Deutsche Oper Berlin

Hamburger Symphoniker als Opernchef im Gespräch

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Lucas Wiegelmann

Foto: Pressebild.de/ Bertold Fabricius

Als Intendant von Hamburgs kleinstem Orchester hat Daniel Kühnel kleine Wunder bewirkt, bald könnte er Deutschlands zweitgrößte Oper leiten. Und das wäre eine Sensation. Seit Wochen kursieren Gerüchte, Kühnel könnte Intendant der Deutschen Oper werden. Und niemand möchte sie dementieren.

Als die Mosaiksteinchen von der Decke fielen, wusste der kleine Daniel noch nicht, dass er sich an einem einmaligen Ort der Weltgeschichte befand. Die Geburtskirche in Bethlehem war sein Spielplatz, und obwohl ihm der Vater erzählt hatte, dass dies eine besondere Kirche sei - ein knapp zehn Jahre alter Junge kann das noch nicht erfassen.

Heute, viele Jahre später, empfindet es Daniel Kühnel als Privileg, im Heiligen Land aufgewachsen zu sein. An diesem Ort zwischen Judentum, Christentum und Islam. Einem Kind, das regelmäßig in der Geburtskirche spielt, ist nämlich, wie man so sagt, die Kultur in die Wiege gelegt.

Daniel Kühnel (36) ist Intendant der Hamburger Symphoniker. Er residiert in einem vielleicht zehn Quadratmeter großen Büro. Der Intendant ist zufrieden, soeben hat er auf einer Pressekonferenz das Programm seines Orchesters vorgestellt, das Interesse war groß. Nun erläutert er Details zu den einzelnen Konzerten. Er freut sich auf die Spielzeit, sagt er. Seit fünf Jahren arbeitet Kühnel daran, das drittgrößte (also kleinste) Orchester der Stadt bekannter zu machen. Damit hat er großen Erfolg, was ihm eine gewisse Berühmtheit in der Musikszene eingebracht hat. Was ihn aber noch bekannter gemacht hat, ist das seit einigen Wochen kursierende Gerücht, Kühnel werde ab 2011 neuer Intendant der Deutschen Oper Berlin.

Alle hüllen sich in Schweigen

Das wäre eine kleine Sensation: Kühnel hat noch keine Erfahrung als Intendant eines Opernhauses, und der Etat der Deutschen Oper, des zweitgrößten Musiktheaters in Deutschland, ist um ein Vielfaches höher als das der Hamburger Symphoniker. Die Berliner Kulturverwaltung, die diese Personalie zu entscheiden hat, hüllt sich in Schweigen. Und auch Daniel Kühnel sagt: "Ich werde Spekulationen zu meinem beruflichen Werdegang nach wie vor unkommentiert lassen." Ein richtiges Dementi kommt allerdings weder von der einen noch von der anderen Seite. Bis zum Sommer soll eine Entscheidung verkündet sein.

Es wäre nicht das erste Mal, dass Daniel Kühnel nach Berlin zöge. Seine Kindheit verbrachte er in seiner Geburtsstadt Jerusalem. Dort leben seine Eltern bis heute, beide sind Professoren für Kunstgeschichte. Sie stammen aus Rumänien, die Mutter ist Jüdin, der Vater hat deutsche Vorfahren. Er hat als erster die Mosaiken an der Decke der Geburtsbasilika in Bethlehem abfotografiert. Der junge Jude Daniel schaute zu und spielte mit vereinzelt herabrieselnden Steinchen. In dieser Zeit erwachte bereits seine große Liebe zur Oper, außerdem lernte er Fagott und Klavier und nahm Ballettunterricht.

Referent an der Deutschen Oper

Nach dem Abitur reiste Kühnel mit dem Vorsatz nach Berlin, Theatertechnik zu studieren und Regisseur zu werden. Stattdessen studierte er Musikwissenschaften und Jura. Dabei kam er Anfang der 90er Jahre sogar mit der Deutschen Oper in Berührung, als deren Intendant er heute im Gespräch ist: Er arbeitete unter anderem als Referent des damaligen Geschäftsführers, einem Mann namens André Schmitz. Der ist heute bekanntlich Berliner Kulturstaatssekretär und gilt als Fürsprecher Kühnels.

Die Deutsche Oper ist auch Schuld daran, dass der Student Kühnel sich überhaupt das Berufsziel Intendant vornahm. Denn dort hat er auch eine Regie-Hospitanz gemacht. Es war "eine ganz glückliche Zeit" - und gleichzeitig das Ende seiner Regie-Träume. "Ich habe gemerkt: Meine Begabung, wenn denn eine vorhanden ist, geht nicht dahin, Kunst zu machen, sondern sie zu ermöglichen. Als Intendant."

Hamburger Beobachter sind sich einig, dass Begabung vorhanden ist. Seitdem Kühnel 2003 gefragt wurde, ob er die künstlerischen und organisatorischen Geschicke der Symphoniker leiten wolle, hat sich viel getan: Das Orchester macht moderne, junge Aktionen: Konzerte für Kleinstkinder, live im Internet übertragene öffentliche Proben, in der kommenden Saison sogar ein Heavy-Metal-Projekt. Und ab August wird Jeffrey Tate neuer Chefdirigent, ein internationaler Star, der sich zwar ein Jahr lang Zeit für die Zusage nahm, jetzt aber ein bisschen Glamour in die Hansestadt bringt. Kühnel nennt Tate immer Maestro, er verehrt den Dirigenten, der zugleich sein größter Coup ist. Die Anstrengungen tragen bereits Früchte: Vor wenigen Wochen hat der Hamburger Senat den Orchesteretat um 1,5 Millionen Euro auf 4,5 Millionen Euro aufgestockt - ein extrem seltenes Glück in Zeiten knapper öffentlicher Kassen. Dem jungen Intendanten mangelt es vor diesem Hintergrund nicht an Selbstbewusstsein. Er kleidet sich streng korrekt mit dunklem Anzug und Krawatte, artikuliert beim Sprechen manchmal überdeutlich und ist ein wenig eitel, wenn eitel sein heißt, dass es einem nicht egal ist, wie man auf Fotos aussieht. Seiner Überzeugungskraft vor Gremien und Politikern scheint das keinen Abbruch getan zu haben.

Das liegt vor allem an seiner eigenen Begeisterung. Wenn er über Musik spricht ("Es fängt alles mit Mozart an, und alles hört mit Mozart auf"), dann nimmt er Hände, Füße, leere Kaffeebecher und gebrauchte Servietten zur Hilfe, malt in die Luft, fragt zurück, will, dass das Gegenüber versteht, was er sagen will. "Hier in der Laeiszhalle sitzt das Orchester, 80 Verrückte, die 200 Jahre alte Musik üben. Wir müssen den Menschen doch sagen, was das soll. Was das mit ihnen allen zu tun hat, mit dem Alltag, mit ihrem Leben." Kühnels Vision ist eine "Musikalisierung der ganzen Stadt": Musik soll am besten alle Lebensbereiche erfassen, ja die Einstellung zum Leben verändern.