Kulturzentrum

Tresor-Gründer plant Kraftwerk für die Künste

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Gabriela Walde

Foto: Amin Akhtar / Akhtar

Er hat die Mutter aller Berliner Clubs ins Leben gerufen – den Tresor. Doch der ist Geschichte. Jetzt nimmt sich Dimitri Hegemann ein neues Projekt vor. Er baut ein stillgelegtes Kraftwerk in Mitte zu einem Kulturzentrum um. Ein Experimentierfeld für große Produktionen, die Raum brauchen, den sonst keine Institution in Berlin hat.

Solche Menschen wie Dimitri Hegemann muss es geben, sonst wäre die Welt um einige hundert Ideen ärmer. Der legendäre Gründer des „Tresors“, Mutter aller Clubs, sprudelt nur so, wenn es um Visionen geht, die die Berliner Kulturszene reicher machen könnten. „Ideen quälen mich immer“, sagt der Kreuzberger nicht ohne Koketterie und jungenhaften Charme, mit dem er es immer wieder schafft, Leute für sich zu gewinnen.

Ein bisschen Größenwahn und kreatives Chaos gehören zu seinem Handwerk, sonst würde er es nicht schaffen, derart verrückte (ein Land-Art-Projekt in Brandenburg) oder monumentale Projekte auf die Füße zu stellen wie jetzt: den Umbau des nach der Wende stillgelegten Kraftwerkes in der Köpenicker Straße in Mitte. Es soll ein offenes Haus für die Künste aller Genres werden, egal ob Theater, Kunst, Musik oder Tanz. Ein Experimentierfeld gerade für sehr große Produktionen, die Raum brauchen, Platz, den sonst keine Institution in Berlin hat.

Im Übrigen kann sich Hegemann hier alles vorstellen: die permanente Kunsthalle, eine Lounge, einen Buchladen, einen Meditationsraum mit 24-Stunden-Öffnungszeit, einen japanischen Garten, Festivals für atonale Musik, Catwalks für Modeschauen, gigantische Kunst-Installationen oder mit 3000 bis 4000 Gästen einfach den „größten Chill-Out-Room der Welt“. „Auf den verschiedenen Ebenen will ich unterschiedliche Welten inszenieren“, so der Kulturmacher. Der Arbeitstitel für sein Projekt steht: KWB, schlichte Abkürzung für Kraftwerk Berlin, die Baugenehmigung für die erste Bauphase liegt vor.

Der "Tresor“ liegt im Keller

Ortstermin: Es ist klapperkalt und Hegemann und sein Besucher stiefeln durch das monströse Betonskelett, treppauf, treppab, an Falltreppen, Nischen und Turbinentischen vorbei, „Tote Hosen“ steht an einer Wand oder „Reduzierstation“. Der „Tresor“, tief im Bauch des Kellers, wirkt bei Tag ziemlich geisterhaft und eher wie eine ausgediente Folterkammer als einer der angesagtesten Clubs, der seit einem Jahr hier sein Domizil hat. In der Dunkelheit helfen Handydisplay und Taschenlampe.

Was sich vor unseren Augen auftut, ist spektakulär, vorausgesetzt, der Besucher hat Phantasiepotential: je nach Blickweise erinnert die ausgehöhlte, labyrinthische Industrieruine an alte Tempelanlagen, einen verlassenen Flughafen oder mit ihrem Hauptschiff und den zwei Nebenschiffen an eine gewaltige Kathedrale, in der sich Himmel und Hölle vereinen. Eine tolle Kulisse für Science-Fiction-Filme. Ein psychedelischer Orgelsound wummert durchs Schwarz, zwischen den Pfeilern des „ersten Stocks“ flimmern bunte, abstrakte Videos. Auf seine Weise ein spiritueller Ort.

Die schiere Größe ist mit 100 Metern Länge, 50 Metern Breite, 30 Metern Höhe und 22000 Quadratmetern Umfang überwältigend. „Hier soll nichts weiß und schön gemacht werden, nur verkehrssicher. Der Raum an sich ist schon ein Kunstwerk, das wir mit einer Lichtchoreographie modellieren werden“, erläutert Hegemann. Oben auf dem Dach gibt es einen Panoramablick: Dom, Fernsehturm, Rotes Rathaus bohren sich ins graue Firmament. Hegemann könnte sich hier oben eine Saunalandschaft vorstellen; im Dach ein „Sky-Café“.

Das Fragmentarische, das Unfertige, dieser morbide Charme des DDR-Relikts inmitten von Plattenbaukästen im quirligen Stadtbezirk Mitte steht für jene Improvisierlust und Spontaneität, die die Berliner Szene international so beliebt und bekannt gemacht hat. Hegemann hält nicht allzu viel von Kulturinstitutionen, die in ihrer Struktur überschaubar sind: Eingangshalle, Kasse, Garderobe und weiße Wände des White Cubes.

„Langweilig“ sagt er. 3,6 Millionen Euro kalkuliert er für den ersten Umbau, finanziert durch Eigenkapital, Kredite und eine bekannte Kommunikationsagentur als Partner. Bei dem genialisch angehauchten Kulturmacher Hegemann, der sich selbst Raumforscher nennt, weiß man, er hat so viele Netzwerke, Freunde und Förderer, letztendlich wird er diese Summe zusammenkratzen.

Viele Künstler sind am Projekt interessiert

Künstler und Institutionen aller Couleur hätten bereits ihr Interesse bekundet, erzählt er: Michael Ballhaus, Matthew Barney, Laurie Anderson, das Maxim-Gorki-Theater und James Turell, der Räume durch Licht in sakrale Architektur verwandelt. Die Macher der „Matrix“-Trilogie, Larry und Andy Wachowski, haben dort gedreht. Die Alfred Herrhausen Gesellschaft könnte sich vorstellen, ihre Ausstellung „Megacities“ 2010 in den Räumen zu präsentieren. Und die Philharmoniker bekundeten Interesse, in der Haupthalle vor 1500 bis 2000 Zuhörern zu musizieren. „So ein Ort würde zu einer Marke für Berlin“, ist sich Hegemann sicher. Und damit die Konzepte inhaltlich auch stimmig sind, hat er sich Verstärkung ins Kraftwerk geholt: Komponist Ari Benjamin Meyers berät in Sachen avantgardistische Musik, der ehemalige Galerist Markus Richter kümmert sich um die Belange der bildenden Kunst jenseits des Mainstreams.

Hegemann ist nicht so blauäugig, dass er sich nur der Kunst hingibt und sich der Wirtschaft verweigert. Er kann sich gut vorstellen, dass Autofirmen die Halle temporär zum Showcase umfunktionieren oder Firmen wie Hugo Boss hier einen Laufsteg installieren. So fließen Euros. Und Euros garantieren Freiheit für die Kunst.