Late Night

Schreikampf der Unternehmer bei Maischberger

| Lesedauer: 6 Minuten
Thilo Maluch

Nachdem sich viele Talkshows der von Guido Westerwelle angestoßene Debatte um Hartz-IV-Empfänger angenommen hatten, sollten bei Maischberger Betroffene und Unternehmer zu Wort kommen. Doch statt zu einer Diskussion, kam es zu Schreikämpfen – die kaum zu kontrollieren waren.

Die Sendung war von Beginn an auf Krawall ausgelegt. Sandra Maischberger hatte sich Gäste eingeladen, die durchaus für deutliche Worte bekannt sind. Auch der Titel der Sendung war dafür gut gewählt: „Ihr da oben, Ihr da unten: Wer sind die wahren Asozialen?“ Doch dass die Sendung fast in Tumulten endete und man froh sein musste, dass bei den Schreiattacken nicht auch noch Gläser oder Fäuste flogen, damit hatte wohl niemand gerechnet.

Eigentlich waren die Rollen vorher brav nach Proporz verteilt. Zwei Unternehmer und zwei Politiker trafen auf zwei Hartz-IV-Empfänger, von denen der eine arbeiten könnte, es aber nicht wollte, während der andere gern arbeiten würde, ohne die Chance dazu zu bekommen. Es war wohl geplant, dass sich die Gäste dann mit den üblichen Argumenten an Guido Westerwelles Thesen zur „spätrömischen Dekadenz“ oder Thilo Sarrazins Gedanken zu „Warmduschern“ abarbeiten.

Doch dazu kam es erst gar nicht, denn die Unternehmer gingen gleich heftig aufeinander los. Wolfgang Grupp war es als steuerehrlichem Mittelständler vorbehalten, die erste Attacke gegen den millionenschweren Bauinvestor Thomas Kramer zu reiten. In den USA hatte Kramer seinem Vorbild Donald Trump nachgeeifert und mit Immobiliengeschäften sowie seinem luxuriösen Lebensstil von sich reden gemacht.

„Wer aus Deutschland nach Amerika auswandert hat einen Grund. Auch Herr Kramer hatte einen Grund, wenn er ihn nicht selbst sagt, werde ich ihn vielleicht später noch tun“, drohte Grupp dem Investor, der an der Börse Millionen verdient, und später zusammen mit seinem Anwalt Gregor Gysi bei einem Großprojekt in den neuen Bundesländern spektakulär Schiffbruch erlitten hatte. Nachdem Kramers Image als Finanzgenie dahin war, zog er in die USA.

Grupp redete sich immer mehr in Rage und wetterte gegen Unternehmer vom Schlage eines Thomas Kramer. Für den Chef von 1200 Arbeitnehmern waren das keine Unternehmer, sondern „Ausbeuter und Hasardeure“, die sich trotz Milliardenpleiten aus Haftung und Verantwortung gestohlen hätten und so Millionäre geblieben wären.

Der so heftig angegriffene Kramer schaffte es nur sehr kurz ruhig zu bleiben, passte sich jedoch schnell der enormen Lautstärke Grupps an und bezeichnete die immer wieder vorgetragenen Vorwürfe als Unverschämtheit. „Das ist absolut gelogen, ich habe nicht eine Mark von irgendeinem Anleger jemals verloren“, wehrte sich der millionenschwere Wahl-Amerikaner. Plötzlich wurde nur noch gebrüllt. Statt über Hartz-IV zu sprechen ging es nur noch um Kramers Geschäftspraktiken von vor 20 Jahren.

Sandra Maischberger wirkte völlig überfordert. Sie fand kein Mittel, um sich gegen die geballte Wucht der streitenden Unternehmer durchzusetzen. In ihrer Not wandte sie sich an Martin Lindner von der FDP, dem es auch kurzzeitig gelang, die Runde wieder auf den Teppich zu holen und in normaler Lautstärke zu sprechen. Der Liberale kritisierte das Gerede über Schmarotzer und Asoziale Steuerhinterzieher. „Wenn man mit der Schweiz und anderen Staaten zu vernünftigen Abkommen kommen will, muss man die Giftigkeit und den Dampf rausnehmen“, forderte Lindner.

Auch wenn Maischberger versuchte, Guido Westerwelle die Schuld an der rhetorischen Eskalation der vergangenen Wochen zu geben, waren es doch die Sozialdemokraten Sigmar Gabriel und Hubertus Heil, die Steuerhinterzieher als „Sozialschmarotzer“ und „neue Asoziale“ bezeichnet hatten. Hätte Westerwelle diese Worte benutzt, um Hartz-IV-Empfänger zu beschreiben, dann hätte er das dann folgende mediale Erdbeben sicherlich nicht politisch überlebt.

Der gesittete Teil der Debatte war allerdings auch bei der ARD schnell wieder vorbei. Als Kramer mal wieder aus vollem Hals gegen alles Mögliche polterte, wurde es Lindner zu viel. „Sie schreien hier rum wir wie ein Vollidiot, das gibt’s doch gar nicht“, entfuhr es dem Liberalen. Doch selbst Lindner und Dagmar Enkelmann von der Linkspartei ließen sich bald von der erregten Stimmung anstecken und versuchten ihre Argumente durch übertriebene Lautstärke zu untermauern.

Oft erschöpfte sich das absurde Geschrei allerdings darin, Schuldige für die Misere am Arbeitsmarkt sowie Steuerhinterziehung und die drohende Pleite des Sozialstaats zu benennen. Anstatt sich konkrete Gedanken zur Lösung der Probleme zu machen, wurden wahlweise die Schweiz, die USA, die Unternehmer, die Sozialisten, die Banken und natürlich die Politiker beschuldigt, an der Entstehung der Probleme schuld zu sein.

Auch Maischberger trug dazu bei, dass sich die Diskussion so desaströs entwickelte. Krampfhaft versuchte sie immer wieder zu ergründen, wer denn nun die wirklichen Asozialen seien. So wurde die Chance vertan zu ergründen, wie hohe Lohnnebenkosten, überbordende Bürokratie und pervertiertes Steuersystem in den Griff zu bekommen wären.

Denn es sind schließlich diese wenig verlockenden Rahmenbedingungen, die Unternehmer, aber auch kleine Handwerker oder Ärzte mitsamt ihrem Geld, ihren Steuern und den von ihnen geschaffenen Arbeitsplätzen ins Ausland treiben. Arm und Reich gegeneinander in Stellung zu bringen mag zwar spannendes Fernsehen sein, wird dem Problem jedoch nicht gerecht.

Auch die Schuld ausschließlich bei den Schweizer oder Liechtensteiner Steueroasen zu suchen wird nicht langfristig helfen, denn „das Problem ist nicht die Oase – das Problem ist die Wüste“, wie Martin Lindner ganz richtig erkannte.

Dass die Lohnnebenkosten zu hoch sind, hatte selbst Christo Großmann von der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands gemerkt. Der Hartz-IV-Empfänger hatte es mit der Selbstständigkeit versucht, musste jedoch feststellen, dass das mit Kosten und auch noch mit viel Arbeit verbunden war. Er beklagte die zu hohen Lohnnebenkosten vergaß dabei aber, dass er mit seiner Arbeitsverweigerung selbst dazu beigetragen hatte, die Lohnnebenkosten in die Höhe zu treiben.

Doch da es ihm gelang, in ruhigem Tonfall und ohne Geschrei zu behaupten, dass „Arbeit ist scheiße!“ ein Satz sei, der zum Nachdenken anrege, wirkte er im Gegensatz zu den Unternehmern Kramer und Grupp schon fast zivilisiert und irgendwie erwachsen.