Bühne

Berliner Maxim Gorki Theater ist „Theater des Jahres“

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Stefan Kirschner

Foto: Jörg Carstensen / dpa

Die neuen Macher des Maxim Gorki Theaters überzeugen die Kritiker gleich in der ersten Spielzeit. Auf der jährlichen Hitliste ist das Berliner Theater nun die Nummer eins im deutschsprachigen Raum.

Das nennt man wohl einen Start-Ziel-Sieg: Als Shermin Langhoff und Jens Hillje im vergangenen November ihre erste Saison am Maxim Gorki Theater mit einem kleinen Marathon eröffneten, gab es ein beachtliches Medienecho. Als beim Berliner Theatertreffen im Mai nichts vom Gorki eingeladen war, war das ein Thema – und zum Ende der Spielzeit war Berlins kleinstes Stadttheater schon richtig hip geworden.

Insofern überrascht die Wahl für die von Langhoff und Hillje gemeinsam geleitete Bühne zum „Theater des Jahres“ nicht wirklich. Von den 44 Kritikern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die von der Fachzeitschrift „Theater heute“ befragt wurden, stimmten 15 für Berlins kleinstes Staatstheater.

Vor dem Hintergrund, dass es bei dieser Umfrage traditionell keine Nominierungslisten gibt, ein eindeutiges Votum. In anderen Kategorien reichten auch deutlich weniger Stimmen für den Sieg – schließlich ist die deutschsprachige Theaterlandschaft in ihrer Breite einmalig in der Welt. Und Neustarts, zumal wenn sie medial ausgiebig gewürdigt werden, zeichnet man gern aus – da können Kritiker auch ein kulturpolitisches Votum abgeben.

Postmigrantisches Theater

Zumal man mit dem Maxim Gorki Theater damit auch noch im Trend liegt. Vor dem Hintergrund von Blackfacing-Debatten, also der Diskussion darum, ob weiße Schauspieler schwarz geschminkt werden dürfen, wenn sie Farbige auf der Bühne verkörpern, und Vorwürfen, dass Theater immer noch eine von der Gesellschaft finanzierte Veranstaltung für die bürgerliche Mittelschicht ist, passt die Auszeichnung für eine Bühne, die sich als postmigrantisches Theater versteht und ein Ensemble hat, das zwar wohl überwiegend die deutsche Staatsangehörigkeit, aber gleichzeitig tiefe verwandtschaftliche Beziehungen in die Türkei oder andere Länder hat.

Shermin Langhoff formuliert das im Interview mit „Theater heute“ so: „Wir wollen die Konfliktzonen dieser Stadt thematisieren. Die Translokalität, die Multiperspektivität, aus der wir im Ensemble und in den Geschichten schöpfen. Und da bietet Berlin natürlich ein unglaubliches Potenzial.“

Missglückter Auftakt

Das neue Gorki spiegelt einen Teil der Berliner Gesellschaft wider, der sich möglicherweise an anderen Häusern unterrepräsentiert fühlt. Ob er deshalb auch verstärkt ins Gorki geht, sei dahingestellt. Im Bereich der Musiktheater ist die Komische Oper vorgeprescht, sie bietet Untertitel auf Türkisch an und hat bei der Kinderoper „Ali Baba und die 40 Räuber“ den Chor bunt gemischt besetzt. Die Neuköllner Oper und das Ballhaus Naunynstraße, wo Shermin Langhoff vorher gearbeitet hat, muss man in diesem Zusammenhang erwähnen, aber auch, dass Gorki-Regisseure wie Nurkan Erpulat oder Yael Ronen vorher schon am Deutschen Theater beziehungsweise an der Schaubühne inszeniert haben.

Im Vergleich zum Fußball oder Film mag das Theater für die Öffnung etwas länger gebraucht haben. Die mutige Entscheidung des früheren Kulturstaatssekretärs André Schmitz (SPD), der Shermin Langhoff zur ersten Staatstheater-Intendantin mit Migrationshintergrund in Deutschland gemacht hat, dürfte diese Entwicklung befördert haben.

Keine Jubelstürme

Künstlerisch verdient die erste Gorki-Saison Applaus, aber keine Jubelstürme. Das ist an einem künstlerischen Betrieb, zumal an einem wie dem Gorki, der ein komplett neues Repertoire aufbauen musste, normal. Scheitern gehört dazu. Dem „Kirschgarten“, der Eröffnungsinszenierung von Nurkan Erpulat, war der Wille zur Verdeutlichung der programmatischen Ansätze der neuen Leitung allzu deutlich anzumerken. Die Verpflichtung von Yael Ronen als Hausregisseurin, die zuvor an der Schaubühne gearbeitet hatte, ebenso wie Jens Hillje, der in den ersten Jahren von Thomas Ostermeier der künstlerischen Leitung der Schaubühne angehörte, hat sich als Glücksgriff entpuppt: Ronens Inszenierungen „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ und „Common Ground“ gehörten zu den Höhenpunkten.

„Theater des Jahres“ ist die Königsdisziplin, aber das Gorki hat auch in zwei weiteren Kategorien Zeichen gesetzt: Dimitrij Schaad wurde mit sieben Stimmen zum „Nachwuchsschauspieler des Jahres“ gewählt. Und beim „besten Stück des Jahres“ entschieden sich fünf Kritiker für Sibylle Bergs „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“, die Uraufführung inszenierte Sebastian Nübling am Gorki.

Lob fürs Publikum

Alle Künstler und Mitarbeiter hätten in der intensiven Anfangszeit hart gearbeitet, betonten Langhoff und Hillje am Donnerstag. Das ganze Team habe sich mit Enthusiasmus und Engagement in die Auseinandersetzung gestürzt. „Wir sind auch unserem Publikum dankbar, das uns so offenherzig aufgenommen hat“, erklärten die Theaterleiter.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) beglückwünschte am Donnerstag die Intendanz des Gorki Theaters. „Dieser Erfolg schon in der ersten Spielzeit ist bemerkenswert“, erklärte Wowereit. „Die Auszeichnung zeigt einmal mehr die herausragende künstlerische Qualität der Theaterarbeit am Gorki und steht zugleich für die große Bedeutung Berlins als Schauspielmetropole.“

Es gab übrigens noch weitere Auszeichnungen: Zur besten Kostümbildnerin wurde wie bereits im vergangenen Jahr Victoria Behr gekürt, die die Schauspieler in Herbert Fritschs Werk „Ohne Titel Nr. 1“ an der Berliner Volksbühne einkleidete. „Schauspielerin des Jahres“ wurde mit zehn Stimmen Bibiana Beglau, 43, vom Residenztheater München. Zum Schauspieler des Jahres wurde mit fünf Stimmen Peter Kurth, 57, vom Schauspiel Stuttgart gewählt – Kurth ist dem Berliner Publikum bestens vertraut, er spielte jahrelang am Maxim Gorki Theater, als das noch von Armin Petras geleitet wurde. Alle Details stehen im soeben erschienenen „Theater heute, Jahrbuch 2014“.