Blickte Ottorino Respighi in den Spiegel, dann erkannte er Beethoven: wallend in den Nacken fallendes Haar, einen leicht grimmig gestreckten Mund, durchdringende Augen; nicht wenige Zeitgenossen wiesen den italienischen Komponisten immer wieder auf diese schmeichelhafte Ähnlichkeit hin. Wie das große Vorbild widmete sich Respighi, der 1879 in Bologna geboren wurde, in einer Oper den düsteren Aspekten der französischen Revolution. Mit seiner „Marie Victoire“ quälte er sich aber kaum weniger als Beethoven mit seinem „Fidelio“.
Nach einem mühsamen Kompositionsprozess, den Respighi nicht selten im Feuer seines Kamins zu beenden trachtete, sollte das Stück 1915 in Rom herauskommen. Doch eine Oper mit Revolutionsthema war dem Teatro Costanzi im Jahr Eins des Weltkriegs zu gefährlich. Was, wenn die Kriegstreiber und Pazifisten, in die sich Italien spaltete, im Saal aufeinander losgingen? Das Stück blieb ungespielt und wurde von Respighi, der auf Zurückweisung fast immer mit Liebesentzug für das jeweilige Werk reagierte, bald verdrängt. Erst 2004 wagte die Oper Rom die Uraufführung. An der Deutschen Oper ist nun die Deutschland-Premiere zu erleben. Nachdem Katharina Wagner abgesagt hatte, erklärte sich Johannes Schaaf bereit, das unbekannte Stück zu inszenieren.
Das Werk ist schwierig und bemerkenswert zugleich
„Ich hatte eigentlich keine Zeit, aber Marie Victoire übte einen zu großen Reiz auf mich aus“, sagt Schaaf. Die Technik Respighis, mehrere Handlungsstränge oft unverbunden nebeneinander ablaufen zu lassen, mache das Werk schwierig und bemerkenswert zugleich. „Die Akribie, mit der jede einzelne Insel der Partitur und Handlung ausgearbeitet ist, erinnert mich an Gemälde Salvador Dalìs“, so Schaaf. Grundiert und oft auch übermalt wird das dreistündige Drama von einem gewaltigen, klangrauschenden Orchestersatz, den Michail Jurowski einstudiert hat. Richard Strauss klingt an, etwas Impressionismus, etwas Puccini, die typische Respighi-Mischung.
„Marie Victoire“, das ist der Name eines Hutladens, den Marie, die Hauptgestalt der Oper, 1800 in Paris leitet. „Ich habe ihr ein gutes Dutzend Angestellte gegeben, um anzudeuten, dass die französische Revolution nicht nur Terror war, wie zu Beginn des Stücks gezeigt, sondern auch für gleiche Chancen zwischen Männern und Frauen eintrat“, sagt Schaaf. Marie plagt das Gewissen. Sie gab sich einst im Kerker der Jakobiner Clorivière hin und erlebte mit ihm eine sinnliche Liebe, die sie mit ihrem Mann Maurice nie empfand. Vor dem Hintergrund eines Attentats auf Napoleon treffen diese drei Menschen nun wieder aufeinander, mit dramatischen Folgen.
Respighi war der berühmteste Komponist Italiens
Schaaf belässt die Handlung in der Zeit um 1800. „Eine Verlegung in den 1. Weltkrieg oder in die Mussolini-Zeit kam für mich nicht in Frage. Das hätte dem Werk Gewalt angetan.“ Der denkbare Mussolini-Bezug resultiert aus Respighis Biografie. Nach dem Tod Puccinis 1924 war Respighi der berühmteste Komponist Italiens. Natürlich schmückte sich das faschistische Regime mit seiner Musik. Sein bis heute populärstes Orchesterwerk „Pini di Roma“ wurde zwei Jahre nach dem „Marsch auf Rom“ uraufgeführt. Im Finale, in dem die Armee des Konsuls über die Via Appia zum Kapitol donnert, sah sich auch das faschistische Italien verherrlicht. Respighi kann diese Bedeutung seiner Musik nicht entgangen sein, er selbst trat allerdings nie als glühender Faschist in Erscheinung – anders als viele seiner Kollegen. Kein namhafter Musiker mit Ausnahme Arturo Toscaninis opponierte gegen das Regime.
Im Gegensatz aber zum nationalsozialistischen Deutschland, wo ein gescheiterter Maler ein rassisch begründetes Kunstdiktat verhängte, machten Mussolini und seine Bürokraten Künstlern kaum ästhetische Vorgaben. Der starke inhaltliche und personelle Einfluss des Futurismus auf den Faschismus erweist sich in der Kulturpolitik als eminent bedeutsam. In musikalischen Fragen blieb das Regime willfährig bis liberal, so konnten neoklassiche, spätromantische, atonale und zwölftönige Musik nebeneinander existieren. „Es ist ungerecht, den Komponisten vorzuwerfen, dass sie das Ende nicht vorwegsahen und emigrierten“, meint Schaaf. Respighi erlebte das Ende des Faschismus nicht, er starb 1936.
Oper entstand in seiner künstlerisch schillerndsten Lebensphase
Respighis, wie der Musik aller Generationskollegen hat die Gleichzeitigkeit des künstlerischen Erfolgs und des Faschismus immens geschadet. Auch in Italien sind die Namen der damals weltberühmten Komponisten Ildebrando Pizzetti, Italo Montemezzi, Alfredo Casella, Gian Francesco Malipiero oder Riccardo Zandonai fast vergessen.
Immerhin, ihr Entstehungsjahr 1912/13 spricht die „Marie Victoire“ von jedem Verdacht frei. Dass Respighi das Werk in seiner künstlerisch schillerndsten Lebensphase schrieb, sollte neugierig machen. Der Komponist Alberto Franchetti urteilte, nachdem ihm Respighi die Partitur am Klavier vorgespielt hatte, mit „Marie Victoire“ sei der neue Weg der Oper gefunden.
"Marie-Victoire" an der Deutschen Oper, weitere Aufführungen 16., 19. und 22. sowie 24. April