Kultur

Wladimir Kaminers Russenwitze zünden auch Open Air

| Lesedauer: 3 Minuten
Isabell Metzger

Der Buchautor zum Zuhören und Ablichten in der Zitadelle

Ob sie noch eine Geschichte von seinen Nachbarn hören wollen? „Ja!“, schallt es unisono aus dem Publikum. Die neugierigen Schwaben vom Prenzlberg, der DDR-Nostalgiker aus der Brandenburgischen Provinz: In Wladimir Kaminers Texten trifft man solche Figuren öfters an. Zur Belustigung der Berliner. Als er zur Sommerlesung auf die Freilichtbühne der Zitadelle in Spandau tritt, ist das also so was wie ein Heimspiel des Wahlberliners. Und wie daheim im Wohnzimmer sieht es auf der Bühne tatsächlich aus: Eine altmodische Stehlampe leuchtet auf das Lesetischchen auf der Bühne. Kaminer blättert abwechselnd im Buch, schweift dann wieder im Plauderton ab zu seiner Jugend in Moskau. Noch trinkt er Wasser. Im Verlauf des Abends wird er aber zum Rotweinschwenker übergehen. Es riecht nach Grillwürstchen. Zwischendurch dröhnen immer wieder Maschinen vom Tegeler Flughafen über das Gelände an der Spandauer Zitadelle. Dem Lachen im Publikum tut das keinen Abbruch. Kaminer muss seine Mutter nur nennen, und ein paar Kenner beginnen schon zu klatschen.

Die meisten Geschichten kreisen um die Familie und das Leben in der Hauptstadt – mit oft brachialem Humor. Kaminer erzählt vom Besuch seiner Verwandten („Die kommen nach alter, russischer Tradition nachts“). Vom Leben „mit Es“, den eigenen Kindern. Und von seiner Mutter, die ungern Treppen läuft. Inzwischen aber aus ihren Sommerurlauben drei Alben mit Treppenbildern gesammelt habe: „von Montmartre bis zum Himalaya-Gebirge“. Drei der Geschichten an diesem gut zweistündigen Lesungsabend stammen aus seinem neuesten Buch „Coole Eltern leben länger“. Daneben trägt er einige unveröffentlichte Texte vor.

Wahrheit und Wahnsinn

Dabei verzwirbelt er sich in immer größere Absurditäten: Da ist vom Ausflug mit einem sowjetischen Museumspanzer die Rede. Von Kindern, die am Tag der Geburt ihre erste Zigarette drehen. Von DDR-Einsiedlern, die in Gulaschkanonen ihre Soljanka kochen. Manchmal kann er sich selber nicht zusammenreißen, wendet sich lachend vom Publikum ab. Wo die Fantasie aufhört und wo Realität wieder anfängt, ist bei Kaminer selten ganz klar. Oder wie er selber schreibt: „Wahrheit und Wahnsinn hatten sich angeglichen.“ Das dürfte auch daran liegen, dass er sich immer wieder an das Publikum wendet und die Grenzen zur Bühne verschwimmen lässt.

Zwischenpause: Kaminer signiert Bücher, beantwortet Fragen. Eine Gehilfin verkauft „Russendisko“-T-Shirts. Besucher drängen sich um die Tische. Vor allem Frauen. Einige schießen Selfies mit dem Schriftsteller. Er lächelt geduldig in die Linse. „Immer wenn ich an die Schönhauser Allee komme, dann denke ich an Ihr eines Buch“, sagt eine junge Frau bedeutsam. „Das hat mich wirklich tief berührt.“ Kaminer sieht verwirrt drein. Fünf Minuten später steht er wieder auf der Bühne, der Wladimir Kaminer aus seinen Büchern.

Ein letzter Russenwitz noch. Dann wird es kurz berührend: wenn er von seiner Tochter liest, die „manchmal krank“ und „zu Hause nicht zu ertragen ist“. Im Grunde aber könne man doch nicht ohne sie. Langer Beifall. Und Kaminer hebt sein Glas Rotwein „auf einen warmen Sommer“.

( Isabel Metzger )