Konzert in Berlin

Nash und Crosby staunen über Wall-Street-Proteste

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Michael Pilz

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Zwei weise Blumenkinder mit Engelshaar und Landlustliedern: Die Veteranen Graham Nash und David Crosby gastieren im Admiralspalast und schwelgen in Erinnerungen an eine bessere Zeit.

Der Admiralspalast stammt aus dem frühen 20. Jahrhundert, er steht unter Denkmalschutz mit seinen würdevollen Rundungen am Rang und Troddeln an der Bühne. Graham Nash und David Crosby fühlen sich hier sofort wie zu Hause. „So ein wundervoller Ort“, schwärmt Graham Nash. „Amerika nutzt solche herrlichen Gebäude für McDonald's. Tut das nicht“, rät David Crosby.

Crosby ist schon 70, Nash wird es im kommenden Frühjahr. Sie singen im Admiralspalast als Zeugen einer Zeit, in der die bessere Welt erfunden wurde. In den Sechzigern war Crosby bei den Byrds, und Nash war bei den Hollies. Beide stiegen aus und taten sich zu etwas Größerem zusammen. Stephen Stills von Buffalo Springfield stieß hinzu, später Neil Young. Crosby, Stills & Nash und Crosby, Stills, Nash & Young galten als Supergruppen, das war die Idee. Aber die Musiker waren nicht reif dafür, die Gruppen scheiterten.

Im Admiralspalast hatten sich bereits SPD und KPD zur SED vereinigt, für die kommunistische Idee. Es kam zum Bau der Mauer. Als die Mauer im November 1989 wieder fiel, fanden sich Crosby, Stills & Nash vereint am Brandenburger Tor ein, bauten ihre Instrumente auf und sangen für die Freiheit.

David Crosby steht heute mit feuchten Augen auf der Bühne und erzählt von damals, Graham Nash berichtet von den Mauerbrocken in seiner Vitrine. Sie singen den „Marrakesh Express“ als Hymne für Berlin und auf den Glauben an die Menschen. Immer wieder sinken sie sich in die Arme. Und wären die rustikalen Sitzreihen im Admiralspalast nicht so beengend, täten es die Gäste ihnen gleich.

Es hat sich eingebürgert, Althippies und 68ern das Scheitern ihrer eigenen Utopien anzulasten. Aber das haben sie nicht verdient. Sie haben immer noch die schönsten Lieder und die besten Sänger. Es fängt an mit „Eight Miles High“, einem naiven Drogensong, und hört drei Stunden später auf mit „Teach Your Children“, der Ermunterung, den Kindern auch die Ideale zu vererben.

Auf der Bühne liegt ein Teppich aus dem Morgenland. Dahinter spielt die vierköpfige Band mit einem Sohn von David Crosby an den Orgeln. Graham Nash tanzt barfuß durch die Lieder. Crosby hat die Warnung „Almost Cut My Hair“ beherzigt, er trägt Engelshaar und Robbenbart so ungezähmt wie es die Tradition verlangt, nur mittlerweile ganz in Weiß. Sie scherzen unentwegt über ihr Alter, verspotten ihr Werk als Ausgrabungsstätte und fallen sich wie ein rüstiges Ehepaar ins Wort. Zwei weise Blumenkinder, deren Knabenstimmen sich im Paar- und Satzgesang verschränken.

„Blackbird“ von den Beatles singen sie auf diese Weise und vor allem eigene Klassiker wie „Guinnevere“ und „Deja Vu“. In „Woodenship“ segeln sie wieder sanft gegen die Krieg. Zu „Long Time Gone“ kehren im Kopf die Bilder aus dem Woodstock-Film zurück: Man sieht, wie Bauer Yasgur mit dem Traktor seine Weiden mäht, bevor die Träumer mit den langen Haaren kommen.

Heute lagern wieder Hippies vor der Wall Street in New York, und selbstverständlich weisen Nash und Crosby emsig darauf hin. In ihrer Euphorie liegt auch ein Staunen darüber, dass in ihren Konzerten nicht nur Veteranen sitzen. In den frühen Achtzigern hatten sie sich bereits mit ihrer Rente abgefunden. Crosby stellte den Entzug ein, 1989 kehrte er mit einem Album namens „Yes, I Can!“ zurück und ließ sich eine neue Leber implantieren.

Nash stellte den Drogenkonsum ein und gründete ein Unternehmen für den digitalen Druck von Fotos. Dann besuchten sie Berlin als musizierende Mauerfalltouristen. Seither fühlen sie sich einzeln und in allen möglichen Besetzungen wieder gebraucht. Zuletzt sogar als Crosby, Stills, Nash & Young auf ihrer „Freedom Of Speech Tour“ durch Amerika.

Im Admiralspalast, in Rufweite des Brandenburger Tors, erklingt das Landlustlied „Our House“, und der Kristallleuchter erstrahlt über den Köpfen wie die Sonne. Alle wiegen sich und singen: „Our very, very, very fine house." Inzwischen weiß man, was man an den alten Häusern hat.