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Sogar Hillary Clinton wäre gern ein "Soprano"

| Lesedauer: 9 Minuten
Britta Bode

Foto: AP

„Die Sopranos" hat das Fernsehen neu erfunden. Dass ein mordender Mafia-Boss Sympathieträger wird, war vor Tony Soprano undenkbar. In den USA feiert die Serie seit Jahren Einschaltquotenerfolge. Und jetzt schlüpft sogar eine Präsidentschaftskandidatin in die Rolle des neurotischen Killers.

Hillary Clinton hat sich auf ihre Art verabschiedet. In einem Internetvideo spielen sie und ihr Gatte, Ex-Präsident Bill Clinton, die allerletzte Szene der Mafia-Serie „Die Sopranos“ nach (den Film sehen sie hier) . Wie Tony Soprano und Gattin Carmela treffen sie sich in einem klasssischen Diner-Restaurant. Hillary, ganz Präsidentschaftskandidatin, übernimmt die Rolle des Mafia-Chefs Tony und ordert sehr zum Missfallen Bills Karotten statt der fettigen Zwiebelringe im Original.

Tochter Chelsea kämpft draußen mit ihrem Auto und der Parklücke. Nach und nach kommen immer wieder neue Gäste in das Restaurant, gehen auf die Toilette, starren die Clintons an. Ist das die Polizei? Sind es gar Killer der Rivalen? Vince Curatola, bei den „Sopranos“ Darsteller des New Yorker Mafiosi Johnny Sack, tritt auf, stellt sich mit hasserfülltem Blick an den Tisch der Clintons, schweigt, bevor er schließlich wütend das Diner verlässt. Die Tochter kommt zur Tür. Dann wird der Bildschirm schwarz. Das war's.

Mafia-Serie als Bote eines neuen Fernsehzeitalters

Bei den Clintons waren die Reaktionen eindeutig: Keine große Kunst, aber im Wahlkampf konnte das Paar mit ihrer Hommage an ein popkulturelles Großereignis ein paar Sympathiepunkte gewinnen. Der Produzent der echten „Sopranos“, David Chase, hat dagegen sein Publikum gespalten. Von den einen wurde er für sein Ende enthusiastisch gefeiert, von den anderen wüst beschimpft. Noch immer wird im Internet debattiert, was sich Chase mit seinem schwarzen Bildschirm wohl gedacht hat.

Die Erwartungen an die letzte Staffel waren im Vorfeld hoch. Monate vor der Ausstrahlung der letzten Staffel wurde ähnlich der Aufregung um Harry-Potter in Internet und Printmedien über das Ende der Serie spekuliert, gaben Promis ihre Tipps ab, kursierten Gerüchte ob und wie Amerikas berühmtester Mafiosi des 21. Jahrhunderts stirbt.

„Die Sopranos“ haben unstreitig Fernsehgeschichte geschrieben. In US-Kommentaren wird gar der Beginn eines neuen Zeitalters postuliert. „BT“ – „before Tony“ – sah die Fernsehwelt noch düster aus. Im Wettbewerb mit Hollywood und dem Internet gaben Experten dem Fernsehen noch eine Überlebensdauer von etwa zehn Jahren. Wer als Schauspieler, Autor, Regisseur etwas auf sich hielt, der ging nach Hollywood.

Türöffner für "24" oder "Six Feet Under"

„Ich hasse Fernsehen“, sagte damals Chase, als er vom Abonnentensender HBO das Angebot zur Entwicklung einer Serie bekam. Dass sein Projekt die Pilotphase überstehen sollte, damit rechneten weder er, noch die Schauspieler. Schon wieder eine Mafia-Familie? Gähn. Ein Antiheld mit psychischen Problemen, ein brutaler Killer gleichermaßen als Hauptfigur? Undenkbar. Eine Stripbar, das „Bada Bing!“, als Geschäftszentrale, nackte Busen, haufenweise Kraftausdrücke und jede Menge brutaler Gewalt im Massenmedium Fernsehen? Niemals.

Im Zeitalter AT (After Tony), acht Jahre, 86 Folgen und unzählige Fernsehpreise und Einschaltquotenrekorde später, sprechen die Kommentatoren von einer neuen goldenen Ära. Aufwendige Produktionen vor Ort, hervorragende Schauspieler, jede Folge ein abgeschlossener Film und der Drehbuchautor als König und nicht als Erfüllungsgehilfe der Stars in Hollywood, so hieß das Erfolgsrezept von Produzent David Chase, das seitdem immer öfter kopiert wird.

So wird in Folge des „Sopranos“-Erfolgs die CBS-Unterhaltungschefin Nina Tassler zitiert, die ihre Leute aufforderte, alle Regeln über Bord zu werfen und wirklich auszuprobieren, neue Shows zu machen und neue Geschichten zu erzählen. Kein Hollywood-Schauspieler, kein Regisseur ist sich heute fürs Fernsehen mehr zu schade. Kreative und erwachsene Geschichten werden heute hier und nicht im aufs jugendliche Massenpublikum schielenden Hollywood erzählt. „Die Sopranos“ waren die unumstrittenen Türöffner für Serien wie „24“, „West Wing“ oder „Six Feet Under“.

Vom "Soprano-Staat" spricht man sogar in Harvard

Der kürzlich verstorbene Schriftsteller Norman Mailer hat „Die Sopranos“ in die Tradition des großen amerikanischen Romans gestellt, und es gibt Kulturkritiker, die um das intellektuelle Leitmedium Buch fürchten – dieses mal nicht, weil das Fernsehen so schlecht, sondern weil es an guten Romanautoren, nicht aber an bedeutenden Fernsehereignissen fehlt.

So ist es zu erklären, dass die Sopranos als erste Fernsehserie überhaupt ins Archiv des Museums of Modern Art in New York aufgenommen wurden. Zitate aus den Sopranos sind heute Allgemeinplätze und werden im Geschäftsleben der USA genutzt („He is coming heavy“ heißt in der Serie, er ist bewaffnet, gebraucht wird es, wenn jemand mit Akten beladen zu einer Konferenz kommt).
Die kulturelle Durchdringung reicht bis nach Washington, wie nicht nur die Clintons belegen: Der „Soprano-Staat“ ist ein in Harvard geprägter und vom State Department genutzter Fachbegriff für Länder wie Nordkorea, denen organisierte Kriminalität durch einen kleinen Kreis von Parteiführern vorgeworfen wird.

Die Ehefrau des Paten schweigt

Das wirklich Erwachsene an dieser Serie war von Anfang an die Zwiespältigkeit der Hauptfiguren, die in den letzten Folgen noch einmal betont wird. Tony Soprano, unfassbar gut gespielt von James Gandolfini, wird nach einem überraschenden Mord an einem Familienmitglied feststellen, dass er „im Grunde ein guter Kerl“ ist.

Seine Psychotherapeutin gerät dagegen in Gewissensnöte, weil eine in Kriminologenkreisen umstrittene aber echte Studie aus den siebziger Jahren belegt, dass Soziopathen durch eine Gesprächstherapie nur zu selbstbewussteren Kriminellen denn zu geläuterten Staatsbürgern werden. Zumindest in dieser Serie haut das hin, denn Tony mordet, demütigt seine Frau, weil er der Spielsucht erliegt, und spielt ohne schlechtes Gewissen mit dem Leben selbst langjähriger Weggefährten, weil das Misstrauen immer größer wird.

Ehefrau Carmela, gespielt von Edie Falco, weiß, dass sie ihren Mann hätte verlassen können und müssen, und hat sich trotzdem für die Fortsetzung ihres scheinheiligen Leben entschieden. Sie darf so vielsagend schweigen, wie sonst keine Serienfigur vor ihr.

Autos, die langsam über Gesichter rollen


„In 80 Prozent der Fälle endet es im Knast oder auf dem Einbalsamierungstisch bei Cozarelli“, lautet Tonys düstere Erkenntnis schon zu Beginn der Staffel. „Familie. Das sind die einzigen, auf die Du dich verlassen kannst“, hieß es in einer früheren Folge. Aber diese Familie zerbricht. Jeder könnte die Ratte sein, die Tony verrät. Das FBI hat immer mehr Beweise gegen ihn, die New Yorker Mafia erklärt ihm den Krieg, sein Sohn ist nach einer Trennung und einem Selbstmordversuch erst Sympathieträger, dann ein nervender Jammerlappen.

Die Sopranos, „das waren nicht vier schöne Frauen in Manhatten“, sagt James Gandolfini. Das wird wunderbar deutlich in einer Szene an einer Tankstelle, in der ein Widersacher Tony Sopranos nicht nur sterben muss, das Auto mit seinen Enkeln im Kleinkindalter rollt ihm auch noch schön in Nahaufnahme ganz langsam über sein Gesicht.

Und doch hat die Serie auch einen wunderbaren subtilen Humor, der sich in den neuen Folgen etwa bei den FBI-Agenten zeigt, die die Sopranos früher verfolgt haben und heute im Anti-Terror-Kampf die Nähe der Mafia suchen und zu Tonys Schutzengel werden.

Sammelsurium skurriler Figuren


Es gab zugegeben genialere Folgen als diese letzten neun. Gleich in der ersten Staffel, als Tony friedlich mit seiner Tochter unterwegs ist, um ein College auszusuchen, und ganz nebenbei einen Verräter im Kronzeugenprogramm entdeckt und killt. Für Fernsehleute wie Denis Leary („Rescue me“) war das ein Erweckungserlebnis: „Wenn sie das machen können, ist in diesem Format alles möglich“. Oder die legendäre „Pine Barren“-Folge, als Tonys Mitarbeiter Chris und Paulie einen russischen Gangster umbringen wollen und sich wie kleine Kinder im verschneiten Wald verirren.

Der Reiz der letzten Staffel liegt auch darin, dass die Serie sich inzwischen selbst zitiert (der legendäre Bootsausflug, an dem FBI-Informant Pussy sterben musste wird wiederholt), und ganz von ihren vielen skurrilen Figuren, wie dem geschwätzigen Paulie, verkörpert von Tony Sirico, oder Silvio Dante alias Steven Van Zandt, dem früheren Musiker in Bruce Springsteens E Street Band, lebt.

Natürlich wird im US-Fernsehen noch immer hauptsächlich Drittklassiges gesendet. Aber das Erstklassige hat sich mit den „Sopranos“ seinen Platz zurückerobert, weil Qualität und Massenerfolg eben doch kein natürlicher Gegensatz ist.

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Die Sopranos. Staffel sechs, Teil 2 (4 DVDs), Warner Home Video, 38,95 Euro

Brett Martin: The Sopranos. The Complete Book. Time Home Entertainment, 226 Seiten, 29,99 Euro