Christoph Schreiber ist Arzt. Auch. Denn er führt zusätzlich den Pianosalon Christophori in Wedding, in dem Flügel repariert werden. Und: In der riesigen Werkhalle gibt es auch Konzerte.

Wer eine Passion hat, braucht wohl keinen Schlaf. Anders lässt sich kaum erklären, dass Christoph Schreiber nach einer 24-Stunden-Schicht im Krankenhaus Marzahn frühmorgens in den Wedding fährt und sich ohne Umschweife daran macht, wuchtige Konzertflügel hin- und herzuschieben. „Heute Abend ist Konzert“, sagt der praktizierende Arzt, „vor Mitternacht komme ich garantiert nicht ins Bett.“

Schreiber führt den Pianosalon Christophori, er ist Gründer, Leiter, Koordinator, Restaurator, Sammler und Mäzen in einem. In der alten Motorenhalle der ehemaligen Zentralwerkstatt der BVG hat er einen magischen Ort für seine Lieblingsbeschäftigung geschaffen. Über mächtige Stahlträger laufen bis heute Krananlagen; wo früher Busmotoren bewegt wurden, werden heute allerdings Konzertflügel bugsiert. Schreiber sammelt und restauriert historische Klaviere und Flügel, Dutzende Korpusse reparaturbedürftiger Instrumente stapeln sich in den Tiefen des Raumes.

Der Salon ist gleichzeitig Schreibers Werkstatt und genau das macht den unwiderstehlichen Reiz aus. Lose Tastaturen und Klaviere türmen sich schon am Eingang, Werkzeugregale drängen sich neben Plattenschränken, statt Bildern verzieren unzählige abmontierte Notenhalter die Wände. Alte Lampen sind nach Gutdünken verteilt – mit Konzerthausflair hat das alles nichts zu tun. Hier herrscht ein kreatives Chaos der größeren Dimension, mit gemütlichem Flohmarktcharme.

Klassische Musik ohne Einstiegshürden

Genau so will es Schreiber. „Hier geht es nicht um erstarrte Rituale und Etikette. Mir geht es um einen ganz unprätentiösen Rahmen, in dem man klassische Musik ohne jegliche Einstiegshürden hören kann.“ Dafür ist eine breite Bühne aus Spanplatten in die Halle gebaut worden, und davor steht ein Sammelsurium von genau 199 Stühlen. Wer einen Platz reservieren will, kann sich auf der Internetseite des Pianosalons einfach anmelden oder man kommt schlicht auf gut Glück vorbei.

Das großenteils junge Publikum rennt Schreiber förmlich die Türen ein. Und nicht nur das: Obwohl es für gewöhnlich keine festen Eintrittspreise gibt und die Künstler für das Geld spielen, das die Gäste am Ende spenden, hat Schreiber keine Probleme, ein wirklich erstklassiges Programm auf die Bühne zu bringen. Das liegt unter anderem daran, dass er den Musikern keine inhaltlichen Vorgaben macht. „Hier ist eine einzigartige Atmosphäre entstanden“, sagt er. „Einerseits lassen Künstler sich auf das Wagnis des Werkstattflairs ein, können etwas ausprobieren, improvisieren und sind dem Publikum auch viel näher.“ Und andererseits höre das Publikum stets äußerst konzentriert zu. „Ich habe mir schon von manchen Künstlern sagen lassen, sie hätten noch nie so einen stillen Konzertsaal vor sich gehabt.“ Diese Mischung hat viele beflügelt, und zieht namhafte Künstler an.

Salonkultur im besten Sinne

Salonkultur im besten Sinne, das ist die rund 180 Jahre alte Idee, die Schreiber wiederbelebt. Sein Vorbild ist der berühmte Klavierbauer Sébastien Erard, dessen mechanisch innovative Instrumente von Virtuosen wie Mendelssohn Bartholdy, Liszt oder Wagner geschätzt wurden und der an seine Werkstätten in Paris ebenfalls einen Salon für Musizierabende und Konzerte angeschlossen hatte. Tatsächlich befinden sich etliche historische Erard-Flügel in der sehenswerten Pianosalon-Sammlung. Aufführungen auf den restaurierten Instrumenten gehören mitunter zum Programm, auch wenn die musikgeschichtlich hochinteressanten Konzertflügel selbst nach ihrer baulichen Wiederherstellung häufig keinen modernen Standards entsprechen.

Wer in den seltenen Genuss dieser Klangvielfalt historischer und moderner Instrumente kommen möchte, bekommt im Februar eine Chance. Schreiber hat nach einem äußerst erfolgreichen Kammermusikfestival mit Starbesetzung im vergangenen Herbst nun zum ersten Mal die „Klaviertage“ organisiert (13. Februar bis 1. März). Das Festival bietet ein Programm, wie es spannender kaum sein könnte. „Eine einzige Bedingung habe ich den Künstlern gestellt“, sagt Schreiber, „sie müssen eine Hälfte ihres Konzertes auf einem der historischen Flügel spielen, die andere dürfen sie ihre gewohnten Instrumente benutzen“. Da hätten schon viele gezuckt, sagt Schreiber, doch Wagnis ist eben ein wesentlicher Grundbaustein von Schreibers Konzept. „So verhindert man die Erstarrung, Musik bleibt lebendig und macht wieder Spaß.“

„Ich bin keine Krämerseele“

Die Zusammenstellung des Programms bleibe aber den Virtuosen selbst überlassen, „und natürlich spielen sie hier Programme, die sie so nirgendwo sonst verkaufen könnten.“ Schon das Eröffnungskonzert ist das beste Beispiel dafür: Severin von Eckardstein wird einen ganzen Abend mit Werken von Nikolai Karlowitsch Medtner bestreiten, einem vergessenen engen Freund von Sergei Rachmaninow. Auch das Konzert des international gefragten lettischen Pianisten Vestard Shimkus, um nur ein weiteres herauszugreifen, wird ungewöhnlich kontrastreich – er kombiniert Choralvorspiele von Bach mit einem von ihm selbst komponierten Etüdenzyklus.

Für so ein hochkarätige Festival weicht Christoph Schreiber einmal von der Spendenregel ab und erhebt immer noch erschwingliche feste Eintrittpreise. Das Gläschen Wein ist darin traditionsgemäß enthalten, anstatt eine Barkraft anzustellen, wird im Pianosalon immer frei Haus ausgeschenkt. „Ich bin keine Krämerseele, ich will einfach nichts verkaufen“, sagt Schreiber nur, da können Steuerberater und Freunde noch so oft die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. „Mit Kultur kann man kein Geld verdienen“, Schreiber zahlt lieber drauf, als etwas so Wertvolles wie seinen Pianosalon dem Kommerz auszuliefern. Eben weil das seine Passion ist. Und es ist weit mehr als das – es ist ein äußerst seltener Glücksfall für die Berliner Kulturlandschaft, für alle, die Musik lieben.

Pianosalon Christophori, Uferstraße 8 (in den Uferhallen), Wedding, Kontakt: www.konzertfluegel.com, das aktuelle Festivalprogramm unter www.klaviertage.de