Zwischen Bratwurst und Bier aus Bechern steht eine Bühne, und auf der singt Björk vom Zerbrechen ihrer Beziehung zu Matthew Barney. „Stonemilker“ eröffnet, sie singt darin, Momente der Klarheit sind rar. In Streits. In Diskussionen in denen Zweien die Kontrolle entgleitet. Verbales ins nichts treten, sich zwischen Wortsalven verreiben. Tränen, Hitze, Blut in den Wangen.Vielleicht sollte ich alles dokumentieren? Aufschreiben. Notieren. Um es nachvollziehen zu können, zu entwirren, all das Nichtverstehen des Anderen.
Björk ist sehr offen, da oben auf dieser Bühne vor 12.000 Menschen, aber sie verhüllt sich. Trägt eine rote Blumenmaske zu einem rot glitzernden, wasserfallartigen Anzug mit violettem Rundkragen, der ihr ins Gesicht steht. Sie wiegt sich zu den zarten Tönen, die ihr weiß gekleidetes Streichorchester in die Dämmerung spielt. Sie streckt die Arme aus, hängt unten an ihnen dran, wiegt sich, mal wie eine Ballerina, mal wie ein Pantomime, dann wie ein Grashalm – geknickt.
Björk fleht - und das Publikum will Party
Sie singt, sie fleht, sie hätte gerne emotionalen Respekt. Aber sie bekommt ihn nicht. Nicht vom Publikum. Schwarz belederjackt Bier trinkend wollte es nur eins: Beats. Wollte mit beturnschuhten Füßen zu Björks Hits durch die Bodenkiesel wischen, und dann bekommt es „Vulnicura“. Cure for Wounds. Heilung für ihre Wunden. Ihr aktuelles Album und der vertone Bruch ihrer Familie. Theatral. Orchestral. Ganz Björk, aber ganz weich, ohne Bass-Skelett.
„Black Lake“. Björk singt ihr Herz ist ein schwarzer See, sie ist blind, ertrinkt im Schmerz, und sekundenlang, ist da nichts außer dem Leiden der Streicher, zäh, zart und ruhig. Das Publikum wird unruhig. Dann aber, endlich, das Schlagzeug wird dominant, trommelt einen Marsch und der DJ schießt Maschinengewehrsalven durch den Schmerz. Das Publikum jault wie hundert Hunde, beginnt den Tanz zum Trennungsschmerz. Es ist Sonntagabend. Sie wollen Party, Party, Party. „I did it for love“, singt Björk gegen die leise tanzende Masse. Sie überlebt die Trennung. Sie findet neue Stärke. Sie reckt die Faust.
Björk zeigt ihre Kunst
Trotz des Interessenkonflikts zwischen Sender und Empfänger sagt Björk trotzdem immer mal wieder „Dankeschön“ nach einem Lied, mehr aber sagt sie nicht. Sie buhlt nicht. Nicht auch noch um ihr Publikum. Nein, sie zeigt ihre Kunst. Sie lässt teilhaben. Das muss doch reichen. Oder? Auch wenn sie nicht um ihre Zuhörer zu spielen scheint, gewinnt sie sie erst mit „Notget“. Nicht mit dem Song. Nicht mit den Zeilen „After our love ended, your arms don’t carry me“, sondern mit dem Feuerwerk, dass sie dazu aussendet. Funkenregen in gefärbtem Qualm. Rosa und blaue Wolken ziehen über die Zitadelle. Jubel. Event, Event. Klick. Klick. Björk auf der Bühne atmet aus. Hörbar. Sekundenlang. Schnecken schleichen hinter ihr über das Blattwerk der Videoleinwand.
Langsam verlässt sie den Trennungskokon, spielt ihre Hits, „Possibly Maybe“, aber auch die erzählt sie im streichzarten Vulnicura-Narrativ. Applaus, Applaus, rotes Licht. Dann steht sie starr. „Army of Me“. Der Opener ihres 1995er Albums „Post“. Der wahrscheinlich bekannteste, beliebteste Björk-Song, wie ein Brett fällt er in die samtende Schmerz-Atmosphäre. So dunkel, so noisey, so industrial. Das Publikum, es gierte danach, es nimmt die bekannte, die beliebte Musik Mund offen auf, tanzt, tanzt, tanzt, bis es im „Quicksand“ versinkt und mit goldenen Feuerwerkfunken nach Hause geschickt wird.