Die Geschichten hinter den Gräbern des Jüdischen Friedhofs Berlin-Weißensee erzählt die faszinierende Doku “Im Himmel, unter der Erde“.

Seine Hauptaufgabe bei einer Bestattung sei dafür zu sorgen, "dass der Sarg in sein Grab kommt", sagt der Rabbiner William Wolff am Anfang des bemerkenswerten Dokumentarfilms "Im Himmel, unter der Erde" über den jüdischen Friedhof in Weißensee, und dabei huscht kurz ein schelmisches Lächeln über das Gesicht des 84-jährigen.

Er ist einer der vielen Protagonisten im Film der Grimme-Preisträgerin Britta Wauer über die wenig bekannte, fast verwunschen wirkende Ruhestätte im Nordosten Berlins.

Größter Jüdischer Friedhof Europas

Dabei ist der Friedhof nicht nur der größte in Europa, sondern noch immer – oder besser: wieder – sehr aktiv. Der 1880 von der Jüdischen Gemeinde angelegte Friedhof umfasst heute rund 115.000 Gräber und steht seit 1970 unter Denkmalschutz, demnächst soll das 42 Hektar große Gelände ins Weltkulturerbe der Unesco aufgenommen werden.

Jedes Mausoleum hat eine Geschichte

Viele Berühmtheiten der Stadt liegen hier, die Verleger Rudolf Mosse und Samuel Fischer, der Schriftsteller Stefan Heym und der Maler Lesser Ury. Und jeder kleine von Efeu überwucherte Grabstein, jedes extravagante Mausoleum hat eine Geschichte. Einige davon erzählt Wauers Film.

Entstanden ist keine nüchtern-chronologische Dokumentation, sondern ein mal heiteres, mal melancholisches, immer würdevolles Porträt, dessen atmosphärische Bilder mit einer eigens komponierten und von einem 70-köpfigen Orchester eingespielten Filmmusik unterlegt sind.

Wauer springt in der Zeit, verbindet Vergangenes mit der Gegenwart, Geschichte mit Geschichten, die diesen Ort so einzigartig machen. Der 1927 geborene Harry Kindermann etwa erzählt, wie er als Kind hier spielte und mit zwölf zum ersten Mal Auto fuhr. Im Dritten Reich wurde der Friedhof Zufluchtsort für viele, trotz Holocaust wurde er von den Nazis nie geschändet.

Zu DDR-Zeiten ist der Friedhof verkommen

Nach Ende des Kriegs war die jüdische Gemeinde von 170.000 auf 1500 geschrumpft und in der DDR verkam der Friedhof zusehends. Wauer zeigt aber auch Aufnahmen aus den achtziger Jahren, als Hunderte FDJ-Mitglieder Gräber und Wege pflegten.

Auch die Rituale haben sich im Laufe der Zeit gewandelt, heute legen viele der russischen Einwanderer statt Steinchen Blumensträuße auf die Gräber, zum Erstaunen von Rabbi Wolf. Immer wieder gelingen Wauer berührende Momente, wenn sie Menschen auf der Suche nach Vorfahren begleitet, wie die Schweizerin Gabriella Naidu, die dank der vollständig erhaltenen Aufzeichnungen das Grab ihres Urgroßvaters Adolf Schwabacher findet, der Ende des 19. Jahrhunderts Direktor der Berliner Börse war, oder der nach Amerika emigrierte Benny Epstein, der 2008 zum ersten Mal hier das Grab seiner Großmutter besuchte.

Israelische Soldaten pflegen Gräber deutscher Juden, Angehörige der Bundeswehr gedenken der gefallenen jüdischen Soldaten des Ersten Weltkriegs. Nicht alle sind wegen der Vergangenheit hier, eine Familie wohnt auf dem Gelände. Und in den Baumwipfeln beobachten Vogelkundler Greifvögel.

Auch wenn sich Friedhofswärter Ron Kohl wie in einem Museum vorkommt: Die Stadt der Toten im Nordosten der Stadt ist wieder sehr lebendig.