Berliner Ensemble

Dieses Stück lässt den Besucher ratlos zurück

| Lesedauer: 4 Minuten
Peter Hans Göpfert

Andrea Breth inszenierte "Blaue Spiegel" am Berliner Ensemble. Das neue Stück des Lyrikers und Dramatikers Albert Ostermaier kennt keine Rollen-Liste. Und es gibt dem Zuschauer während der Aufführung die Zeit, das Postfach seines Handy zu inspizieren.

Wenn zu Beginn einer Inszenierung zwei Leute minutenlang herumsitzen und kein Wort sagen, geht das in der Regel nicht gut. Das Publikum im Theater hüstelt, als wäre eine Bronchialepidemie ausgebrochen, knistert, bedient den Reißverschluss der Handtasche. In anderen Aufführungen hätte sich die weltberühmte Berliner Schnauze durchaus auch von den teureren Plätzen hören lassen: Macht mal weiter!

Nichts dergleichen jetzt am Berliner Ensemble. Denn es inszeniert die große Andrea Breth. Endlos sitzt ein Paar in einem kahlen gleißend hellen Raum an der Heizung und ödet sich stumm an. Der Zuschauer wartet die langen Minuten leidend ab. Und inspiziert solange allenfalls mal das Postfach seines Handys.

Das neue Stück des Lyrikers und Dramatikers Albert Ostermaier kennt keine Rollen-Liste. Aber wir erfahren, die Frau mit den sehr roten Schuhen und der Mann in der sehr blauen Hose, die sich offenbar nichts zu sagen haben, heißen Jack und Sybel. Dann aber irgendwann will die Sybel von dem Jack die Schlüssel haben. Wirft sie den Mann hinaus? Wird da der Schlussstrich in einem Trennungsprozess gezogen?

So einfach ist es natürlich nicht. Das Zimmer hat nämlich keine Tür. Und wer im Berliner Ensemble die fünf Euro fürs Programmheft ausgibt, bekommt noch heraus, dass wohl eher an den Schlüssel zu Blaubarts Tötungskammer "am Ende des großen Ganges" gedacht werden soll. Denn wenn Jack zum Rasierapparat greift, hat er eine blaue Backe.

Offensichtlich verwischen sich für Frau Sybel die Grenzen von Albtraum und Wirklichkeit. Und wenn sie nun mal ihren Mann als Blaubart und Wolf erlebt, spielt der folgsam diese Rollen und grummelt und heult auch ganz schön. Ob nun im Traum oder tatsächlich, ist er auch seiner Schwiegermutter zugetan. Beide singen schon mal "Wenn bei Capri die Sonne im Meer versinkt...". Denn Oma weiß, was sonst noch so alles blau ist, Meer, Himmel und Tinte; sie berichtet uns, sie werde Hackfleisch braten und erzählt einem hysterisch überdrehten Kapuzenkind die Geschichte vom Wolf, der den Vogel fraß und dann meinte, fliegen zu können. Frau Sybel hat derweil von Krebsen geträumt und diese in kochendes Wasser geworfen, obwohl (oder weil?) sie doch "Liebe" bedeuten. Und so weiter.

Durch diese ehelichen Obsessionen und quasi-tiefenpsychologischen Rollenspiele geistern auch sonst allerlei Märchen-Motive, von Rotkäppchen natürlich bis zu Froschkönig und Schneewittchen. Oma buddelt ihre Tochter zwischendurch sogar in Blumenerde. Das Kind jauchzt "wo ist der Ochse, wo ist die Katze, wo ist die Wiese?" Und selbstverständlich will Jack von Sybel irgendwann mal wissen, woher die teuren roten Schuhe sind (übrigens: von Hans Christian Andersen!). Wenn Sybel das Kind badet, klingt es eher, als wollte sie es zersägen.

Zwischen Traum und Wirklichkeit

Irgendwann gehen auch Albträume zu Ende. Jack hat sowieso keine Lust mehr, weitere "Selbsterfahrungs"-Übungen zu machen. Am Ende beschließen Jack und Sybel ziemlich schlicht, in eine Pizzeria um die Ecke zu gehen. Das ganze eheliche Wechselspiel zwischen Traum und Wirklichkeit sieht sich an wie das Luc-Bondy-Zitat eines Botho Strauß der früheren Jahre. Das weiße Zimmer weitet sich immer wieder mal zu einem tiefen Schacht (Bühne: Raimund Orfeo Voigt).

Andrea Breth hält das ganze Getue in schön grotesk-makaber-heiterer Schwebe und hat sich ihre idealen Schauspieler für derlei familiäre Gereiztheiten und Seelenschwingungen gleich an den Schiffbauerdamm mitgebracht. Corinna Kirchhoff ist die obsessiv genervte Sybel, Wolfgang Michael der zappelig grimassig wolfende Jack. Und Elisabeth Orth spielt eine hintergründig märchentantige Mutter und Schwiegermutteroma.

Was das alles soll, wo der Schlüssel für soviel leere Rätselei des Ehekampfes liegt, wissen die Beteiligten wohl selbst nicht genau. Ein Stücktext zu Ostermaiers "Blaue Spiegel" war weder vor noch nach der Uraufführung am Bertolt-Brecht-Platz zu bekommen. Top secret. Das Berliner Ensemble kokettiert mit einem "work-in-progress", bei dem die "endgültige Form" während der Proben entstand, aber selbstredend "darüber hinaus offen bleibt".

"Blaue Spiegel" im Berliner Ensemble , Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte. Tel. (030) 284 08 155. Termine: 28. 5., 7., 24., 27. 6.