Nofretete-Schau

Die halbnackte Königin gehörte in jedes Haus

| Lesedauer: 10 Minuten
Ulli Kulke

In den wenigen Jahren, in denen Pharao Echnaton und seine Frau Nofretete in ihrer neuen Residenz Amarna lebten, veränderten sie die altägyptische Kunst. Es war eine neue Form religiöser Propaganda.

Schon immer schienen besonders beliebte Herrscherpaare einen Hang zum tragischen Ende zu haben. Jackie Kennedys Ehemann wurde neben ihr im offenen Wagen erschossen, Fürst Rainier III. von Monaco verlor seine Grace Kelly bei einem Verkehrsunfall, Juan Perón musste seine weltbeliebte Gattin Evita betrauern, nachdem sie im Alter von erst 33 Jahren an Krebs gestorben war.

Und der junge ägyptische Pharao Echnaton, der das Leben mit seiner Nofretete und ihren vielen Kindern so gern der Öffentlichkeit präsentierte, verlor die Gattin, weil sie offenbar zu schnell gefahren war, irgendwann um das Jahr 1330 v. Chr. Die begeisterte Streitwagenfahrerin hatte, wahrscheinlich bei einem Zusammenstoß, schwerste Kopfverletzungen erlitten und war daran wenig später gestorben.

Dass Nofretete immer wieder mal mit modernen „First Ladies“ unserer Tage verglichen wird (siehe den Buchtitel: „Von Nofretete bis Evita Peron“), liegt sicher nicht nur an dem bezaubernden Antlitz der berühmtesten aller Frauenstatuen der Weltgeschichte, als dreidimensionale Mona Lisa gewissermaßen. Ein Antlitz, das ganz nebenbei – mal abgesehen von Großbritannien – die höchsten Merchandising-Profite aller Köpfe von Herrscherinnen oder Herrscher-Ehefrauen der Weltgeschichte erzielt, Jazz-Alben heißen nach ihr, Asteroiden, ein Piercing, unzählige Romane tragen ihren Namen auf dem Titel, von Berlin über Kairo bis in die übrige Welt werden Miniatur-Nofretetes an den Mann gebracht.

Es hat vor allem auch damit zu tun, was uns die Historiker über das Leben der Schönheit überlieferten, in Bild und Schrift. Über ihre Ehe, ihre Familie, ihr Privates. Auch über die Zeit eines populären Neuanfangs damals, was diesen Moment in der Jahrtausende währenden Pharaonenzeit durchaus mit der Ära Kennedys oder Obamas vergleichbar macht. 100 Jahre nach dem Fund ihrer Büste in Amarna widmet die Stiftung Preußischer Kulturbesitz der Königin eine große Sonderausstellung. Es ist eine spektakuläre Leistungsschau der Ägyptologie.

Wie Popstars dem Volk präsentiert

Wir können froh sein, dass wir überhaupt so viel erfahren haben über das Ehepaar Echnaton und Nofretete sowie ihre Kinder. War man doch damals, wenige Jahre nach dem Tod der beiden bemüht, die Hinterlassenschaften beider zu tilgen. Noch zu Zeiten der Regentschaft des Sohnes beider, Tutanchamun, begann die Öffentlichkeit, sich von ihnen zu distanzieren, unter Druck wohl der Priesterschaft, weil Echnaton und Nofretete allzu Unerhörtes gewagt hatten mit ihrer Abkehr von der Vielgötterei und dem Experiment mit dem Monotheismus, dem einen und einzigen Sonnengott, der seine Strahlen vor allem auf sie selbst hinunterschickte, sie in hellem Glanz als Popstars dem Volk erscheinen ließ.

Zu Zeiten der Restauration des alten Pantheons landete die Büste, die wir heute verehren, auf einem Schutthaufen, aus dem sie erst der deutsche Archäologe Ludwig Borchardt befreite. Das aber war dann der Moment, in dem die abendländischen Projektionen von Pharaoninnen-Erotik langsam, aber sicher abfielen vom bisherigen Star, der Kleopatra, hin zur Neuen, der Nofretete. Wobei nun eine größere Vornehmheit einkehrte, nicht mehr um Schäferstündchen mit Cäsaren ging es, sondern um ein vorbildliches Familienleben – was auch damals gern zur Schau gestellt wurde.

Die Kinder bringen Leben in die Welt

„Wohl in keinem Haus“ durfte er fehlen in der damals neuen Hauptstadt Achetaton, schreibt der Ägyptologe Hermann A. Schlögl. Gemeint ist der Hausaltar, auf dem nicht nur jener Lichtgott Aton zu sehen war, sondern gleich die gesamte königliche Familie. Auch im Berliner Ägyptischen Museum ist ein solches Bild zu sehen. Auf Kissen sitzt das hohe Paar, Nofretete rechts, Aton ihr gegenüber zur Linken, auf den Armen drei ihrer Kinder. Es ist schon bemerkenswert, dass beide Erwachsenen auf Augenhöhe abgebildet sind, eine Hierarchie zwischen Pharao und seiner Frau ist auf dem Abbild nicht auszumachen.

Eine offenbar zufriedene Ruhe strahlt das Bild aus, man könnte sagen: Souveränität. Auch wenn es keinesfalls leblos erscheint, wie viele Porträtaufnahmen von Monarchen aus dem 19. und 20. Jahrhundert, bei denen das Stillhalten schon allein der langen Belichtungszeiten wegen unumgänglich war.

Die Kinder sind es, die Leben hereinbringen, die mit ihren Armen und Händen zeigend oder fragend gestikulieren, die Interesse am Geschehen signalisieren. Auch der Nachwuchs scheint durchaus ernst genommen worden zu sein. Abgesehen davon, dass sie sehr klein sind, ist ihr Aussehen von keinerlei Kindlichkeit geprägt, durch Proportionen etwa. Die drei erscheinen wie kleine Erwachsene. Und über allem steht, wie ein großes Auge aus dem Stein gemeißelt, die Sonne, Aton.

Die „göttliche Triade Aton-Echnaton-Nofretete“

„In seiner ganzen Anlage und Ausschmückung“ sei die Hauptstadt Achetaton von solchen Abbildungen geprägt gewesen, schreibt Schlögl, alles im Banne der „göttlichen Triade Aton-Echnaton-Nofretete“. Boulevardzeitungen gab es noch nicht damals, die das königlich-göttliche Leben der Bevölkerung hätten nahebringen können, und so hatten die Untertanen sich an Reliefs zu halten, Stelen, Grabplatten, Altare, Friese. Bedenken, dass das gemeine Volk von Neidgefühlen geplagt sein könnte, hatte das Königspaar offenbar nicht. Etwa durch die Darstellung eines rauschenden Banketts im Palast Echnatons.

In dem Fall mit dabei: Teje, die Mutter Echnatons, populär wie später die Königinnenmutter im Buckingham-Palast. Diener servieren Geflügel, Brot, Getränke, Früchte. Unten, auf kleinen Stühlen zwei Prinzessinnen, oben, über allem der strahlende Aton. Und Blumen, kein Relief mit der Königsfamilie ohne Blumen, auch stellvertretend für die Ackerfrüchte und allesamt Produkte von Atons Wirken, vermittelt über seine Sprecher auf Erden, Echnaton und Nofretete.

Die Darstellung eines weiteren Reliefs, entdeckt im Grab des Haushofmeisters der Königsmutter, hätte heute das Zeug, die staatlichen Repräsentanten in argen Misskredit zu bringen. Vor 3300 Jahren dagegen trotzte es dem Volk nur noch mehr Respekt vor seinen Herrschern ab. Ausländische Delegationen sind da zu sehen, aus Vasallenstaaten im Süden Ägyptens, nilaufwärts, wie sie dem Pharaonenpaar Tribut überreichen, Agrarprodukte aus ihrer Heimat – und Echnaton nimmt, legitimiert durch sein Amt, alles in Empfang, ohne den Argwohn unstatthafter Vorteilsnahme zu wecken.

Eine Prinzessin bei der Totenklage

Von Prüderie war die Kunst nicht geplagt. Nacktstatuen zählen zu den am besten erhaltenen Abbildungen Nofretetes, zu betrachten ebenfalls im Berliner Museum. Und wenn Tutanchamun, der kleine Sohn, von der Amme gesäugt wird, so durfte sich auch daran die Öffentlichkeit ergötzen – ohne Zensur und ohne schwarze Balken.

Es ist fast frappant, wie sehr die Mischung der Darstellungen von Personen und vor allem von Geschehnissen aus der „First Family“ dem heutigen Freud und Leid gleicht, das aus den Prominentenhäusern nach außen dringt. Hier eine Prinzessin bei der Totenklage für zwei ihrer Schwestern, die gerade verstorben waren; da das weinende Königspaar über der Bahre mit einer dritten verstorbenen Tochter – gleich mehrere Trauerfälle im Königshause, die auf Reliefbildern für alle zu sehen waren. „Eine solche Darstellung hatte es in der Geschichte Ägyptens zuvor niemals gegeben“, schreibt Schlögl.

Der tiefe Schmerz, den sich weder Nofretete noch ihr Mann scheuen nach außen zu zeigen, zeigt und sollte vor allem eines zeigen: Die königliche Familie ist von gegenseitiger Liebe geprägt.

Allerdings auch von harter Hand, wo es angebracht ist. Auf Stelen können wir lesen, dass beide Herrscher zusammen das oberste Kommando führten, als es galt, einen Aufstand der Nubier im Süden ihres Pharaonenreiches zu brechen. Hunderte Männer, Frauen und Kinder zahlten die Erhebung mit dem Tod. Ein Relief, das die königliche Familie in einem Ruderboot auf dem Nil zeigt, soll offenbar andeuten, dass Nofretete, wenn es denn ernst wurde, selbst Hand anlegte an die Feinde: Vor dem Achterkastell des Schiffes ist sie gerade dabei, einen Feind zu erschlagen oder zu erstechen – und damit wohl Respekt im Volke zu erheischen.

Feinde, zu Tode geschleift

Andere Feinde, die Rädelsführer des Nubieraufstandes, hatten einen grausameren Tod zu erdulden. Man schleifte sie hinter den Streitwagen zu Tode. Die Streitwagen werden in den Abbildungen jener Zeit allerdings vor allem in friedliche Zusammenhänge gesetzt. Immer wieder sehen wir die flotte Nofretete auf ihnen dahinjagen. Oder auch beide zusammen auf einem Wagen, mal ist er der Lenker, mal sie. Auch sind regelrechte Wettrennen zwischen beiden vom Steinmetz überliefert.

Eine allzu flotte Fahrt war es dann womöglich auch, die Nofretete das Leben kostete. Vielleicht eine Kurve, hinter der der Tod lauerte, wie später bei Grace Kelly an der Riviera. Bilder oder Stelen, die uns etwas über ihren Tod erzählen würden, gibt es nicht. Ihr Name erscheint nur ganz plötzlich nach dem 14. Regierungsjahr in keiner Chronik mehr oder anderen Aufzeichnung, für Archäologen ein Anhaltspunkt für ihren Tod.

Indizien auf die Hintergründe gibt allein ihre Mumie – wenn es denn die richtige ist, die man ihr zuschreibt. Sie zeigt schwerste Kopf- und Brustverletzungen. Und eine heftige Schwellung am Kopf. Was darauf schließen lässt, dass sie nach dem mysteriösen Unfall starb. Man nimmt an, höchstens im Alter von 35 Jahren. Wie die ägyptische Bevölkerung den Tod ihres Stars aufnahm und verarbeitete, ist unbekannt.