ARD-Dokumentation

Wie Gregor Gysi mit der Stasi umging

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Uwe Müller

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Die ARD zeigt eine mutige und außergewöhliche Dokumentation über Gregor Gysi und seine Stasi-Kontakte. Der 45-minütige Film "Die Akte Gysi" dürfte sogar manches Mitglied der Linken schwer erschüttern.

Sage keiner, Gregor Gysi habe nicht von der Stasi profitiert. Nach Aktenlage ist das Gegenteil der Fall. Schon im zarten Alter von acht Jahren erhielt der heutige Fraktionschef der Linken im Bundestag vom Geheimdienst des SED-Staates ein fürstliches Geschenk – eine elektrische Eisenbahn im Wert von 130 West-Mark. Allerdings nahm der Vater das Präsent für seine Kinder in Empfang, als Dank für seine Spitzeltätigkeit als IM „Kurt“. Das war Weihnachten 1956. Da legte Klaus Gysi, der eloquente Kulturfunktionär, den Grundstein seiner steilen Karriere im SED-Staat: Er „säuberte“ in stalinistischer Manier den Aufbau-Verlag von „konterrevolutionären Elementen“, ideologisch verpönte Autoren wie Bloch, Lukács oder Sartre flogen aus dem Programm, und der abgelöste Verlagsleiter Walter Janka landete im Bautzener Stasi-Knast?

Nun kann und darf Gregor Gysi nicht für die Sünden seines Vaters haftbar gemacht werden. Die 45-minütige Dokumentation „Die Akte Gysi“ über den prominenten DDR-Rechtsanwalt und seine Kontakte zur Stasi, die in der ARD läuft (Donnerstag, 20.01.11, 23.30 Uhr), erwähnt dennoch die Episode von der geschenkten Eisenbahn in einer knappen Sequenz. Schließlich illustriert sie, dass Gysi in einem Elternhaus aufgewachsen ist, dass entgegen landläufiger Vorstellungen nicht allein großbürgerlich, liberal und polyglott war. Sondern eben auch in einer Familie, in der ohne großes Zaudern der Wille der Staatspartei exekutiert wurde.

Es ist dieses wenige Sekunden beanspruchende Detail, das zeigt, dass die Autoren Hans-Jürgen Börner und Silke König ihren Stoff in souveräner Weise durchdrungen haben. Mehr als das: Die Dokumentation ist ungewöhnlich dicht, virtuos komponiert und einfach atemraubend.

Nicht ausgeschlossen, dass die Sendung sogar so manches Mitglied der Linken – jedenfalls jene, die eher dem eigenen Verstand als der Parteiraison folgen – schwer erschüttert. Vielleicht wollen einige dieser Genossen nach der Sendung sogar wissen: „War da was, Gregor?“ Auf jeden Fall verdient der Film die Aufforderung: Aufbleiben! Anschauen! Aufzeichnen! Letzteres deshalb, weil jede Veröffentlichung über den Komplex „Gysi und die Stasi“ akut von Zensur bedroht ist. Der Politiker hat bereits eine Hamburger Anwaltskanzlei eingeschaltet, die von der ARD erste Unterlassungserklärungen fordert.

Die Autoren ließen sich dieses Mal nicht abschrecken

Bisheriger Gegenstand des sich abzeichnenden Rechtsstreits ist nicht etwa die Dokumentation selbst, sondern lediglich die im Internet dazu veröffentlichte Ankündigung. Sie enthalte gleich mehrere Falschbehauptungen, tragen Gysis Advokaten vor. Wenn es für den gewieften Juristen Gysi um „die Frage aller Fragen“ geht, wie das sein Biograf Jens König ausdrückt, versteht er keinen Spaß. Dann nämlich wird geklagt, was das Gesetz hergibt. Trotzdem hat Gysi immer wieder Erfolg, weshalb Rundfunkhäuser und Zeitungsverlage ihre Veröffentlichungen in vielen Fällen zurückziehen mussten.

Doch von dieser Drohkulisse, die Gysi in schnöder Regelmäßigkeit aufbaut, haben sich Börner und König nicht beeindrucken lassen. Sie zeigen im Vorspann einen im Fernsehen feixenden Gysi und kontern die Einblendung sogleich mit einem frechen Kommentar des Sprechers: „Souverän, witzig und charmant: So kennt man Gregor Gysi aus den Talkshows. Was bis heute stört, ist seine Vergangenheit.“ Diese Vergangenheit, so die These, sei voller Makel.

Belegt wird dies an gut einem halben Dutzend Fällen, in denen Gysi zu DDR-Zeiten anwaltlich tätig wurde.

Zu den Stasi-Vorwürfen wollte sich Gysi, obwohl schon im Mai 2010 angefragt, vor laufender Kamera nicht äußern. Über sein Bundestagsbüro ließ er ausrichten, er werde es „weder zeitlich noch inhaltlich“ schaffen, Auskunft zu geben. Dennoch kommt Gysi umfangreich zu Wort. Material gibt es schließlich zur Genüge.

Am laufenden Band Dementis

Der frühere DDR-Anwalt geriet erstmals 1992 in Verdacht, Zuträger der Stasi gewesen zu sein. Seitdem hat sich für ihn die Faktenlage nicht gebessert. Und seitdem verbreitet Gysi gebetsmühlenartig seine Dementis. IM „Notar“ oder IM „Gregor“? Nein, dahinter stecke er natürlich nicht. Wie aber kann es dann sein, dass die Stasi unter den beiden Decknamen brisante Informationen zu Vorgängen sammelte, die eigentlich nur er wissen konnte?

Gysi lässt sich dadurch nicht in die Enge treiben. Die Stasi habe sich womöglich Vermerke aus seiner Kanzlei besorgt. Sollte der Geheimdienst tatsächlich bei ihm, dem Sohn des berühmten SED-Funktionärs, der selbst ein treuer Parteisoldat und aussichtsreicher Parteikader war, einen Diebstahl von Akten veranlasst haben? Wer sich auf Gysis Argumentations-Pirouetten einlässt, dem wird rasch schwindlig.

Als Gysi seinen Wunschberuf ergriff, war er der jüngste Anwalt in der DDR. Von Anbeginn an erhielt er heikle Mandate, heikel jedenfalls aus Sicht von SED und Stasi. Er verteidigte Staatsfeinde wie Robert Havemann und Rudolf Bahro sowie Schriftsteller wie Lutz Rathenow und Thomas Erwin. Er überredete die inhaftierte Oppositionelle Vera Lengsfeld wortreich, nach Großbritannien auszureisen, obwohl der Richter zuvor ihre Entlassung in die DDR angewiesen hatte.

Er versuchte im Auftrag des SED-Zentralkomitees den republikflüchtigen Ingenieur Gerhard Fiedler zur Rückkehr in die DDR zu bewegen und traf sich dazu mit ihm unter mysteriösen Umständen in West-Berlin. All diese Vorgänge werden in der „Akte Gysi“ sorgfältig beschrieben sowie von Zeitzeugen und Historikern umfassend kommentiert. Mehrfach wird dabei die Frage aufgeworfen, ob Gysi seine Mandanten verraten haben könnte, ein Tatbestand, der übrigens auch nach dem Strafgesetzbuch der DDR als „Verletzung des Berufsgeheimnisses“ streng geahndet wurde. Gysi bestreitet energisch, gegen Recht und Gesetz verstoßen zu haben.

Genauer auf Inhalte der Dokumentation einzugehen, wäre riskant. Nicht etwa, weil dies schädlich wäre für die Spannung beim Zuschauer. Sondern, weil jede weitere Information Gysis Anwälten Vorwände liefern könnte, die Ausstrahlung der Sendung im letzten Moment verbieten zu lassen. Auf eine Episode, ein abscheuliches Verbrechen, das erst nach der Wiedervereinigung gesühnt wurde, sei dennoch hingewiesen.

Wenige Tage vor dem Weihnachtsfest 1984 tötete der angetrunkene Stasi-Wachmann Werner F., der zuvor in der Kreisdienststelle Güstrow seinen 60. Geburtstag nachgefeiert hatte, nachts gegen 23 Uhr den 30-jährigen Familienvater Wolf-Dieter Runge grundlos auf offener Straße mit seiner Dienstpistole.

Einen Stasi-Mann wegen Mord anklagen? Undenkbar in der DDR-Diktatur. Doch der Vater des Getöteten wollte genau das erreichen und bat deshalb Gregor Gysi um Rat. Die genaue Rolle seines Anwaltes wurde ihm erst nach Öffnung der Stasi-Archive bewusst. Heute sagt Siegfried Runge: „Echt ’ne große Schweinerei.“ Man wüsste zu gern, was Gysi darauf erwidert.