ARD-Dokumentation

Gegen Kohl hatte Schäuble nie eine Chance

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Günther Lachmann

Foto: WDR/dpa / dpa

Eindrucksvoll wird in der ARD-Reihe "Duelle" die politische Freundschaft zwischen Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble belichtet. Aus Partnern wurden Gegner.

Noch sind Wolfgang Schäuble und Helmut Kohl Freunde. Schäuble ist es, der auf dem Parteitag 1989 in Bremen den innerparteilichen Putsch gegen den CDU-Vorsitzenden und Kanzler verhindert hat. Jetzt, im Herbst 1990, macht er Wahlkampf für ihn.

An diesem Abend ist Schäuble in Oppenau in der „Gaststätte Brauerei Bruder“. Ein Heimspiel. Gleich wird Schäubles älteste Tochter kommen, um ihren Vater abzuholen. Alles ist wie immer. Doch dann fallen drei Schüsse. Leibwächter Klaus-Dieter Michalsky wirft sich vor den CDU-Politiker und kann eine Kugel abfangen. Die beiden anderen jedoch treffen Schäubles Kiefer und sein Rückenmark. Von diesem Tag an ist er vom dritten Brustwirbel an abwärts gelähmt. Als Helmut Kohl wenig später vor einem Pulk von Fernsehkameras das Attentat kommentiert, hat er Tränen in den Augen, Tränen für einen Freund, seinen engsten politischen Weggefährten.

Wer diese Bilder bereits vergessen oder nur noch verschwommen im Gedächtnis hatte, der konnte einige davon in der Dokumentation von Jean-Christoph Caron und Stephan Lamby in der Reihe „Duelle“ in der ARD noch einmal sehen. Und der sah auch, wie Schäubles Bruder Thomas zehn Jahre später, im Jahr 2000, auf dem Höhepunkt der CDU-Spendenaffäre, ebenfalls öffentlich Zweifel an Kohls Tränen äußerte. Dessen emotionaler Auftritt nach dem Attentat sei eine Inszenierung gewesen. Kohl spricht von einer Diffamierung. Die ehemaligen Freunde haben sich nichts mehr zu sagen.

Caron und Lamby zeichnen das politische Leben Kohls und Schäubles sauber nach. Sie recherchieren lückenlos und lassen Zeitzeugen wie die frühere CDU-Schatzmeisterin Brigitte Baumeister, Ex-Generalsekretär Heiner Geißler und den im vergangenen Jahr abgewählten nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers zu Wort kommen. Aber die sagen beim besten Willen nichts Neues, nichts Überraschendes. Dramatik sollen deshalb die mit düsterer Musik unterlegten nachgestellten Geheimtreffen bringen, in denen Intrigen erdacht worden sein könnten. „Ein Duell ohne Gnade“, tönt es aus dem Off. Gnadenlos übertrieben.

Denn in Wahrheit ist die Geschichte um Kohl und Schäuble die Geschichte einer gescheiterten Freundschaft und kein Duell. Politische Differenzen gab es zwischen ihnen kaum. Die beiden sind nie wirklich gegeneinander angetreten, sie sind irgendwann aneinandergeraten. Und haben sich dann voneinander abgewendet.

Alles beginnt im Jahr 1976. Kohl holt den sportlichen Einser-Juristen Schäuble in sein Bonner Wahlkampfteam, einer Gruppe junger CDU-Politiker, die nun für viele Jahre die Agenda der Partei bestimmen sollen. Zum ersten Mal tritt er als Spitzenkandidat an. Als Kohl 1982 dann tatsächlich Kanzler wird, macht er Schäuble zum Chef des Kanzleramts. Ihre Rollen sind klar verteilt: Kohl regiert, Schäuble ist der ihm treu ergebene Vasall, der Gegner aus dem Weg räumt und in der Flick-Affäre Zeugen dazu überredet, sich nicht mehr so genau erinnern zu können. „Die Nummer eins muss unbeschädigt bleiben“, sagt Schäuble.

Gemeinsam steuern sie durch die Wirren der Wiedervereinigung. Schäuble wird Innenminister, Verhandlungsführer des Einigungsvertrages und in dieser Rolle zu einer Art Nebenkanzler. Und 1991 lässt Kohl seinen Freund, der inzwischen im Rollstuhl sitzt, im Vertrauen wissen, er halte ihn für einen würdigen Nachfolger.

Vermutlich ist es dieser Satz, der ihr Verhältnis ins Wanken bringt. Denn spätestens jetzt ist Schäuble ein Wartender. Er wartet auf ein Zeichen von Kohl, wann dieser abtreten will, wartet auf seine Chance, nach Jahren als treuer Gefolgsmann endlich die Nummer Eins zu werden.

Schäubles zweite Enttäuschung

Doch Kohl tritt 1994 noch einmal zur Wahl an. Schäuble wird ungeduldig. Auf einer USA-Reise setzt er sich medial in Szene. Er will wissen, wie die deutsche Öffentlichkeit darauf reagiert, ob sie einen Kanzler im Rollstuhl akzeptieren würde.

Kohl wird misstrauisch und wegen der ausbleibenden politischen Erfolge wohl auch erstmals etwas amtsmüde. Vor allem die neuen Bundesländer machen ihm Schwierigkeiten, weil der wirtschaftliche Aufschwung dort noch immer nicht in Fahrt kommt. Nun gibt er Schäuble den Hinweis, dieser könne auf eine Amtsübergabe zur Halbzeit hoffen.

Doch daraus wird auch nichts, denn der Kanzler aus der Pfalz überlegt es sich anders. Das aber sagt er Schäuble nicht persönlich, sondern teilt es der ganzen Nation in einem Fernsehinterview während eines Osterurlaubes mit. „Diese Entscheidung beeinflusste unser Verhältnis nachhaltig“, sagt Kohl Jahre später. Zweimal hat er dem Mann, der alles für ihn tat, der ihm wie kein anderer absolut verlässlich zur Seite stand, ohne Not Hoffnungen gemacht und dieselben später wieder zerstört.

Die Spendenaffäre

Nach Kohls Wahlniederlage gegen Gerhard Schröder 1998 wird Schäuble endlich CDU-Vorsitzender. Doch dann kommt die Spendenaffäre. Schäuble weiß, dass er nun den Aufklärer geben muss. Dabei hängt er selbst mit drin. Bei einer Veranstaltung im Jahr 1994 im Bonner Hotel „Königshof“, wo die CDU um Spender für den anstehenden Bundestagswahlkampf warb, hatte Schäuble von dem Unternehmen Karl-Heinz Schreiber 100.000 Mark angenommen. Das Geld wurde nicht als Parteispende, sondern als „sonstige Einnahme“ verbucht.

Als bekannt wird, dass die CDU über Jahre Spenden in Millionenhöhe nicht angegeben hatte, Kohl in Bedrängnis gerät, erzählt ihm Schatzmeisterin Brigitte Baumeister von Schäubles 100.000 Mark. Daraufhin bestellt Kohl den damaligen CDU-Chef Schäuble zu sich in sein Berliner Büro und spricht ihn darauf an.

Erpresst er ihn damit? Diese Frage kann auch die Dokumentation nicht beantworten. Sicher ist nur, dass Schäuble daraufhin im Bundestag die Annahme der Spende gesteht. Er gerät in Bedrängnis und fordert Kohl öffentlich auf, er solle die Namen all derer nennen, die ihm in den 90er-Jahren Millionen für die Partei zugesteckt hätten. Doch Kohl schweigt. In der Presse tauchen zunehmend Geschichten auf, die Schäubles Rolle hinterfragen.

Noch einmal kommt Schäuble in Kohls Berliner Büro. Es ist der 18. Januar 2000, 8.30 Uhr. Schäuble kommt in dem Bewusstsein, sich selbst nur noch retten zu können, wenn Kohl auspackt. Doch der schweigt. „Ich habe ihm gesagt, wegen mir musst du nicht zurücktreten“, erinnert sich Kohl später. Schäuble verlässt das Büro mit den Worten: „Wir werden unsere Beziehung für immer beenden.“

Nie habe er einen solchen Hass gespürt wie in diesem Augenblick, erinnert sich Kohl. Und erst zehn Jahre später, im Herbst 2010, gibt es von ihm eine erste versöhnliche Geste. Auf einer CDU-Veranstaltung sagt er: „Wolfgang Schäuble ist ein Teil von uns“. Diesen lässt das ungerührt. In einem Exklusivinterview für die Dokumentation bekennt er: „Ich hege keinen Groll gegen ihn, gehe mit ihm respektvoll um, mit seinem Andenken. Aber ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben.“ Vielleicht ist es auch das Eingeständnis, dass er gegen Kohl nie eine Chance hatte. Ganz sicher aber ist es das Ende einer politischen Tragödie.