Ein paar hundert Meter weiter stehen die Jungen und Hippen vor dem Postbahnhof Schlange – Fashion Week in Berlin. An der O2 World steht nicht mal mehr „O2“. Sie wurde verkauft, heißt jetzt Mercedes-Benz Arena. Adresse: O2-Platz 1. Schöne neue Welt, die solche Namen trägt. Für 10.000 Zuhörer hat es trotz Konkurrenz und Schildlosigkeit gereicht. Sie sind gekommen, um Mark Knopfler zu hören, einen der einflussreichsten Gitarristen der Gegenwart. Oder, wie der innere Applausmesser deutlich anzeigt: eigentlich wegen Dire Straits, Knopflers alter Band, die es nicht mehr gibt. Und da fängt das Dilemma an.
Knopfler, in Jeans und Schlabberhemd – unprätentiös ist sein zweiter Vorname – wirkt hinter dem zu hoch eingestellten Mikroständer seltsam klein. Er reckt sich permanent ein Stück, wie ein Pennäler auf Fußspitzen, der vom draußen ins Schlafzimmer seiner Angebeteten lugt. Oder vielleicht in einen Raum, in dem die sehr guten Songs wohnen. Von denen hat er selbst einige geschrieben. Knopfler steht also auf der Bühne in Berlin und schaut aus dem zugigen Schulhof der Gegenwart seinen eigenen Klassikern beim Älterwerden zu. Das hat etwas Rührendes, manchmal aber auch etwas Ernüchterndes.
Technisch perfekte Begleiter
Denn bevor er sie spielt schaukelt sich der Schotte mit seiner siebenköpfigen Band durch Solo-Material der letzten 10 Jahre. Das bewegt sich im Dreieck von Blues-Rock, Country und dem Folk seiner Heimat – mit Fiddle, Tin Whistle, Mandoline und allem – und ist nicht immer irrsinnig inspiriert. Seine technisch perfekten Begleiter liefern Breitwand-Arrangements. Man wird jedoch den Verdacht nicht los, dass da hin und wieder ein Songwriter-Vakuum gefüllt werden muss. Knopfler balanciert den ganzen Abend über auf dem schmaler Grat zwischen Relaxtheit und Langeweile. Bis bei „Father and Son“ ein Solo aufblitzt – perlend, elegant, präzise. Erleichterung: Gitarre spielen kann er noch. Knopfler dreht sich zu seinen Buddies, den Rücken zum Publikum, als wäre ihm peinlich, dass er gerade so gut war.
Nach 40 Minuten kommt dann das erste Dire Straits-Stück: „Romeo and Juliet“. Plötzlich hat Knopfler die silberne Gitarre vom „Brothers in Arms“-Cover umgeschnallt. Und sofort flattert so etwas wie Magie durch den Saal. Das kann doch nicht nur an der eigenen Nostalgie liegen. „I can’t do a love song like the way it’s meant to be”, singt Knopfler. Aber der Applaus ist zehnmal so laut wie zuvor.
Gleich legt er nach mit „Sultans of Swing“, diesem federnden Song über das schlichte Leben als Musiker. Sie rotzen es ein wenig runter, nach 37 Jahren vielleicht eher Teil des Pflichtprogramms. Knopfler spielt sein Solo zum Glück nicht Ton für Ton wie auf Platte, sondern kantiger, herber, architektonischer. Standing ovations folgen. „Wow, what a feeling“, nuschelt Knopfler ins Mikrophon. Aber, Mark – was für ein Gefühl ist es denn, wenn alle nur die Songs ihrer eigenen Jugend hören wollen?
Wie eine Dire-Straits-Coverband
Auch „Telegraph Road“ wird gespielt, dieses Prog-Rock-Epos: lang wie erhofft, doch eher undramatisch, mit verhuschtem Pathos, runtergebrochen auf seine Struktur. Bei „Brothers in Arms“ beugt sich Knopfler konzentriert über sein Instrument, wie aus Respekt vor dem Song. Das Parkett steht mittlerweile geschlossen. Man strömt nach vorne, Richtung Bühne. Ältere, sonnengerötete Herren in Karohemden erheben sich, sichtlich ergriffen. Knopfler und Co. aber klingen in diesen Momenten ein bisschen wie eine Dire-Straits-Coverband.
Gut, dass es noch einen anderen Moment gibt: Da lehnt sich die gezupfte Geige zum Kontrabass, und im Duo fiedeln und pumpen sie, was da Zeug hält. Eine entschlackte, intime Szene reinen Musikmachens. Knopfler steht daneben, in der Mitte seiner Gang, Gleicher unter Gleichen. Und für ein paar Sekunden sind sie wieder eine Pub-Combo, die irgendwo in South London für eine Runde Bier spielt. Dann ist Mark Knopfler in der Arena mit dem neuen Namen paradoxerweise am besten: „When he gets up under the lights to play his thing“.