm gehört. Dass sie ihm den Laufpass gibt. Man erkennt den Song nicht auf Anhieb. Dinge verändern sich. Dylan erschafft seine Musik jeden Abend neu. Es gibt kein gestern, es gibt kein morgen. Nur das Heute, in dem das Lied nur so und nicht anders klingt.
Kein anderer Künstler hat die Musik der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts so maßgeblich geprägt wie Bob Dylan. Er hat Lieder von kraftvoller Bildgewalt geschaffen, die Generationen geprägt haben. „A Hard Rain's A-Gonna Fall", „The Times They Are A-Changing", „Like A Rolling Stone", „Mr. Tambourin Man", „Knocking On Heaven´s Door". Aber er spielt sie einfach nicht. Jetzt ist nicht die Zeit dafür.
Denn der 74-jährige Sänger hat sich einem seiner Idole genähert. Auf seinem neuen, 36. Studioalbum „Shadows In The Night" interpretiert er Songs der 40er-Jahre, romantische Balladen, die Frank Sinatra im Repertoire hatte. Er streut sie auch im Tempodrom ins Programm ein. „The Night We Called It A Day" etwa, oder „I'm A Fool To Want You". Oder „Why Try To Change Me Now". Anstelle der einstigen Streicherarrangements kommt hier die Pedal-Steel-Guitar von Multiinstrumentalist Donnie Herron stimmig zum Tragen.
Hardcore-Sinatra-Fans mögen sich mit Grausen abwenden, doch Dylan macht sich die alten Lieder auf wunderbare Weise zu Eigen. Man spürt, wie er die Schätze aus dem Great American Songbook liebt. Wie er sie hegt und auf seine Verhältnisse zurechtstutzt. Und ja, er singt tatsächlich. Er geht mit den Sinatra-Coversongs pfleglicher um als mit seinen eigenen Liedern, die er auf mitunter verstörende Weise auf Tagesform trimmt. Wie den Klassiker „Tangled Up In Blue" von 1975, bei dem der Applaus des Erkennens erst aufbraust, als er bei der Refrainzeile angelangt ist.
Wenn er nicht am Mikrofon steht, setzt sich Dylan hinter einen kleinen Flügel. Dieses schrullige E-Piano, hinter dem er sich eine Zeit lang verschanzt hat, ist glücklicherweise wie seine Gitarre in der Asservatenkammer gelandet. Schließlich hat Dylan eine auf seiner „Never Ending Tour" gereifte Band hinter sich. Die Gitarristen Stu Kimball und Charlie Sexton gehören dazu, Bassist Tony Garnier, Schlagzeuger George Recile und Donnie Herron, der für Banjo, Mandoline, Geige sowie Pedal- und Lap-Steel-Gitarre zuständig ist.
Nach „Tangled Up In Blue" sagt Bob Dylan dann zum ersten und letzten Mal etwas. „Danke", knarzt er, und: „Wir machen eine Pause, wir sind gleich wieder zurück". Mehrheitlich gehören Sücke vom neuen Album und von der 2012 erschienenen Platte „Tempest" zum Repertoire. Teil zwei bekommt dann etwas mehr Druck. Es gibt den von Muddy Waters inspirierten sarkastischen Blues „Three Roman Kings", das bitterböse „Scarlet Town" und auch „Long And Wasted Years", alle vom „Tempest"-Album.
Wieder mehr Bodenhaftung
Die Bühne ist konsequent in fahles, vintage-vergilbtes Licht getaucht. Sieben riesige Scheinwerfer, wie man sie von alten Film-Sets kennt, bilden sozusagen das Bühnenbild, aber auch sie kommen nur mit gebremster Kraft zum Einsatz. Und der riesige Vorhang im Hintergrund wird so einfallsreich illuminiert, dass er mitunter wie ein verwunschener, sumpfiger Mangrovenwald anmutet.
Es ist faszinierend mitzuerleben, wie Dylan seinen Lieder immer wieder neue Facetten abgewinnt. Wie durch die Beschäftigung mit dem Sinatra-Erbe auch die eigenen Stücke wieder mehr Bodenhaftung bekommen. Man fragt sich unwillkürlich, wie wohl „A Hard Rain's A-Gonna Fall" oder „The Times They Are A-Changing" heute Abend klingen würden. Nach knapp zwei Stunden bekommt das Konzert ein romantisches Finale mit dem Klassiker „Autumn Leaves", dem amerikanischen Jazzstandard aus dem Sinatra-Repertoire, der auf dem französischen Chanson „Les Feuilles Mortes" von Yves Montand fußt.
Dylan singt es bewegend und mit überraschender Klarheit in poetischem Einklang mit der Band. Und schon wieder hat man das Gefühl, da nimmt einer Abschied. Aber das ist nur so ein Gefühl. Der Applaus ist berauschend und noch zwei Zugaben sind im Reisegepäck. Dylan spielt tatsächlich seinen All-Time-Greatest-Hit, die Hymne der Sixties-Folkbewegung, die Anti-Kriegs-Hymne schlechthin: „Blowin' In The Wind". Es macht ihm sichtlich Spaß, die Zeilen zu zerdehnen, gegen den Strich zu phrasieren, die Tonlage zu variieren. Und die Band rollt dem mehr als 50 Jahre alten Lied einen geradezu kitschigen Teppich aus.
Bluesrockig geht dieser wunderbare Abend mit „Love Sick" vom 98er-Album „Time Out Of Mind" in die Zielgerade. Da wird der Pegel doch noch einmal hochgedreht, da schneiden die Gitarren ins Fleisch und Dylan bekennt: „This kind of love, I'm so sick of it". Auch wenn er inzwischen wieder wortkarger geworden ist und nicht einmal mehr seine Musiker ansagt, garantieren Dylan und Band nach wie vor ein eindringliches Live-Erlebnis. Und den „Tambourine Man" kann man sich schließlich danach auch zu Hause auflegen.