Der Schmerz ist echt, Bänderdehnung kurz vor der Premiere, doch das Sanatorium, in dem Ingrid Steeger den Abend verbringen wird, ist denkbar ungeeignet, ihn zu lindern. In dieser Bad Pyrmonter Kurklinik werden keine gestauchten Knöchel oder Zerrungen kuriert, es ist die Seele, die hier zur Reha antritt.
Pech für Madame Steeger, die den Abend tapfer und nur ganz leicht hinkend durchsteht, Glück für ihre Figur Edith und die anderen drei Damen Oda, Alice und Isabel, allesamt mit der Diagnose depressives Herzzwicken. Einer ist bei der Heilung besonders gerne behilflich, und zwar allen vieren gleichzeitig: „Der Kurschattenmann“. Am Wochenende war das gleichnamige Stück von René Heinersdorff erstmals an der Komödie am Kudamm zu sehen.
Keine Kur ohne Amour, das war schon immer so, Goethe hatte angeblich gleich mehrere solcher Bade-Bekanntschaften und Thomas Manns Sanatorien-Szenen wären ohne nur halb so aufregend. Der Kurschatten hat sich, trotz seines altmodischen Wortklangs, bestens in die Gegenwart gerettet, er hat inzwischen sogar ein eigenes Web-Forum. Ulrich Rösner (Jochen Busse) ist also in bester Gesellschaft und sowieso ein Bild von einem Mann, groß und elegant. Architekt und Familienvater, vielleicht auch Banker, Kapitän oder Fotograf, eventuell hat er exotische Krankheiten entdeckt und indische Schamanen verjagt.
Nur ein kleines bisschen Liebe
Jeder seiner Ladys tischt er im geblümten Salon des Sanatoriums eine andere Münchhausiade auf, nennt sie wahlweise „mein Grashüpfer“, „Seepferdchen“ oder „Flamingo“. Und sie schmelzen dahin, lechzen in ihren späten Jahren (die Darsteller und ihre Figuren sind allesamt zwischen Mitte 60 und Mitte 70) noch einmal nach Aufmerksamkeit und Zuwendung. Ingrid Steegers verdruckst-verhuschte Edith, weil ihr Mann verstorben ist, Christine Schilds Alice, weil ihrer immer noch lebt, und die in der Klinik arbeitende Isabel (Christiane Rücker), weil sie es nie raus aus Bad Pyrmont heraus geschafft hat.
Ja, da ist es doch geradezu die Pflicht eines Mannes zu helfen. Besonders wenn die Damen begütert sind. Jochen Busse spendiert seine typischen vokaldehnenden Tonfallvariationen diesmal einem verwegenen Hochstapler und ist dabei halb schleimiger Schwerenöter, halb liebenswürdig-tapsiger Charmebolzen. Total übertrieben natürlich, aber die Damen wollen es ja nicht anders. Es ist dieses Geschichtchen, da gibt es nichts zu beschönigen, alles andere als tiefgründig, mit bisweilen ziemlich mauen Gags.
Sexy, kokett, räkelnd
Die Darsteller aber sind unter der Regie von Horst Johanning eine wahre Wucht, pointiert, sympathisch, bestens aufeinander eingespielte Spitzenkräfte deutscher TV-Geschichte. Die größte Wucht von allen ist Simone Rethel. In der Öffentlichkeit lange vorwiegend als „Frau von Jopie Heesters“ wahrgenommen, macht sie hier in jeder Hinsicht eine glänzende Figur. Ihre Oda ist sexy, kokett, sie raucht Zigarre, räkelt sich auf dem Piano und schwindelt noch schamloser als der Lügenbaron Ulrich selbst. Der fliegt irgendwann auf und die Damen laden ihn um Mitternacht, zur Geisterstunde, zu einem verwirrenden Rache-Tänzchen, das ihn fast in den Wahnsinn treibt. Es folgen weitere Volten und am Ende ist alles wieder gut, man ist versöhnt, mit sich und der Welt und mit dem Alter. Ein harmlos-heiteres Späßchen ist das Ganze, optisch ansehnliche, flüchtige Unterhaltung zur Gemütsaufhellung. Genau das, was von so einem Kurschatten eben zu erwarten ist.
Komödie am Kurfürstendamm, Kurfürstendamm 206/209, Charlottenburg Tel. 88591188 Bis 6. September