Deutsches Theater

Nina Hoss sucht Öl und findet Theatergold

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Matthias Heine

Foto: dpa / dpa/DPA

Im Berliner Deutschen Theater wurde Lukas Bärfuss' neues Stück "Öl" uraufgeführt. Es geht um Westler, die in einem "Scheißland mit Scheißmenschen" nach Bodenschätzen suchen. Gespielt wird es von fünf der besten deutschen Schauspieler. So einfach lässt sich ein Theatererfolg basteln.

Es ist geradezu rührend, wie treu Ulrich Khuon seinen Künstlern und seinen Methoden bleibt. Als er 2000 als Intendant des Hamburger Thalia-Theaters begann, startete er mit einer Klassiker-Inszenierung von Andreas Kriegenburg, am nächsten Tag folgte die Uraufführung eines Gegenwartsstückes inszeniert von Stephan Kimmig. Jetzt, neun Jahre später, am Deutschen Theater, machte Khuon es wieder genauso - nur stammt das neue Stück am zweiten Tag diesmal nicht von Moritz Rinke, sondern von Lukas Bärfuss. Es heißt "Öl" und ist mit der Auftaktinszenierung "Herz der Finsternis" dramaturgisch verwoben.

Beide Male geht es um Europäer, die von der Geldgier in "Scheißländer" getrieben werden. Im 19. Jahrhundert jagten sie Elfenbein im Kongo, heute suchen sie Bodenschätze in der Gegend von Beryok, einer Stadt vermutlich in Ostnordeuropa. Es gibt Rentiere. Und vielleicht noch Öl. Der Geologe Herbert Kahmer (Felix Goeser) und sein Ingenieur Edgar Bron (Ingo Hülsmann) wollen es finden. Es ist die allerletzte Karte, die Kahmer im Spiel seines Lebens noch hat. Und deshalb muss seine Frau Eva (Nina Hoss) drei Jahre lang in ihrem wieselverseuchten Appartement auf ihn warten, während er immer wieder draußen in den Steppen sprengt und auf das erlösende ölanzeigende Echo wartet.

Eva ist darüber zur Alkoholikerin geworden. Die Zeit vertreibt sie sich damit, ein Affärchen mit Edgar Bron zu pflegen und ihre Hausangestellte Gomua (Margit Bendokat) zu schikanieren. Die Duelle dieser beiden Frauen werden dank der beiden Schauspielerinnen zu Höhepunkten. Wie Eva Gomua zwingt, die "hundert häufigsten Wörter der deutschen Sprache" auswendig zu lernen, und Hoss und Bendokat sich beim Aufsagen derselben geradezu Schwitterssche Wortkonzerte um die Ohren pusten - das ist zum Niederknien.

Hoss schafft es, diese Eva mit ihrer bisherigen Glanzrolle am Deutschen Theater zu verknüpfen: der Medea in Barbara Freys seit 2007 dauerlaufender Inszenierung. Aus dem blasierten westlichen Weibchen Eva, das alle Psychomoden mitgemacht hat, wie ihr der Gatte in einer langen, komischen Tirade vorhält, wird eine Furie mit Visionen, die den Geliebten und den Gatten schlachtet (Letzteres ist im Stücktext nicht vorgeschrieben).

Keine Ahnung, ob Regisseur Stephan Kimmig und Bühnenbildnerin Katja Hass die Ähnlichkeit zwischen Medea und Eva auch noch untermauern wollten, aber sowohl damals als auch jetzt spielt Hoss eine Frau, die in einem fremden Land in einer Plattenbauwohnung gefangen gehalten wird.

Die in Berlin gezeigte Stückfassung weicht übrigens stark von der im Wallstein-Verlag gedruckt vorliegenden Version ab. In Bärfuss' Original gibt es eine Figur namens Elsa Danzig, die irgendwann Eva erscheint. Es ist eine Art Widergängerin ihres idealistischen Ichs. Auf der Bühne des Deutschen Theaters wird daraus eine eingeborene Nomadin, möglicherweise der Geist des Mädchens, das hingerichtet werden soll, weil es einen der Arbeiter von Herbert und Edgar draußen in der Wildnis mitsamt seinem Zelt angezündet hat. Susanne Wolff gibt sie mit Kurzhaarperücke, im schwarzen Männeranzug einer Fanatikerin - solche Anzüge tragen, wie man seit dem Film "Paradise Now" weiß, palästinensische Selbstmordattentäter, wenn sie sich auf den Weg nach Israel machen.

Die Regie legt allerdings nahe, dass dieses Kriegsweisheiten des chinesischen Strategen Sun Tzu zitierende Mädchen vielleicht nur ein Wahn Evas sei, der dem berüchtigten Glas zuviel geschuldet ist.

Gekappt sind auch die religiösen Bezüge, die Eva mit der Pilgerin Elvira aus seinem Stück "Der Bus" verbindet - sie nennt das Mädchen nicht mehr "Prophetin".

Das Stück hat auch in der für die Bühne vereinfachten Fassung noch seine Schönheiten, aber auch seine Schwäche. Letztere ist der Mangel an äußerer Handlung. Irgendwann bringt Eva ihren Mann eben um, ohne dass es einen Konflikt im dramentechnischen Sinne gegeben hat.

Die Schönheit liegt in der Sprache und der Figurenzeichnung von Bärfuss. Selbst über den manischen Herbert wird nicht gleich ein eindeutiges Urteil gesprochen - auch er hat ein bisschen Recht, wie jeder hier auf seine Weise.

Ihn spielt als wuchtigen Sprengsatz von Mensch Felix Goeser. Er ist aus Stuttgart ans Deutschen Theater gekommen. Während Kriegenburg in "Herz der Finsternis" noch ausschließlich mit aus Hamburg mitgebrachten Darstellern arbeitete, stellt sich hier das neue Ensemble in seiner ganzen Bandbreite vor. Margit Bendokat ist ein Urgestein des Hauses, Hoss und Hülsmann kamen in der Ära von Khuons Vorgänger Wilms, und Susanne Wolff war eine der Königinnen an Khuons Thalia-Theater.

Wenn solche Schauspieler sich auch mal in eher dienenden Rollen einordnen, dann läuft etwas grundsätzlich richtig in einem Theater. Dann ist es ganz einfach, einen Erfolg zu schaffen. Man braucht nur ein gutes Stück. Das man mit fünf der besten Schauspieler Deutschlands besetzt. Und dann noch einen Regisseur, der die Menschen und den Text miteinander verschmilzt. Nur muss man das alles erst haben. Das Deutsche Theater hat es.

Termine: 24., 30. September, 7., 10., 15., 25. Oktober

Karten (030) 284 41 221 oder www.deutschestheater.de