Eine Schlammschlacht - und zwar im literarisch übertragenen wie auch im wörtlichen Sinne: "Das ist der Teutoburger Wald, / Den Tacitus beschrieben, / Das ist der klassische Morast, / Wo Varus stecken geblieben. / Hier schlug ihn der Cheruskerfürst, / Der Hermann, der edle Recke; / Die deutsche Nationalität, / Die siegte in diesem Drecke." So dichtete Heinrich Heine 1843 in "Deutschland. Ein Wintermärchen".
Im Herbst des Jahres 9 n. Chr. überraschten germanische Stammeskrieger unter Führung des Arminius, eines ehemaligen Offiziers römischer Hilfstruppen, die römischen Legionen des Varus und ihren Tross. Bei dem geschickt vorbereiteten Hinterhalt starben mehr als 10.000 Legionäre. Der Geschichtsschreiber Tacitus nennt den Ort des Geschehens "saltus teutoburgensis".
1672 wurde dieser künstliche Begriff auf das Mittelgebirge Osning bei Detmold übertragen - weil man seinerzeit vermutete, dort habe die Varusschlacht stattgefunden. Heute hat sich die Ansicht von Theodor Mommsen durchgesetzt, der den Ort dieser Schlacht schon Ende des 19. Jahrhunderts am Kalkrieser Berg bei Osnabrück gefunden zu haben glaubte.
Eine Schlammschlacht ist auch die neueste, vom "Spiegel" losgetretene Debatte um die Niederlage des Varus. Da ist die Rede von einem "Krisengipfel", zu dem sich Archäologen heute in Detmold treffen wollen - doch in Wirklichkeit handelt es sich um einen seit langem angekündigten Termin im Rahmen der Vortragsreihe "Römer und Germanen in Nordwestdeutschland" des Lippischen Landesmuseums.
Im "Spiegel" werden auch V-förmige Gräben zu "neuen Bodenfunden", die angeblich Zweifel nährten, ob "Varus und seine Legionen im Jahre 9 n. Chr. tatsächlich in Kalkriese nahe Osnabrück den Tod fanden", wie das ein 2002 eröffnetes Museum seinen Besuchern vermittelt.
Doch die museumseigene Zeitschrift "Varus-Kurier" berichtete bereist 2004 über die Spitzgräben, ebenso die Ausgabe von 2005. "Sie sind nichts Neues und werfen uns überhaupt nicht um", sagt die vor Ort leitende Archäologin Susanne Wilbers-Rost. "V-förmige Gräben sind eine sehr effiziente Grabenform, die es nicht nur bei den Römern gibt. Außerdem dürften bei der Vorbereitung des Hinterhaltes Germanen beteiligt gewesen sein, die in römischen Diensten gestanden und römische Kampf- und Schanztechniken kennengelernt hatten."
Doch offenbar gibt es wenig Interesse bei den Vorkämpfern der Schlammschlacht, sich auf derartig klare Aussagen einzulassen. Jedes Argument scheint in Lippe, also dem heute als "Teutoburger Wald" bekannten Gebiet Nordrhein-Westfalens, recht zu sein, um Kalkriese als Ort der Varus-Schlacht abzulehnen. Bei genauerer Betrachtung lösen sich aber die meisten vermeintlichen Indizien rasch in Wohlgefallen auf.
So argumentiert der Numismatiker Reinhard Wolters, die Datierung der Münzfunde in Kalkriese sei irreführend. Eindeutig ist nur, dass dort keine jüngeren Kupfermünzen als aus der Zeit bis 9 n. Chr. gefunden worden sind. Da die nächste Serie von römischem Kleingeld im Jahre 10 n. Chr. geprägt worden sei, galt dieser Befund ("Münzspiegel") als starkes Indiz für die Datierung der Kämpfe am Kalkrieser Berg.
Doch Wolters stellt diese Datierung in Frage und argumentiert, die nächste Münzserie sei erst 12 oder sogar 14 n. Chr. geprägt worden und möglicherweise auch noch verspätet in Umlauf gekommen - so dass nichts dagegen spräche, dass die unbestreitbaren Kämpfe am Kalkrieser Berg während der römischen Rachefeldzüge des Jahrs 16 n. Chr. stattgefunden hätten. Richtig ist daran, dass nach gegenwärtigem Stand wohl nichts dagegen spricht - allerdings auch wenig dafür.
Außer natürlich dem aus touristischen wie lokalpatriotischen Gründen nachvollziehbaren Wunsch im Lipper Land, den Mythos Varusschlacht zum 2000. Jubiläum im Jahr 2009 bei Detmold feiern zu können. Kürzlich erst hat Wolfgang Lippek, wahrscheinlich eifrigster Kämpfer gegen die wissenschaftlichen Ergebnisse der Grabungen in Kalkriese, den nordrhein-westfälischen Bauminister Oliver Wittke aufgefordert, von staatlicher Seite den Stand der Forschung überprüfen zu lassen. Doch außer grundsätzlichen Zweifeln und vagen Indizien stützt nichts seine Eingabe.
Der Hannoveraner Althistoriker Peter Kehne kündigte jetzt im Bielefelder "Westfalen-Blatt" neue Erkenntnisse an: "Es gibt eindeutige, bisher noch unveröffentlichte Belege, die beweisen, dass Kalkriese nicht Ort der Varus-Schlacht gewesen sein kann." Er werde diese Belege rechtzeitig vor den Jubiläumsfeierlichkeiten vorlegen. Warum er seine so überzeugenden Belege nicht schon längst veröffentlicht hat, blieb jedoch offen.
Am Freitag wird das Museum in Kalkriese die Befunde der Grabungskampagne 2006 vorstellen. Dabei dürfte es vor allem um archäologische Kärrnerarbeit gehen, nicht um sensationelle Entdeckungen. Unwiderlegbare Beweise jedenfalls, dass die Varus-Schlacht hier und nirgends sonst stattgefunden hat, werden Susanne Wilbers-Rost und ihre Kollegen wohl nicht vorlegen können.
Gerade dieser Mangel aber macht ihre Interpretation, das zeigen die Erkenntnisse der noch recht jungen Disziplin Archäologie antiker Schlachtfelder, um so wahrscheinlicher - außer im Lipper Land. Die Schlammschlacht wird weitergehen. Mindestens bis 2009.