Verlässt ein erfolgreicher Schauspieler sein angestammtes Revier und entdeckt den Sänger in sich, läuft er Gefahr, ernst genommen zu werden. Und kann doch nur in den seltensten Fällen die Erwartungen erfüllen. Mit Glück bleibt der Ausflug auf das unsichere Terrain des Pop eine Petitesse für die eigene Biografie, ein charmanter Ausbruch aus dem Trott des Filmstudioalltags, ein neugieriges Schnuppern in fremdes Klub-Metier. Und die Gewissheit, dass entschlossene Fans über vermeintliche Schwachstellen gütig hinweg hören.
Ein bisschen unheimlich wirkt es schon, wenn auf der kleinen Bühne des Frannz Club nun ein auf der Leinwand lieb gewonnenes Gesicht leibhaftig am Mikrofon steht und dem amerikanischen Protestsong im Folkrockgewand huldigt. Tim Robbins, der oscargekrönte Schauspieler und Regisseur ("The Player", "Dead Man Walking"), hat gerade mit einer Handvoll ausgesuchter Musiker und unter Anleitung von Produzentenguru Hal Willner sein Debütalbum eingespielt, das neun durchaus hörenswerte, eigene Songs vereint. Die spielt er nun auf einer Club-Tournee den europäischen Fans vor.
Es wird ein Abend voller großartiger Musik mit einem zwar nicht großartigen, aber zumindest großherzigen Sänger. Er hat gerade erst die Frannz-Bühne betreten, schon beginnt das Publikum, ihm ein laustarkes "Happy Birthday" entgegen zu singen. Tim Robbins hat Geburtstag, 52 Jahre alt ist der fast zwei Meter große Hüne mit dem Babyface geworden, und seine Musiker nutzen in der zweistündigen Show jede sich bietende Chance, um in das eine oder andere Solo eine dezente Happy-Birthday-Melodie einfließen zu lassen. Allein das macht diesen Abend zu etwas Besonderem.
Die Band nennt sich The Rogues Gallery Band. Man muss wissen, dass Produzent Hal Willner sich in der Vergangenheit vor allem durch überragende Tributalben einen Namen gemacht hat, auf denen er Stars aus Klassik, Rock und Avantgarde vereinte, um die Musik aus Disney Filmen ("Stay Awake"), von Thelonius Monk ("That's The Way I Feel Now") oder von Kurt Weill ("Lost in the Stars") in neuer Lesart einzuspielen. Im Jahr 2006 produzierte er, angestachelt durch Johnny Depp und den Erfolg von "Piraten der Karibik", ein Doppelalbum mit Piratenliedern und Shanties, das er "Rogues Gallery" nannte. Es war so erfolgreich, dass es mit Starbesetzung und der Rogues Gallery Band in England und Australien live aufgeführt wurde. Auch Tim Robbins war bei diesen Konzerten dabei. Und die Idee für das späte Robbins-Album wurde geboren.
Nun stärken ihm sechs Rogues-Musiker den Rücken, unter anderen Keyboarder (und Flügehornist) Roger Eno, Brian Enos jüngerer Bruder, der am irischen Folkrock von Chieftains bis Van Morrison geschulte Schlagzeuger Liam Bradley und der manische Mandolinespieler David Coulter, einst bei den Pogues und Test Department, der auch versiert die singende Säge zu bedienen weiß. "Dreams" steht am Anfang des Programms, eine wehmütig-düstere Ballade mit schwelgendem Chorgesang, die Robbins' musikalische Vorlieben von Pete Seeger über Bob Dylan bis Springsteen bereits andeutet. Überhaupt sitzen die musikalischen Wurzeln tief. Robbins, aufgewachsen in New Yorks Greenwich Village, ist der Sohn des Folksängers und Klubbetreibers Gil Robbins, Bruder Dave ist Komponist. Und doch entschied er sich schon früh für eine Schauspielerkarriere.
Bereits 1992 sah man ihn als Sänger im Kino, in der bissigen Sozialsatire "Bob Roberts" um einen sturzkonservativen Folksänger mit Politikerambitionen. Dem Drängen, die Songs des "rechten Dylan" auf Platte zu veröffentlichen, hat er sich aber konsequent verweigert. Lieber schrieb er nebenher eigene Lieder, spielte auch gemeinsam mit seinem Bruder in einer Band und schaffte es in den USA sogar ins Vorprogramm von Pearl Jam. Doch erst jetzt kann man seine Songs, die meist nachts in Hotelzimmern entstanden sind, hören. Das dylanesk-religiöse "Book of Josie" beispielsweise, oder der bewegende Anti-Kriegssong "Time To Kill". Daneben gehören mal gefällig, mal gegen den Strich arrangierte Coverversionen wie Johnny Cashs "Folsom Prison Blues", "All The World Is Green" von Tom Waits oder "Don't Let Us Get Sick" von Warren Zevon. Das ist alles lebendig rau, musikalisch auf höchstem Niveau und irgendwann gewöhnt man sich auch an die mitunter doch etwas dünn wirkende Stimme, der die eigene Originalität der Vorbilder etwas abgeht.
Erinnert man sich an die Bühnen-Versuche der Schauspielkollegen von Bruce Willis bis Kevin Costner oder die kuriose Selbstüberschätzung von William Shatner, David Hasselhoff und Konsorten ist Tim Robbins eine angenehme Ausnahmeerscheinung, der gute, engagierte Songs am Herzen liegen. Und er gibt sich redlich Mühe, sich seinem Publikum ganz hinzugeben. Mit dem traditionellen britischen Folksong "My Son John" gibt es auch ein Stück vom "Rogues Gallery"-Album, das damals von Schauspieler John C. Reilly eingesungen wurde. Und die sehnsuchtsvolle Pogues-Ballade "If I Shall Fall From Grace" steht als nahezu a-cappella gesungene letzte Zugabe am Ende eines in der Tat außergewöhnlichen Konzerts. Es markiert freilich nicht den Anfang einer neuen Karriere. Aber es zeigt eine spannende, sympathische Facette des Schauspielers Tim Robbins, der Achtung gebührt. Ein bisschen unheimlich bleibt es doch. Der Applaus im nicht ganz ausverkauften Frannz-Club ist lang und dankbar.