Blind Guardian: At The Edge Of Time (Nuclear Blast)
Man sollte die Stadt Krefeld keineswegs gering schätzen. Vor 108 Jahren dirigierte Gustav Mahler die Welturaufführung seiner 3. Sinfonie. Vor allem aber gilt der Krefelder als ausgesprochen friedlich. Als Wilhelm I. seine Macht als Preußenkaiser mit einer Parade demonstrieren wollte, ging der Krefelder nicht hin. Dafür erschien er 1980 zum „Krefelder Appell“. Vier Jahre später gründete der Kaufmannslehrling Hansi Kürsch die Rockband Lucifer’s Heritage, die 1987 zu Blind Guardian wurde. Eine Band von außerordentlicher Musikalität und Freundlichkeit, um Heavy Metal mit menschlichem Antlitz zu spielen.
Andererseits hält sich am Niederrhein die Aufregung in Grenzen zwischen einer Eisenbahn, die „Schluff“ heißt, und verkehrsberuhigten Zonen voller „Krefelder Kissen“. Hansi Kürsch pflegt jedenfalls seit jeher eine Neigung zum Okkulten: In den Jahren hat er den gesamten „Ring“ vertont, nicht den der Nibelungen, sondern den der Hobbits. 1988 hieß ein ganzes Album „Nightfall Of Middle Earth“ und war dem „Silmarillion“ von J.R.R. Tolkien gewidmet. Aber auch von anderen Quartalsverrückten ließen sich Blind Guardian inspirieren, von den Beach Boys und von Stephen King, von Friedrich Nietzsche und von Walter Moers aus Mönchengladbach nebenan.
Das neunte Studioalbum knüpft da an, wo „Somewhere Far Beyond“ 1994 anfing und „A Twist In The Myth“ vor vier Jahren aufhörte. Beim orchestralen, operettenhaften Metal, der die Tempi kunstvoll variiert und Melodien erfindet, von denen die Popcharts bloß noch träumen können. Von der Basis wurde dies nicht immer nur verstanden und gemocht.
Auch Thomas Strauch, der Gründungs-Schlagzeuger, genannt „Das Omen“, ging Blind Guardian vor fünf Jahren von der Fahne, und so gibt es heute neun Minuten lange Rockopern, die „Sacred Worlds“ und „Wheel Of Time“ heißen, ein Mittelaltermarkt-Stück namens „Curse My Name“ und sogar Balkanpop-Anklänge. Rasenden Speed Metal und Gewitter gibt es selbstverständlich nach wie vor.
Jon Schaffer, der in Florida die Band Iced Earth betreibt und gemeinsam Hansi Kürsch aus Krefeld das Projekt Demons & Wizards, sagt: „Hansi ist der Freddie Mercury des Heavy Metal!“ Da ist etwas dran. Und „At The Edge Of Time“ hört sich so übertrieben, virtuos und trotz des englischen Geknödels deutsch an und dabei so sanft und höflich, dass die von Japanern und Lateinamerikanern für Blind Guardian aufgebrachte Hysterie kein Wunder ist. War Krefeld je Kulturhauptstadt?
4 von 5 Punkten
Hans Zimmer: Inception (Reprise)
Christopher Nolans Film „Inception“ stellt die ewige Frage: Was ist wahr, was träumt der Mensch? Die Filmmusik hilft einem auch nicht weiter. Sie stammt von Hans Zimmer, einem Meister musikalischer Verdunklung. Der gebürtige Frankfurter hat mit der Band The Buggles in den frühen Achtzigern, mit „Video Killed The Radio Star“, den Pop als Ohrentrost beerdigt. Später haben seine Trickfilm-Soundtracks Kindern Albträume bereitet, und Erwachsene erschreckten sich wieder vor Batman.
Heute reicht es bereits, sich „Inception“ zur Beunruhigung anzuhören. Da taucht zwischen digitalen Klangnebeln und Wolken aus Orchesterklängen eine Geisterstimme auf. „No, Je Ne Regrette Rien“, von Edith Piaf gesungen. Kein profanes Sample, sondern eine „Interpolation“, wie es Hans Zimmer nennt. Die Stücke heißen „Half Rembered Dream“ und „Dream Within A Dream“, und dann erscheint eine Gitarre, die man ebenfalls zu kennen glaubt. Die in der Tat von Johnny Marr gespielt wird von The Smiths, die ja auch keine Band waren, sondern ein Traum.
4 von 5 Punkten
Rhythms del Mundo: Revival (Ministry Of Sound)
Musik aus Kuba hat den Westen in den Wachstumsjahren entzückt. Der Amerikaner Kenny Young wurde mit Hits reich wie „Under The Boardwalk“. Vor vier Jahren hatte Young die glänzende Idee, den Son aus Kuba mit dem Pop des Westens zu vermählen. Anschließend sogar mit deutschem Pop. Jetzt wird es wieder international und klassisch: KT Tunstall singt Jefferson Airplane, Green Day singen The Clash, Bob Dylan singt Bob Dylan. Die Überlebenden des Buena Vista Social Clubs sorgen für Rührung; der Erlös sorgt dafür, dass die Erde sich erträglicher erwärmt.
3 von 5 Punkten
I Am Kloot: Sky At Night (Pias)
„Where shall I go in this big black night?“ fragt John Bramwell von I Am Kloot. Wo soll er hin in dieser finsteren Nacht? Vielleicht sollte er einen Pub besuchen, das Stadion des Siebtligisten FC United Of Manchester oder irgendwohin, wo herzliche und aufgeräumte Leute sitzen und keine verzagten Vollbartträger, die ein Album nach dem anderen grundlos volljammern.
1 von 5 Punkten
Mikis Theodorakis & Francesco Diaz: Timeless. Reworked’n’Released. The 85th Anniversary Album (Wormland)
Am 29. Juli wurde Mikis Theodorakis 85 Jahre alt, und dass der größte musizierende Grieche keineswegs vergreist und gestrig wirken will, beweist sein Album „Timeless“. Unter Mithilfe des Hamburgers Francesco Diaz, der als DJ häufiger die Balearen beschallt als die Ägäis, wurden Stücke wie „O Zorbas“ einem sommerlichen Remix unterzogen. Chillen mit Mikis.
Theodorakis selbst hat in Athen noch einmal „Phaedra“ eingesungen. Volkssänger wie Petros Pandis und Kalliopi Vetta wirken mit, aber auch Deutsche Lounge-Experten wie Karl Frierson von De-Phazz aus Heidelberg. Die populärsten Auszüge eines gewaltigen Lebenswerkes werden auf den Acid Jazz der frühen Neunziger gebettet.
Zwölf Entspannungsstücke für zwölf Stunden und zwölf Monate. Vielleicht ist Mikis Theodorakis doch nicht mehr so jung wie er sich fühlen möchte, kampflustig und klar wie früher beim „Mauthausen“-Zyklus und beim Oratorium „Canto General“. Sein Land erlebt den Staatsbankrot, und er macht Loungemusik. Wolf Biermann hat vor 25 Jahren, als der Grieche 60 wurde, in „Konkret“ geschrieben: „Ja, er ist ein bedeutender Mensch. Ja, ich liebe dieses eitle Arschloch – anders ist es ja auch gar nicht auszuhalten. Ich liebe seine Lieder und bin froh wenn ich sie nicht hören muss. Das ist es: Ich ärgere mich über seine Zwiespältigkeit.“
1 von 5 Punkten
Rage Against The Machine: The Collection (Epic)
Nie wurden mehr Menschen mit ihrer Musik mobilisiert als im Advent 2009. Rage Against The Machine führten mit „Killing In The Name“ die Weihnachtshitparade Großbritanniens an. Das Stück stammte von 1992. Über Facebook wurden Hunderttausende zum Onlinekauf ermuntert, um den Sänger Joe McElderry, den Sieger einer Casting-Sendung, auf die Plätze zu verweisen. Venceremos! Es ging dem Quartett aus Kalifornien immer um die gute und gerechte Sache.
Daran wird mit einer Werkausgabe nun wieder erinnert. Die vier Studio-CDs sowie das einzige offizielle Live-Album stecken in winzigen LP-Hüllen, auf dem Debüt ein Foto des sich selbst verbrennenden Vietnamesen Tich Guang Duc. Zack De La Rocha und die Seinen hatten Rock und Rap zum Soundtrack wütender Agitation gemischt, die Hymnen hießen „Township Rebellion“ oder eben „Killing In The Name“, bei dem nicht mal der Text im Textheft abgedruckt war.
Aber man konnte Zack De La Rocha schimpfen hören: „Fuck you! I won't do what you tell me! Motherfucker!“ Überhaupt das Booklet: Die Beteiligten wurden als „Schuldige“ aufgelistet. „Weder Samples, Keyboards noch Synthesizer“, versprach das Reinheitsgebot. Die Ansprüche an sich und ihr Gefolge waren kaum zu halten.
Nach Songs für Mumia Abu-Jamal, die Zapatisten und Noam Chomsky, kam 2000 „Renegades“ heraus mit abgedroschenen Kampfliedern der Rockgeschichte wie „Street Fighting Man“ und „Kick Out The Jams“. Im Plattencover die Parole „Rage“ als Parodie auf Robert Indianas Pop-Art-Skulptur „Love“. Das Livealbum verbreitete die einschlägigen Internetadressen von protest.net bis axisofjustice.org. Vier Wochen später stieg Zack De la Rocha aus.
Er war mit der Gesamtsituation unzufrieden und sang weiterhin auf eigene Faust für Michael Moore und gegen den Irak-Krieg. Vor drei Jahren allerdings schloss er sich Rage Against The Machine erneut an, seither spielen sie als Zupferde auf Festivals. Auch eine Band, die alles auf der Welt persönlich nimmt, lebt nicht vom Brot allein.
3 von 5 Punkten