„Platten gibt es nicht mehr“, sagt Till Janczukowicz in seinem Berliner Büro in Mitte. „Sie waren ein physisches Transportmittel, aber heute und in Zukunft passiert alles digital.“
Der langjährige Klassikmanager (Columbia Artists, Vermont Classics) ist davon überzeugt, mit der Plattform Idagio.com das richtige Unternehmensmodell in einer sich wandelnden Plattenindustrie gefunden zu haben. Bei ihm sollen die Musiker stärker am Umsatz beteiligt werden als bei bisherigen Streamingportalen.
Wiener Philharmoniker wollen die neue Plattform nutzen
„Ich habe viele Jahre Royalties Statements von Künstlern gelesen. Das ist erschreckend“, sagt der Start-up-Unternehmer: „Nicht, weil Labels böse sind, sondern weil sich mit digitalem Vertrieb die Metriken dramatisch verschoben haben. Und momentan funktioniert Klassik für Smartphone-Nutzer nicht optimal.“
Über Idagio sollen klassische Künstler ihre Musik direkt vertreiben, die Hälfte der Einnahmen erwirtschaften und außerdem Informationen über das Nutzerverhalten erhalten können. Eine Streaming-App stellt die Musik zur Verfügung und wird von Musikwissenschaftlern kuratiert.
Mehrere große Orchester und Klassiksolisten, darunter die Wiener Philharmoniker und der Bariton Thomas Hampson, wollen die neue Plattform nutzen. Zu den Partnern gehören auch das Philharmonia Orchestra London, das Cleveland Orchestra unter Chefdirigent Franz Welser-Möst, das Gustav Mahler Jugendorchester und der australische Geiger Ray Chen.
Audiostreaming ist ein wachsender Markt
Der geräumige Tagungsraum im Idagio-Sitz in Mitte mag etwas eleganter möbliert sein als bei den meisten Start-ups, aber im Grunde funktioniert das Unternehmen nicht anders. Gegenüber von Janczukowicz sitzen sein Mitgründer Christoph Lange, der 2006 das mittlerweile erloschene Streamingportal Simfy aufbaute und ein Repräsentant der australischen Investmentbank Macquarie.
„Wir sehen die Gefahr, dass Klassik mehr und mehr an Relevanz verliert, wenn sie in einer digitalen Welt nicht besser stattfindet als momentan“, sagt Lange. „Das Risiko ist natürlich wie in jedem Geschäft: Wird Idagio diese Plattform sein? Wir glauben und arbeiten daran, aber das wird sich zeigen.“
Audiostreaming ist momentan ein wachsender Markt. Nachdem sich digitale Downloads im Rückgang befinden, hat der Gigant Apple sein Portal Apple Music Anfang Juni ins Leben gerufen. Bestandteil ist auch ein soziales Netzwerk, in welchem Künstler Musik veröffentlichen, Fotos hochladen und Nachrichten verbreiten können.
„Ein schwarzes Loch im Universum des Streamings“
Aber der Dienst arbeitet nicht nach den Bedürfnissen der Klassik. Sätze einer Symphonie werden wie Popsongs archiviert und sind im System kaum suchbar; die Preise werden für lange Tracks auch nicht entsprechend erhöht. „Die klassische Musik ist schon lange eine Art schwarzes Loch im Universum des Streamings“, schrieb der amerikanische Musikkritiker Alex Ross vor Kurzem im „New Yorker“.
Genau diese Lücke will Idagio füllen. „Wir haben eine Metadatenstruktur entwickelt, mit der man Klassik digital maßgeschneidert managen und organisieren kann“, so Janczukowicz. „Damit ich ganze Werke und richtige Informationen finde.“
Berlin, das Mekka der Start-ups in Europa
Das Modell passt auch zu Berlin, dem Mekka der Start-ups in Europa, und seiner Klassikszene. Hier gibt es experimentelle Formate, ein breit aufgestelltes Repertoire, künstlerische Impulse aus der ganzen Welt. In welcher anderen Stadt sollte der Klassikmarkt endlich einen Vertriebsweg für das Internetzeitalter finden?
„Was nicht digital ist, das verschwindet irgendwann“, glaubt Janczukowicz. „Deswegen müssen wir etwas aufbauen, das der Klassik hilft. Und damit es der Klassik hilft, muss es den relevanten Stakeholdern helfen: auf der einen Seite den Musikern, und auf der anderen den Hörern.“