Deutsche Oper

"Ägyptische Helena" feiert einen Triumph

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Klaus Geitel

"Die Ägyptische Helena", eine der selten gespielten Opern von Richard Strauss, ist mit stürmischem Applaus an der Deutschen Oper Berlin gefeiert worden. Die Produktion des Schweizers Marco Arturo Marelli mit Ricarda Merbeth in der Titelrolle bescherte dem Haus wieder einen unumstrittenen Premierenerfolg.

Die „Ägyptische Helena“ war nie gut zu Schiff. In den 80 Jahren ihres Dahinkreuzens im Opernrepertoire ist sie nie und nirgends fest vor Anker gegangen – und dies trotz ihrer beiden namhaften Kapitäne: Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal, der weltweit gefeierten Dioskuren der Oper. Aber nun plötzlich dieses Wunder: Das beinahe schon verstoßene Werk erlebt in der Deutschen Oper einen unangefochtenen Triumph. Es erntet Begeisterung. Endlich einmal hat das bislang schier unentbehrliche Buh gründlich Pause. Selbst Marco Arturo Marelli, den Regisseur, der sein eigener Bühnenbildner ist, empfängt nichts als uneingeschränkten Jubel.

Dabei ist den beiden großen Autoren mit der „Ägyptischen Helena“ durchaus kein Meisterwerk gelungen. Man darf pausenlos rätseln, was für ein Trank denn an der Opernbar nun gerade ausgeschenkt wird: einer des Erinnerns oder einer des Vergessens. Immer aufs Neue werden die Gläser gefüllt und mehr oder minder widerwillig geleert. Man trinkt und trinkt und ertrinkt am Ende beinahe in herbeigedichteten Komplikationen. Was will diese „Ägyptische Helena“, das Rätselwerk der Oper, am Ende eigentlich sein? Ein mythologisch schwer befrachtetes, aber kunstreich unterkühltes Salonstück? Singt es das Hohe Lied einer verkorksten Familie? Gibt es sich als das auskomponierte Psychogramm eines Spätheimkehrers aus dem Felde? Ist es der Ringelringelreihen eines Geisterspuks?

Das Orchester bleibt hart am Ball

Soviel Fragen, wie die „Ägyptische Helena“ aufwirft, hat kaum je eine Bühne zu beantworten verstanden. Das aber ist mit einer annähernd tadellosen Besetzung der Deutschen Oper gelungen. Verantwortlich für diesen Glücksfall sind Marelli und gleichauf mit ihm der Dirigent Andrew Litton und sein wahrhaft schwelgerisch aufspielendes Orchester. Es ist mit glänzend vereinten Kräften vom ersten Takt an wie mit Leib und Leben dabei.

Litton leitet die Aufführung mit seltener Eindringlichkeit und Bravour. Er lässt Richard Strauss laut und deutlich zu Wort kommen, selbst dort, wo es herzlich trivial zugeht. Litton fegt darüber hinweg. Sein Musizieren ist voller dramatischer Intensität, hilfreich und gleichzeitig durchaus eigenwillig. Es versteht zu fesseln. Man hört den Abend hindurch mit wachsender Neugier ins Orchester hinein. Das kann sich unter Litton keine Ausflüge in die Esoterik erlauben. Es bleibt hart am dramatischen Ball – und Marelli schießt ihn auf der Bühne immer wieder ins Tor.

Was geschieht? Menelas, von Helena einst wegen des hübschen Paris verlassen und mit diesem nach Troja gebraust, hat die untreue Frau eingefangen und gedenkt, sie umzubringen. Das aber misslingt dank unglaublicher Zaubereien, mit denen Aithra, die Geliebte des Poseidon, der Treulosen in schwesterlicher Eintracht beispringt. Menelas wird aufs Auge gedrückt, seine Frau sei in Wahrheit immerfort treu wie Gold gewesen. Er sei nichts als einem Spiegelbild, einer „ägyptische Helena“, einer Doppelgängerin der Holdheit aufgesessen. Am Ende ist glücklicherweise alles vergeben und alles vergessen. Das Happyend strömt unangefochten herein.

Das dem so ist, daran hat Marelli glänzend gedrechselt. Er lässt die Bühne wiederholt kreisen. Bald zeigt sie deutlich die Realität, bald ebenso deutlich, mit ihren in der Luft hängenden Sesseln, die Illusion: das eingefriedete Niemandsland des Spuks. Wie selbstverständlich schieben sich beide Sphären immer wieder ins Bild: eine Kreuzfahrt des seelischen Hin und Her, der unablässigen Versuche, mit sich und dem Liebenden, dem geliebten Gegenüber klar zu kommen. Ein herzlich umständliches psychologisches Abenteuer.

Der Sopran in Stimm- und Seelenqualen

Es kennt Heldin und Held. Ricarda Merbeth singt mit schlankem, hochdramatischem Sopran die Partie der sich läuternden Sünderin. Sie ist Helena, die um die Liebe, das Verzeihen, das Verständnis ihres verbitterten, in Düsternis gefangenen Mannes kämpft. Sie gewinnt ihn nach manchen Stimm- und Seelenqualen auf überwältigende Weise zurück. Robert Chafin stürzt sich mit schier unerschöpflichem Tenor in die Rolle des Rächers und liebenden Spätheimkehrers aus dem trojanischen Krieg, psychisch, aber nicht stimmlich sozusagen aus dem Leim. Er rätselt sich mit Nachdruck durch die ihm (und dem Publikum) schier undurchschaubare Handlung.

Die setzt Laura Aikin als Aithra, die feenhafte Salon-Herrin, auf bezaubernd stimmleichte Weise in Gang. Morten Frank Larsen und Burkhard Ulrich stehen ihr singend ansehnlich zur Seite. Ewa Wolak tönt tiefstimmig imponierend als allwissende Muschel herauf.

"Die Ägyptische Helena" , Deutsche Oper Bismarckstraße 35, Charlottenburg. Tel: (030) 34384343. Termine: 22., 30.1.; 3. und 14.2.