Daniel Barenboim und sein Orchester haben mit ihrem Konzert “Staatsoper für alle“ 40.000 Besucher auf den Bebelplatz gelockt.

Dass die Sonne am Sonntagmittag just bei Lisa Batiashvili zum Vorschein kommt, muss geplant gewesen sein. Die georgische Geigerin spielt auf dem Bebelplatz – gleich an der Staatsoper Unter den Linden – Peter Tschaikowskys beliebtes Violinkonzert D-Dur. Das hatte der große Russe im Frühjahr 1878 am Genfer See geschrieben, der Aufenthalt muss seiner verzweifelten Seele gut getan haben. Das technisch anspruchsvolle Stück kann man heute so oder so spielen, als Berserker oder als Melancholiker. Lisa Batiashvili ist eine romantische Virtuosin, die ihr Instrument wunderbar singen lassen kann, um in entscheidenden Augenblicken mit Expressivität zu überrumpeln. Die Geigerin macht bei Open-Air-Konzerten schon etwas her, gerade weil sie berühren kann. Dirigent Daniel Barenboim, der sie erneut als Solistin für „Staatsoper für alle“ verpflichtet hatte, mag sie offenbar. Im März hat er sie auch zu seinem Barenboim-Zyklus ins Schiller-Theater eingeladen.

Barenboim lässt sich nach Batiashvilis Auftritt auf eine kurze Rede ein. Der Dirigent erinnert an die „schreckliche Tragödie in Georgien“, an die Opfer der Flutkatastrophe in Tiflis, Lisa Batiashvilis Heimatstadt. Vor einigen Jahren gab es eine TV-Dokumentation, in der die in Deutschland lebende Geigerin nach Tiflis begleitet wurde. Es ging gerade auch um die Akademie, an der sie studiert hatte und die sie inzwischen unterstützt. Auf dem Bebelplatz spielt sie als Zugabe ein georgisches Volkslied, dazu wird ein Spendenaufruf eingeblendet. Nach dem Konzert, so Barenboim, fliege sie auch wieder nach Tiflis, um das Tschaikowsky-Konzert noch einmal zu spielen.

Treue zum Bebelplatz

Das in diesem Jahr von der Schauspielerin Martina Gedeck moderierte Bebelplatz-Konzert ist wieder ein Riesenerfolg. Mehr als 40.000 Besucher seien dabei gewesen, um Daniel Barenboim, die Staatskapelle Berlin und den Staatsopernchor zu erleben, teilte die Staatsoper anschließend mit. So viele Besucher waren es im Vorjahr auch. Seit 2007 gibt es alljährlich die „Staatsoper für alle“. Es ist stetig gewachsen. Anfangs war eine Opernübertragung mit einem Konzert am anderen Tag gekoppelt worden. Seit die Lindenoper generalsaniert wird und das Ensemble 2010 ins Schiller-Theater umgezogen ist, hält die Staatskapelle dem Bebelplatz zumindest einmal – gegen Ende der Saison – die Treue. Die Konzerte sind Chefsache, Barenboim dirigiert alles selbst, so wichtig ist ihm dieses Forum am Stammhaus in Mitte.

Intendant Jürgen Flimm nutzt in seiner Begrüßung am Sonntag die Chance, dem Publikum einen Applaus abzuringen, damit die Staatsoper schneller reife. Tatsächlich ist von Jahr zu Jahr mehr zu sehen. Es stimmt hoffnungsvoll, dass das Haus vielleicht doch am 3. Oktober 2017 wieder eröffnet werden kann. Es würde auch dem Bebelplatz einen neuen Schub an Besuchern verleihen, denn noch ist eine große Fläche mit Baucontainern zugestellt.

Mit dem „Einzug der Gäste“ aus Wagners Oper „Tannhäuser“ eröffnet Barenboim das Konzert. Es ist eine sich klangvoll aufbauschende Intrada. Es wird viel applaudiert an diesem Sonntag. Wann immer es passt. Im Publikum sind zwei große Gruppen auszumachen. Die Open-Air-Profis kommen rechtzeitig, haben ihren Klapphocker dabei und sind auf Genuss aus. Sie sitzen frontal vor der Bühne auf dem Bebelplatz und dem abgesperrten Boulevard Unter den Linden. Links und rechts der Bühne trifft vor allem die Laufkundschaft ein. Auf einer Seite ist ein riesiger Fahrradparkplatz eingerichtet. Manch einer führt sein Zweirad in der Menschenmenge bei sich, wohl damit es auch mal etwas Gutes zu hören bekommt. Ein Fahrradfahrer rempelt einen Zuschauer an. Und was sagt sein Fahrer dazu? Scusi! Am liebsten wird lautstark auf Englisch telefoniert.

Sinfonie für Mikrofone

Aber insgesamt herrscht eine bemerkenswerte Konzentration im Publikum, ein Stille fast wie im Konzertsaal. Dabei ist die Räumlichkeit, die sich Berliner Luft nennt, gar nicht leicht zu bespielen. Während dieses Konzerts ist kein Auto zu hören, fliegt kein Flugzeug über den Platz, nicht einmal knarzende Raben wagen den Überflug. Der große Platz gehört dem Orchester, den Großbildleinwänden und der Lautsprecheranlage. Erstmals wurde das „Staatsoper für alle“-Konzert live auf Arte übertragen. Weitere 40.000 Zuschauer zwischen Japan, den USA, Russland und Portugal, heißt es in der Mitteilung, folgten via Staatsopern-Livestream dem Konzert.

Eine gewisse künstlerische Anspannung ist dem Konzert schon anzumerken. Es geht um etwas, und so wird zuerst in die Mikrofone hineingespielt. Beethovens Fünfte kommt schicksalstrunken daher. Es wird um jede Note, jede Gewichtung gerungen. Es schallt mächtig über den Platz. Und auch bei der Zugabe lässt sich Barenboim auf kein sommerliches Open-Air-Tralala ein. Er kündigt Beethovens „Egmont“-Ouvertüre an, und ein zutiefst dramatisches Werk erklingt. Die Bebelplatz-Konzerte, darauf kann man sich verlassen, sind richtige Klassikkonzerte.