Es ist keinen Monat her, da versammelten sich die deutschen Kulturjournalisten auf dem Berliner Schlossplatz, um in der frisch eröffneten Humboldt-Box in die Zukunft zu schauen. Das rekonstruierte Hohenzollernschloss soll bald städtebauliche Wunden und in unzähligen Feuilletonschlachten ausgehobene Gräben schließen.
So manchem war die Erleichterung deutlich ins Gesicht geschrieben, nun endlich über Inhalte diskutieren zu können, nach all den Debatten um die Notwendigkeit einer solchen Rekonstruktion, um horrende Bausummen und die Frage, ob das Schloss nun mit oder ohne Kuppel entstehen wird. Man genoss einen gewissen Frieden in der „Humboldt-Lounge“ im dritten Stock, endlich, und seitdem es das Projekt gibt, eigentlich zum ersten Mal.
Der Frieden, er ist dahin. Glaubt man der aktuellen Ausgabe des Hamburger Magazins „Art“, droht den Schlossfreunden neues Ungemach. Der Kunstzeitschrift sind Dokumente italienischer Behörden zugespielt worden, die belegen, dass der im Wettbewerb siegreiche Architekt Franco Stella niemals hätte teilnehmen dürfen. Dafür hätte Stella in den Jahren vor seiner Teilnahme mindestens drei festangestellte Architekten beschäftigen müssen.
„Art“ liegen nun Auszüge aus der Pensionskasse vor, die zeigen, dass Stella in diesem Zeitraum nur für einen angestellten Architekten Sozialabgaben abgeführt hatte – und das für nicht mehr als eine Halbtagesstelle. Wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre, würde demnächst also keinesfalls Stellas Entwurf mit einem 590-Millionen-Kraftakt realisiert, sondern die zweitplatzierte Vision des Berliner Büros Kühn-Malvezzi. Und hätte die Teilnahmebedingung von drei Festangestellten nie gegolten, dann wären nicht 85 Prozent der deutschen Architekturbüros von Anfang an vom Wettbewerb ausgeschlossen gewesen.
Fehlende Sozialversicherungsnachweise
Besonders pikant sind die Unterlagen der italienischen Pensionskasse, weil es bereits einen Rechtsstreit durch mehre Instanzen um die Zulässigkeit von Stellas Teilnahme gegeben hat. Während der Prozesse, in deren Verlauf das Bundeskartellamt die Vergabe an Stella aufgehoben hatte, wogegen wiederum das Bauministerium geklagt hatte, konnte Stella merkwürdigerweise nie die Sozialversicherungsnachweise seiner angeblichen Mitarbeiter vorlegen.
Stattdessen stützte er sich auf ein zweiseitiges Gutachten des Vorsitzenden der Architektenkammer seines Heimatortes. Dieses schien zumindest in Düsseldorf erheblichen Eindruck gemacht zu haben: In letzter Instanz entschied das dortige Oberlandesgericht Ende 2009 die Zulässigkeit der Vergabe des Auftrages an Franco Stella „auf der Grundlage der vom Auslober vorgegebenen Zulassungskriterien.“ Außerdem sei „das von Stella zusammengestellte Team mit ihm und seinem Büro an der Spitze für dieses Projekt ausreichend fachkundig und leistungsfähig“.
Der Berliner Architekt Hans Kollhoff, der mit seinem Entwurf den dritten Platz belegte und die in Düsseldorf abgeschmetterte Klage gegen Stella mit einer Rüge beim Bundeskartellamt ins Rollen gebracht hatte, zeigt sich nach der jüngsten Wendung des Falls eher empört als überrascht. „Vermutet hat das ja jeder“, sagt Kollhoff gegenüber „Morgenpost Online“. „Nur haben sich alle weggeduckt, nachdem das Bundesministerium die Entscheidung des Kartellamtes recht hemdsärmelig beiseite gewischt hat.“ Wenn nun stichhaltige Beweise gegen Stella vorlägen, sei das nicht weniger als ein Paukenschlag: „Die Glaubwürdigkeit des Projektes und aller Beteiligten wäre damit noch weiter beschädigt.“
Sie könnte allerdings noch weiter beschädigt werden: Auch wenn vergaberechtliche Klagen mit dem letztinstanzlichen Urteil ausgeschlossen sind, drohen nun zivilrechtliche Klagen. An deren Ende könnte ein verurteilter Betrüger Deutschlands wichtigstes Bauprojekt verantworten. Eine Schlusspointe, wie sie sich selbst die härtesten Schlossgegner nur schwer hätten ausmalen können.