Kultur

Sehnsucht nach der fernen Heimat

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Angela Hohmann

Im Haus am Waldsee werden Leiko Ikemuras Kreidezeichnungen mit Hiroshiges historischen Farbholzschnitten kombiniert

Alles scheint zu fließen in den Bildern der 1951 in Japan geborenen international anerkannten Künstlerin Leiko Ikemura. Es steckt viel Sehnsucht darin. Seit über vierzig Jahren lebt sie in Europa, zuerst in Spanien, dann in der Schweiz, schließlich in Nürnberg, Köln und dann Berlin, wo sie über zwanzig Jahre lang als Professorin der Universität der Künste Kunst gelehrt hat. Mit zwanzig Jahren ist sie in die Fremde gezogen, wo sie sich oft als Fremde fühlte, bis sie sich – auch künstlerisch – ihren Wurzeln gestellt und dabei erstaunliche Übereinstimmungen entdeckt hat.

Seit 1989 beschäftigt sich Leiko Ikemura immer wieder mit Utagawa Hiroshige, einem der bekanntesten Künstler Japans aus dem 19. Jahrhundert, der vor allem die Impressionisten stark beeinflusste. In einer kleinen Ausstellung mit Werken Ikemuras und Hiroshiges lässt uns das Haus am Waldsee an dieser Begegnung teilhaben.

„53 Stationen von Tokaido“ war eine der berühmtesten Farbholzschnittserien, die Hiroshige (1797–1853) am Ende der Edo-Zeit schuf, jener Epoche, in der Japan vollkommen vom Rest der Welt abgeschieden war. Darin entwickelte er erstmals seinen ureigenen Stil. Viele seiner Drucke waren von den Illustrationen damals bekannter Reiseführer inspiriert, die in hohen Auflagen kursierten, und erfreuten sich hohen Beliebtheit. Bald galt er als der führende Künstler für Landschaftsbilder und war bekannt für seine vollkommen neuartigen Kompositionen. Anders als bei seinen Zeitgenossen fügte sich bei ihm die Darstellung des Menschen harmonisch in die der weitläufigen Landschaften ein. Als Vertreter der Ukiyo-e, was soviel heißt wie „Bilder der fließenden Welt“, gehört bei Hiroshige alles der gleichen Ordnung an, der Mensch, die Erscheinungen der Natur und das allgegenwärtig Göttliche. All das verbindet sich bei ihm in lyrisch-zarten Bildern zu einem harmonischen Ganzen.

Dass auch die 1951 geborene Künstlerin Leiko Ikemura nachhaltig von ihm fasziniert sein musste, erschließt sich jedem, der ihre Arbeiten kennt: ihre Ölmalerei, bei der die Farben fließend sind wie in einem Aquarell, ihre Skulpturen, die schwer fassbare Mischwesen bilden, und die vielen Bilder, in denen Mensch und Natur untrennbar miteinander verschmelzen.

Das Haus am Waldsee zeigt anhand einer Serie von 12 Kreidezeichnungen Ikemuras direkte künstlerische Auseinandersetzung mit den berühmten Farbholzschnitten Hiroshiges. In zarten Pastellfarben, welche die Konturen von Mensch und Natur noch weiter auflösen als bei Hiroshige, nähert sich Ikemura den Motiven aus der Tokaido-Serie des Meisters. 12 seiner Blätter hängen zur freien Assoziation für den Betrachter ebenfalls dort. „Prelude“ heißt die kleine Sommerausstellung, sie ist als Einstimmung auf eine große Werkschau Ikemuras im nächsten Frühjahr gedacht.

Haus am Waldsee. Argentinische Allee 30. Prelude, bis 6.9.. Di–So 11–18 Uhr