Kunstvoll gedrehte Locken fallen weich auf die Schultern. Der Kopf ist leicht geneigt, der Körper jugendlich geformt. Nein, keine Frau, es handelt sich vielmehr um einen jungen Mann. In der Rechten hält der Schöne ein Plektron, mit dem er die ursprünglich vorhandene Kithara spielte.
Davon jedenfalls ging man aus, als im November 1853 diese fast lebensgroße Bronzefigur aus dem späten 1. Jahrhundert v. Chr. in Pompeji gefunden wurde. Die Stadt hatte 62 n. Chr. ein schlimmes Erdbeben heimgesucht. Kaum dass sie sich wieder davon erholt hatte, ereignete sich 79 n. Chr. der verheerende Ausbruch des Vesuv und ließ sie gänzlich untergehen.
Die Forschung ging damals davon aus, dass es sich bei dem Jüngling um den Kithara spielenden Gott Apollon handeln müsse, und benannte das Haus, in dem dieser Fund geborgen wurde, entsprechend Casa del Citarista, zu deutsch: Haus des Kithara-Spielers. Heute fragt man sich, ob das Plektron in wirklich ein solches sei oder ob der Schöne eher einen Lampen- oder Tablettträger darstellte.
Herausragende Leihgaben
Wie dem auch sei, der Name des Hauses blieb. Seinen Kunstwerken, Ausstattungsgegenständen, ja dem ganze Aufbau des Stadtpalastes selbst ist nun eine Schau im Bucerius Kunst Forum gewidmet. Mit einer großen Anzahl herausragender Leihgaben des Archäologischen Museums in Neapel bestückt, kann sie vom 27. September bis 11. Januar in Hamburg besucht werden.
Der allgemein gehaltene Titel „Pompeji. Götter, Mythen, Menschen“ verrät nicht, dass es hier allein um die Casa del Citarista geht, die in ihrer ganzen Komplexität vorgeführt wird. Sogar die unterschiedlichen Funktionsbereiche und die multifunktionale Nutzung der einzelnen Räume, wie sie in der Antike üblich war, sind zu sehen. Durch eine zusätzliche digitale Rekonstruktion des Gebäudes gewinnt dies noch einmal an Plastizität.
Eine der reichsten Familien der Stadt
Die Casa del Citarista zählte zu den größten Stadtpalästen Pompejis. Sie gehörte einer der reichsten und angesehensten Familien der Stadt, der gens Popidia, die sogar über eine eigene Badeanlage verfügte. Da die öffentlichen Stabianer Thermen nur wenige Schritte entfernt lagen, war dies ein bemerkenswerter Luxus.
Interessanterweise wurde das Haus aber nicht in einem Zuge geplant und gebaut wie etwa die symmetrisch gegliederte Casa del Fauno, sondern über Jahrhunderte hinweg immer wieder erweitert. Vielleicht ein Indiz dafür, dass es sich um eine Familie von Emporkömmlingen handelte? Nichtsdestotrotz zeigt die Ausstattung mit ihren Bronzeskulpturen, Reliefs und Porträts einen überaus erlesenen Geschmack.
Insbesondere sind die mythologischen Wandgemälde des Hauses berühmt, die sich aufgrund ihrer Größe, künstlerischen Qualität und ihrer speziellen, allerdings nicht immer leicht zu lesenden Bildsprache auszeichnen. So deutete man ein Liebespaar als Mars und Venus, obwohl einige Details, wie der liegende Hund im Vordergrund, der gängigen Ikonographie widersprechen. Dass man diese Darstellungen nicht so leicht einordnen kann, tut ihrer Suggestivkraft keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil, sie gewinnen dadurch nur noch an Faszination.
Beschrieben in Bestseller-Roman
Wer bereits vorab einen Eindruck von der Casa del Citarista gewinnen möchte, dem sei der 2003 erschienene Bestseller „Pompeji“ von Robert Harris empfohlen. Nach dem ersten Drittel des Romans beschreibt der Autor den Stadtpalast der Popidier mit großer Genauigkeit. Man trifft sogar den kitharaspielenden Apoll wieder.
Die Deutsche Bahn bietet für die Anreise den Sparpreis Kultur an, nach Hamburg und zurück ab 39 Euro (so lange der Vorrat reicht)

Foto: Werner Forman Archive / picture alliance / Heritage Images-Werner Forman Archive