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Wider die Lebenslügen – zum Tod von Jost Nolte

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Berthold Seewald

Foto: www.mathiasnolte.de

Sensibel für Gedächtnislücken. Über Jahrzehnte prägte Jost Nolte die Literaturkritik der "Welt". Jetzt ist er im Alter von 83 Jahren gestorben.

Seit 1998 erscheint die "Literarische Welt" als Beilage der "Welt". Das Journal für das literarische Geschehen geht auf Willy Haas zurück, der es 1925 gegründet und durch die Weimarer Republik geführt hat. Doch dass die "Literarische Welt" schließlich ihre Wiederauferstehung in der "Welt" erlebte, verdankt sich nicht zuletzt einem anderen literarischen "Welt"-Supplement, bei dem Willy Haas nach dem Krieg seine Heimat fand: der "Welt der Literatur". Womit wir bei ihrem anderen prägenden Kopf wären: Jost Nolte.

Um einmal die Fülle der Meinungen und Köpfe, die darin zu Wort kamen, zu umreißen, reicht ein Blick ins Impressum. Als Herausgeber der "Welt der Literatur" werden Helmuth de Haas und Christian Ferber genannt, als wesentliche Mitarbeiter Willy Haas, Martin Beheim-Schwarzbach, Ralf Dahrendorf, Martin Esslin, Hans Egon Holthusen, Jost Nolte und Jürgen Rühle. Dass sich Nolte als Ressortleiter mit dieser Nennung begnügte, spiegelt den eingefleischten Hanseaten. Nolte ging es immer um die Sache, nicht um Titel und Tand. Er hing nicht an Posten, doch wehe, Kollegen hielten nicht, was ihre noch so klangvolle Stellung versprach. Dann konnte er ungemütlich werden.

Das galt nicht nur für journalistische Arbeiten. Nolte, 1927 in Kiel geboren, gehörte zu den Flakhelfern, die das untergehende Hitlerreich noch in seinen verlorenen Krieg schickte. Das hat ihn sensibel gemacht für Lebens- und andere Lügen. Gedächtnislücken duldete er nicht. Noch sein letztes von zahlreichen Büchern, der Roman "Der Feigling" (2003), ist einem Mann gewidmet, der 1945 seine Identität wechselt.

Nolte beließ es nicht bei der Literatur. Er begann als Regie-Assistent und Dramaturg am Hamburger Thalia-Theater und wurde bald Feuilleton-Redakteur der "Welt". Später übernahm er leitende Aufgaben im "Zeit-Magazin" und in der Kulturredaktion des NDR. Daneben schrieb er Gerichtsreportagen und Essays, literarische Kritiken und historische Analysen, Theaterstücke und Feuilletons. 1969 wurde er mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet.

Bis zuletzt pflegte er seinen Blog

Jost Nolte war ein Ruheloser. 1994, mit 67 Jahren, kehrte Nolte zur "Welt" zurück, um die Beilage "Geistige Welt" mit neuen Impulsen voranzubringen. Da zeigte sich noch einmal seine andere Stärke, die Fähigkeit, im Team zu arbeiten, zu motivieren, Vorbild zu sein ohne egoman zu werden. Was Willy Haas für die junge "Welt" war, wurde Nolte für die "Geistige Welt" der Neunzigerjahre. Die Freundschaften, die damals geknüpft wurden, hielten den Zeitläuften stand, die er bis zuletzt in seinem Blog kommentierte. Angst vor Wandlungen hatte er nicht.

Am 24. Juni ist Jost Nolte an den Folgen eines Schlaganfalls bei Schwerin gestorben. Er wurde 83 Jahre alt.