Im neuen Jahr darf in Deutschlands Gaststätten nicht mehr geraucht werden. Die Gegner des Tabakgenusses formierten sich allerdings schon sehr früh. Morgenpost Online belegt, dass bereits im 19. Jahrhundert heftig über den blauen Dunst gestritten wurde.
Aus, Schluss und Vorbei! Das Rauchen in Gaststätten gehört jetzt der Vergangenheit an. Oder doch nicht? Überall in Deutschland formiert sich Widerstand. Die Münchner „Wiesnwirte“ erwägen eine Verfassungsklage. Der Niedersächsische Gaststättenverband startet eine Initiative gegen das Rauchverbot. Ein solches, so wird argumentiert, belaste die ganze Branche. Ein rapider Gästeschwund werde die Folge sein. Ein Kneipensterben, befürchtet man, könnte eintreten. In den Zeitungen liest man Meldungen wie die, dass erste Wirte bereits aufgegeben hätten und Abgeordnete, die dem Rauchverbot im Parlament zugestimmt haben, in Wirtschaften wie dem Bera-Becka-Boandl-Bräu mit Hausverbot belegt worden seien.
Viel Lärm um nichts? Oder geht es doch um etwas sehr Grundsätzliches? Sollen in Deutschland mit dem Rauchverbot in Gaststätten künftig etwa die persönlichen Freiheiten des Einzelnen beschnitten werden? In den Leserbriefspalten der Zeitungen und in den Foren des Internet kocht die Volksseele, und zwar pro und contra. Die einen freuen sich, dass die Kleider nicht mehr nach Rauch riechen, wenn sie nach einem Kneipenbesuch nach Hause kommen. Die anderen jammern, behaupten, ihnen werde mit dem Rauchverbot in Gaststätten ein Stück Lebensqualität genommen. Und Dritte wiederum wissen nicht so recht, ob sie ja oder nein zum Rauchverbot sagen sollen.
Seit wann gibt es überhaupt eine Debatte um den Tabak und das Rauchen? Vermutlich seit dem Augenblick, als der Tabak nach der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus 1492 seinen Eroberungszug durch die alte Welt begann. Nach einer Urkunde aus der Pfalz soll der erste Tabak in Deutschland im Jahr 1573 im Pfarrgarten von Hatzenbühl (Bistum Speyer) angebaut worden sein, allerdings nicht um die Rauchgier zu stillen, sondern aus medizinischen Gründen. Im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) besorgten herumziehende Söldnerheere, dass das Rauchen in Mode kam. Auf sie geht angeblich zurück, dass das Tabakrauchen und –kauen sich in Deutschland epidemisch auszubreiten begann.
Die Gegner des Tabakgenusses formierten sich schon sehr früh
Die Gegner des Tabakgenusses formierten sich schon sehr früh. Sie glaubten, den Tabakgenuss nicht nur durch Argumente sondern vor allem durch die verschiedensten Formen der Besteuerung einschränken zu können. Allerdings half das wenig. Der Tabakkonsum nahm sogar noch zu. Da halfen auch nicht die Hinweise, dass der Tabakgenuss der Gesundheit abträglich sei. Warnungen wie beispielsweise die des deutschen Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe, der verkündete, das Rauchen mache nicht nur dumm, sondern auch unfähig zum Denken und Dichten, nahm man nicht allzu ernst. Das Rauchen war und blieb eine der urdeutschesten Leidenschaften.
Die Debatte, ob das Rauchen schädlich ist oder nicht, erregte immer wieder die Gemüter. 1890 forderte beispielsweise die „Deutsche Tabak-Zeitung“, die „Wochenschrift für Tabak-Fabrikanten, Händler und Producenten“, eine Reihe Mediziner, Gelehrter, Schriftsteller und Künstler auf, ihr Urteil abzugeben, wie sie es mit dem Rauchen hielten. Heraus kam ein Buch (Für und wider den Tabak. Aussprüche deutscher Zeitgenossen über den Tabakgenuss, Wolf Peiser Verlag, Berlin 1890), versehen mit einem Vorwort von Gustav Lewinstein, dem Redakteur der „Deutschen Tabak-Zeitung“. Das Buch, das so aufgemacht war, dass dem Leser der Eindruck vermittelt wurde, er habe eine kleine Zigarrenkiste in den Händen, ist heute eine bibliophile Rarität.
Insgesamt waren es 125 Einsendungen, die zum Abdruck kamen. Die Namen derjenigen, die ihre Meinung zum Tabakrauchen kundtaten, lesen sich wie ein „Who is who“ der Kulturszene des Kaiserreiches. Der Schriftsteller Ludwig Anzengruber ist in der Reihe derjenigen zu finden, denen es ein Anliegen war, ein Urteil abzugeben. Es findet sich dort der Name von Theodor Fontane sowie der des damals in Rom ansässigen Ferdinand Gregorovius, dessen „Geschichte der Stadt Rom“ und „Lateinische Sommer“ das deutsche Bildungsbürgertum jener Jahre begeisterten.
Auffallend ist, dass auch zahlreiche Naturwissenschaftler und Mediziner glaubten, sich äußern zu müssen. Da findet sich beispielsweise der Name von Ernst Haeckel, des berühmten Zoologen, Philosophen und Freidenkers, der die Arbeiten von Charles Darwin in Deutschland bekannt gemacht hat und als ein Wegbereiter der Eugenik und Rassenhygiene gilt. Aber auch Mediziner, die Rang und Namen hatten, äußerten sich. C.A. Ewald, ein Spezialist für Magenerkrankungen an der Berliner Universität sowie der Heidelberger Professor der Arzneimittellehre Z. Oppenheimer und auch Theodor Billroth, einer der bedeutenderen Chirurgen jener Jahre, gaben Stellungnahmen ab und formulierten ihre Vorliebe für oder ihre Abneigung gegen das Rauchen.
"Das Tabakrauchen ist ein abscheuliches, stänkriges Laster"
Typisch für eine ganze Reihe der in den dem Buch abgedruckten Stellungnahmen ist, dass die jeweiligen Verfasser zwar die Gesundheitsgefährdung durch das Rauchen einsahen, gleichzeitig aber auch die Ansicht zum Ausdruck brachten, dass es sich um ein geliebtes Laster handele, von dem man unter keinen Umständen lassen könne. Der schon genannte österreichische Dramatiker und Erzähler Ludwig Anzengruber (1839-1889) erklärte kurz vor seinem Tod: „Das Tabakrauchen ist ein abscheuliches, stänkriges Laster; welche Erkenntnis mich nicht abhält, dem Genuss der Cigarre leidenschaftlich besondern beim Schreiben und in müßigen Stunden zu frönen.“ Und der Historiker Heinrich von Sybel (1817-1895), dem so manches geistreiche Bonmot einfiel, dachte wohl ähnlich wie Anzengruber, wenn er meinte: „Ich preise Verstand und Charakter eines Jeden, welcher der Versuchung der holden Nicotiana widersteht – aber der Versuchung zu erliegen, ist doch schön.“
Schön oder nicht, die Rückmeldungen auf die Anfrage Gustav Lewinsteins waren sehr unterschiedlich, meist kurz und bündig gehalten. Der Schriftsteller Rudolf Baumbach beispielsweise, Verfasser vieler damals populärer Gedichte, Märchen, Novellen und Romane, teilte mit: „Mein Rauch/ Genuss/ Dein Rauch/ Verdruss“. Und der Feuilleton-Redakteur der in Berlin erscheinenden „National-Zeitung“ machte aus seiner Abneigung gegen den Tabak keinen Hehl: „Sehr geehrter Herr!“ , heißt es, „ich finde das Rauchen wie das Schnupfen gleich abscheulich. Hochachtungsvoll, Dr. Karl Frenzel“ . Auch Theodor Fontane, der berühmte Verfasser der „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ erklärte: „Ich rauche nicht und ich schnupfe nicht und kann nicht mal ein Bedauern darüber aussprechen.“ Emil Schiff, Korrespondent der Wiener „Neuen Freien Presse“, war ähnlicher Ansicht und mit seinem Urteil gar nicht so weit entfernt von der Einstellung Fontanes. „Die Cigarette“ , bemerkte er, „wird mir durch den Geruch des Papiers, welches man mitraucht, verleidet“.
Max Nordau wiederum, Schriftsteller und Verfasser des damals viel gelesenen Buches „Die Conventionellen Lügen der Kulturmenschheit“ (1883), war ebenfalls ein bekennender Abstinenzler, nicht was den Alkohol, wohl aber was das Rauchen betraf. Er hielt Zeitgenossen, die in Lokalen und anderen öffentlichen Orten qualmten, sogar für antisozial: „Der Tabakraucher allein kennt keine Rücksicht und zwingt seine ganze Umgebung, seine hässlich riechenden Verbrennungsgase mit einzuathmen.“
Natürlich meldeten sich auch diejenigen zu Wort, die keines Falls auf den Genuss des Rauchens verzichten wollten und ebenfalls um Argumente nicht verlegen waren. Julius Stettenheim (1831-1916) beispielsweise, Redakteur des Satireblattes „Deutsche Wespen“, der gerade im S. Fischer Verlag das Buch „Ein Kistchen Monopol-Cigarren. Die Kunst, eine Cigarre anzubieten“(1889) veröffentlicht hatte, bekannte unumwunden: „Ich bin ein passionierter Raucher. Ich kann keine Zeile schreiben, ohne zu rauchen.“
Unentbehrlicher Genuss
So ging es wohl auch dem Forschungsreisenden und ausgewiesenen Orientkenner Hermann Vambéry, der meinte, das Nikotin gehöre „zu den unentbehrlicheren Genüssen meines Lebens“. Er dachte dabei ähnlich wie der Dichter, Dramatiker und Romanschriftsteller Paul Heyse (1830-1914), der stolz bekannte, seit seinem 16. Lebensjahr geraucht und auch im fortgeschrittenen Alter nicht daran dachte, von dieser Sucht abzulassen. Das Tabakrauchen, so seine Ansicht, ist ein Genuss – und das sollte so bleiben. Und damit basta!
Einige der Rückantworten erfolgten in Gedichtform, so etwa die von Elimar, Herzog von Oldenburg (1844-1895), bekannt unter dem Schriftstellernamen Anton Günther: „ Kann nur leichte Cigarren vertragen/Rauch ungern bei leerem Magen;/Trink' zur Cigarre ich Wein oder Bier,/Schmeckt das Getränk wie Dinte mir –/Doch bei Café und gutem Liqueur/Rauch' ich sehr gerne – parole d'honneur!“ Auch die Einsendung des Schriftstellers Siegmund Haber (1835-1895), seines Zeichens Redakteur der Satirezeitschrift „Ulk“, war nicht nur eine Eloge auf „Die Cigarre“ sondern thematisierte auch das Für und Wider des Tabakgenusses: „Der Eine dampft voll Eifer sie,/Der Andere schmäht voll Geifer sie;/Den schaudert's, wenn nicht echt sie ist,/Der raucht, wenn noch so schlecht sie ist;/Mit vielem Geld verschafft man sie,/Gedankenlos verpafft man sie;/Wer keine hat, dem, fehlt sie sehr;/Ist sie zu leicht, dann „fleckt“ sie nicht,/Und ist man krank, dann schmeckt sie nicht;/Hat man App'tit, dann sucht man sie,/Als Lump grundsätzlich schnorrt man sie,/Seekrank wirft über Bord man sie;/'s giebt welche, die ganz gut man raucht,/Zu and'ren wieder Muth man braucht./Als Nahrungsmittel gilt sie nicht,/Schon raucht als Gymnasiast man sie,/Als Hausfrau aber hasst man sie./Kurzum: ob sie zu loben sei,/Ob gegen sie zu toben sei,/In diesem Streit kein Frieden ist,/Weil der Geschmack verschieden ist.“
Professor Dr. Julius H. Schoeps ist Leiter des Moses-Mendelssohn-Zentrums für Europäisch-Jüdische Studien der Universität Potsdam