Toto sind für einen Sommer wieder da. Eines ihrer wenigen Konzerte gaben sie auf der Zitadelle Spandau. Es war ein Erinnerungsabend, der die Zuschauer mitriss - für den guten Zweck.
Man kann sich das Ganze so vorstellen: Wir sind in einem großflächigen Garten, der mal ein preußischer Exerzierplatz war. Es gibt zu essen und zu trinken. Am blauen Himmel zieht ab und an ein startendes Flugzeug vorbei. Und aus der glasklar klingenden HiFi-Anlage perlt 80er-Jahre-Musik von ein und derselben Band. Das könnte nerven. Doch nahezu jedes Stück klingt vertraut. Das Beste: die Musik erklingt live, von einer der aufgeräumtesten Konzertbühnen, die man je gesehen hat. Toto war in Berlin, die amerikanische Mainstream-Rockband mit Perfektionsgütesiegel. Eingeladen zu dieser erinnerungslastigen Gartenparty hat der Berliner Rundfunksender Spreeradio 105’5, der Toto in seiner „Privatkonzert“-Reihe open-air am Sonntagabend in der Spandauer Zitadelle präsentierte.
Man hat die Zitadellenfreifläche durch Tribünen in eine kleine Konzertarena verwandelt, in der rund 4500 Besucher Platz finden. Die große Bühne ist geradezu spartanisch bestückt. Meist ist die Spielfläche ja zugestellt von Verstärkern, Lautsprecherboxen, Keyboardtürmen und jeder Menge Technik. Hier blickt man auf nahezu gähnende Leere. Die Bühne wirkt größer, als sie ohnehin schon ist. Links ein Klavier, rechts ein Standardkeyboard, in der Mitte, okay, ein ziemlich gewaltiges Schlagzeug mit Doppel-Bass-Drum. Nicht einmal eine Videowand gibt es. Dafür viel Platz für eine Band, die in ihrer nun 33 Jahre währenden Karriere für Soundopulenz und einen leichten Hang zum musikalischen Größenwahn bekannt ist. Und sie macht ihrem Perfektionisten-Ruf alle Ehre.
Neben Gruppen wie Kansas, Styx, REO Speedwagon oder Journey zählten Toto zu jener Sorte US-amerikanischer Rockmusiker, bei denen die Musik stets wie vom Blatt gespielt klang, immer eine Prise zu hymnisch, zu pathetisch; geschaffen von instrumentalen Könnern, deren handwerkliche Fertigkeiten unzählige Musikernovizen anspornten und inspirierten. Und die in ihrer chromglänzenden Gelacktheit den Gegenpol bildete zum rauen Rock’n’Roll der blutjungen Garde einer heranwachsenden neuen Generation. Die Toto-Mitglieder waren in den 70er-Jahren gefragte Studiomusiker in Los Angeles, spielten Alben mit Steely Dan, Earth, Wind and Fire oder Boz Scaggs ein. Sie arbeiteten als geschätzte Dienstleister, die sich in jedes musikalische Konzept routiniert einzufügen wussten, und sie formierten sich 1977 als Toto, benannt nach Dorothys Hund aus dem Filmmusical „The Wizard of Oz“. Gitarrist Steve Lukather, Pianist David Paich und Keyboarder Steve Porcaro zählten zu den Gründungsmitgliedern – und stehen nun auch in der Zitadelle auf der Bühne, obwohl Lukather vor zwei Jahren noch die endgültige Auflösung von Toto verkündet hatte.
Anlass für die überraschende Rückkehr ist die schwere ALS-Erkrankung - eine Erkrankung des motorischen Nervensystems - von Toto-Bassist Mike Porcaro. Sämtliche Einnahmen dieser Sommertournee durch Europa gehen an den Kollegen und seine Familie, um die horrenden Kosten der medizinischen Behandlung bezahlen zu können. Seinen Platz hat bei dieser Tour als Gast der fingerflinke Michael-Jackson-Bassmann Nathan East eingenommen. Für den 1992 gestorbenen Schlagzeuger Jeff Porcaro ist seither der britische Superdrummer Simon Phillips mit im Boot – und es gibt diesmal dankenswerter Weise kein Schlagzeugsolo.
Und Bobby Kimball? Die Stimme von Toto? Der ist solo unterwegs oder singt mit Leslie Mandoki. Man spricht auch von einem Zerwürfnis zwischen ihm und Bandleader Steve Lukather. Für ihn ist der bereits Toto-erprobte Sänger Joseph Williams wieder dabei, Sohn des Filmkomponisten John Williams und noch immer von überraschender Intonationssicherheit. Sängerin Jory Steinberg und Sänger Mabvuto Carpenter veredeln im Hintergrund die ohnehin edlen Chorusgesänge.
Das symphonisch-wuchtige Instrumentalstück „Child’s Anthem“ vom 1978 erschienenen Debütalbum steht am Anfang des nostalgischen, aber so gar nicht musealen Abends. Keine Tricks. Keine Experimente. Toto verlassen sich auf ihre frühen Großtaten. Das neueste Stück ist von 1995 („I Will Remember“ vom Album „Tambo“), der Rest kommt aus den 70er- und 80er-Jahren. Zwölf Studioalben hat Toto aufgenommen, mit sieben Grammys wurde die Band gekürt, und alles, was das gereifte Fanherz begehrt, wird auch gespielt. Das Publikum ist begeistert über Klassiker wie „Africa“ und „Rosanna“, „Georgy Porgy“ wird zu einer musikalischen Reminiszenz an die frühen Weggefährten Steely Dan, beim Reggae „Somewhere Tonight“ wird Bob Marley gehuldigt. Über zwei Jahrzehnte hat das chartsorientierte Qualitätsunternehmen Toto, das Rock, Jazz, Funk und Soul zu einem auf Hochglanz polierten Westcoast-Mainstream verquickte, bestens funktioniert. Sie waren in Europa zeitweise erfolgreicher als in den USA. Auf der Bühne können die Musiker mit ihren meisterhaften Handwerker-Fähigkeiten überzeugen. Doch sie spielen nur einen Sommer. Dann soll Toto endgültig Geschichte sein.
Steve Lukather, der auch einige Stücke singt, hält live die Fäden in der Hand und dirigiert die Band quasi mit dem Gitarrenhals. Er glänzt mit kurzen solistischen Ausbrüchen, untermauert, warum man die E-Gitarre gern als Axt bezeichnet, bleibt aber dem Konzept Toto treu. Lukather, der mit eigenen Projekten und als Studiomusiker mehr als 500 Platten eingespielt hat, veröffentlicht im Herbst sein Soloalbum „All’s Well Ends Well“ und wird bereits Ende des Jahres wieder nach Berlin kommen, in die C-Halle. In der Zitadelle ist inzwischen die Dämmerung hereingebrochen und der Erinnerungsabend ist nach 90 Minuten beendet. „Home of the Brave“ und „Hold The Line“, den ersten Hit von 1978, gibt’s noch als Zugabe. Der Applaus ist lautstark - und wird nur vom abschließenden Spreeradio-Höhenfeuerwerk übertönt.